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Ur. 277. Dienstag, 5. December 1899. 23. 39. Jahrgann Abonnements-Preise: Karlsbader Für Karlsbad: Vierteljährig 2 fl. Halbjährig.4 fl. Ganzjährig 8 fl. Zustellung ins Haus: pro Quartal 20 kr. Mit Postversendung: Inland: Vierteljährig ...3 fl. Halbjährig.6 fl. Ganzjährig...12 fl. Ausland: Vierteljährig .6 M. Halbjährig ......12 M. Ganzjährig......24 M. Gadeblatt (Wochenblatt) Erscheint ganzjährig täglich mit Ausnahme nach Sonn- und Feiertagen. Redaktion und Adminiflration: im Hause „Bellevue,“ Stefans- promenade. Celephon-Nr. 59b. Inferate werden nur gegen Voraus- zahlung angenommen. Preis der amal gespaltenen Petitzeile “ kr. Inserate, für den nächsten Tag be- stimmt, werden nur bis 3 Uhr nach- mittags in der Administration und in der Franieck'schen Leihbibliothek Markt, „3 Lämmer“ entgegengenommen. Manuscripte werden nicht zurückgegeben Einzelne Nummern 5 kr. Einzelne Nummern 5 kr. Herausgeber: Ernest Franieck. Inserate übernehmen die Annoncen-Bureaus Haasenstein k Vogler in Wien, Rudolf Mosse in Berlin und Wien und sämmtliche anderen Filialen dieser beiden Firmen. Da wir trotz allen officiöser und privater Weisheit entstammenden Ableugnungen nicht einen Augenblick an der politischen Bedeutung der eng- lischen Reise des Kaisers gerichtet haben, hätten wir eigentlich keinen Grund über Chamberlains am letzten Donnerstag in Leicester gehaltene Rede, die jetzt Gegenstand scharfer Erörterungen in allen Zeitungen und in allen politischen Kreisen der Welt ist, sonderlich erstaunt zu sein. Aber wir haben nur von politischer Bedeutung, nicht von einer mit England abzuschließenden Allianz gesprochen, schon deshalb nicht, weil England sich grundsätzlich nicht auf Allianzen einläſst, und weil Kaiser Wilhelm bei der jetzt den Engländern im Allgemeinen sehr wenig günftigen Stimmung des deutschen Volkes wie der übrigen Völker schwerlich zu einer Allianz zu haben ist. Indessen hat der Colonialminister mit gewissen Einschränkungen von einer anglo- deutschen Allianz gesprochen und diese noch auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika ausgedehnt. Die Rede Chamberlains ist von der englischen so- wohl wie von der deutschen Presse desavouirt, von der französischen als eine Drohung aufgefasst worden. Mit Recht und mit Unrecht zugleich. Herr Chamberlain, der eine schnelle und glänzende Carriere gemacht hat — früher war er Bürgermeister von Birmingham — scheint die etwas unenglische Gewohnheit zu haben, seine R den wie seine Thaten zu überhasten. Ohne diese wie gesagt unenglische Eigenschaft hätte er sich nicht so weit mit Dr. Jamson eingelassen und nicht ohne genü- gendere Vorbereitungen die Buren in den Krieg hineingedrängt. Auf diese unenglische Eigenschaft, zu welcher noch eine durch den unerfreulichen Ver- lauf des von aller Welt verurtheilten Krieges er- zeugte oder auf das Aeußerste gesteigerte Nervosität kommt, ist die Chamberlainische Rede zurückzu- führen. Er weiß, daſs die Mehrheit derer, die selbst den Krieg mit den Buren in England billigen, die mangelhafte Vorbereitung und schlechte Führung des Krieges bitter tadeln. Er weiß ferner, daſs eine viel größere Anzahl, als es den Anschein hat, den Krieg gründlich missbilligt. Nur die begreifliche und in England besonders tief eingewuzelte Sitte, während eines Krieges alle Parteidifferenzen fallen zu lassen und dem Auslande gegenüber möglichst einig zu scheinen, hat der Regierung die großen Parlamentsmajoritäten und die kriegswüthigen Zei- tungsartikel verschafft Er sieht jetzt, etwas zu spät, ein, daſs der Krieg mit den Buren nicht nur an sich keine Kleinigkeit ist, sondern auch die schwierigsten Verwicklungen und die ernstesten Folgen haben kann. Er hatte den Wunsch und fühlte das Be- dürfnis einer Anlehnung und wollte gleichzeitig das englische Volk, das er ebenfalls nervös glaubte, beruhigen und andere Völker, die etwa Lust hatten, aus den Verlegenheiten Englands Nutzen zu ziehen, durch den Hinweis, daſs England keineswegs iso- liert sei, zu warnen. In dieser Stimmung über- trieb er theils absichtlich, theils unabsichtlich die wirklich getroffenen Abmachungen und malte zu dem mit lebhaften Farben aus, was im Grunde Jedem als selbstverständlich bekannt ist und einleuchtet. Die augenblickliche Lage Englands bietet einigen Mächten ungewöhnlichen Anreiz zur Ausnützung, hat man in England sich ja doch sogar genöthigt gesehen oder wenigstens veranlasst gefühlt, einige heimische Häsen in Vertheidigungszustand zu setzen. Man kann daraus schließen, wie sehr es für ent- fernte Theile des Reiches und gar für gewisse „Interessensphären“ fürchten muss. Kaiser Wilhelm war nicht gewillt, diese Lage durch eine feindselige Haltung auszunützen. Aber er dachte ganz richtig, in solcher Lage werde England in der Gebelaune sein, leichter über viele Dinge mit sich handeln lassen. Das war ihm eine zudem längst verspro- chene Reise über den Kanal wert. Und er hat sich nicht getäuscht. Noch ehe er die Reise antrat, hatte England in der Samoafrage nachgegeben, und in dem persönlichon Verkehr wurden allerlei coloniale Schwierigkeiten beseitigt, die England keine beson- deren Opfer kostete, Deutschlad keine besonderen Verpflichtungen auferlegte. Es hat sich herausgestellt, daſs man schnell einig werden konnte. Dieses Ueber- einkommen, dieses Einverständnis in Betreff einiger vergleichsweise nebensächlicher Dinge, die aber, wenn ungeregelt, einmal zu ungelegener Zeit unbequem werden konnten, hat der hastige, nervöse, sanguinische und nach einem politischen Beruhigungs- mittel für Andere suchende Chamberlain als ein Uebereinkommen, ein Einverständnis überhaupt hingestellt. Und bei der Gelegenheit tischte er auch einige allgemeine Wahrheiten auf, wie die, daſs die Deutschen und Engländer blutsverwandt sind, dass sie keinerlei widerstreitende, politische Interessen haben, daſs ein Zusammengehen Deutschlands und Englands das Natürlichste von der Welt wäre, daſs aus denselben Gründen Amerika mit den beiden Ländern eine Tripelallianz bilden, und dass ein Einverständnis der germanischen und den zwei großen Zweigen der augelsächsischen Rassen ein mächtiger Einfluſs in der Welt sein köante. Denkt man sich den Burenkrieg weg — nur daſs ohne diesen das alles schwerlich gesagt worden wäre — dann kann Niemand bestreiten, daſs die Deutschland, England und Amerika. Die räumlichen Verhältnisse in Transvaal. Nachdem die Ausschiffung der Engländer in Südafrika beinahe beendet sind, treten neben der dadurch veranlassten numerischen Verschiebung den Kräfteverhältnisse zwischen Engländern und der Buren auch die räumlichen Verhältnisse erneut in den Vordergrund. Aus einem Vergleich der südafrikanischen Staaten mit deutschen Ländern geht, so schreibt die „Köln. Ztg.“, hervor, daſs die Südafrikanische Republik (Transvaal) mit 326700 qkm und 932000 Einwohnern räumlich dem Königreich Preußen ohne die Provinz West- falen, 328400 qkm, und in der Einwohnerzahl etwa dem Regierungsbezirk Wiesbaden, 906.293 Einwohner, entspricht, während der Oranje-Frei- staut mit 131.070 qkm und 230000 Einwohnern annähernd dem Ländercomlex von Bayern, Baden, Württemberg, Hohenzollern, Hessen und Elsafs- Lothringen mit 133.749 qkm und in der Ein- wohnerzahl Sachsen-Meiningen mit 234.000 Ein- wohnern gleichkommt. Der englische Landbesitz, die Capcolonie nebst Natal und Zululand, umfaſst 827.690 qkm mit 2822.000 Einwohnern, also ein Gebiet, das räum- lich etwa Deutschland und Oesterreich ohne Dal- matien (827.835 qkm) und in der Einwohnerzahl der Provinz Brandenburg mit 2,821.695 Ein- wohnern gleichkommt. Das hieraus sich ergebeude Verhältnis der Bevölkerungsdichtigkeit — gegen- über 70 bis 100 Einwohnern per Quadratkilometer in den angeführten deutschen Ländern in Trans- vaal 284, im Ocanje-Freistaat 1·58, im Capland 34 Einwohner auf dem Quadratkilometer — gibt schon einen Begriff von den nach europäischen Vorstellungen völlig verschiedenen Verhältnissen des afrikanischen Kriegsschauplatzes in Bezug auf die Hilfsquellen für Ernährung größerer Truppen- massen, auf Unterkunft, Etappenstraßen u. dgl. Mit welchen räumlichen Verhältnissen aber die Engländer zu rechnen haben und welche Anforde- rungen an Marschleistungen, welche Schwierigkeiten für den Nachschub und die rückwärtigen Verbin dungen damit zusammenhängen, davon erhalten wir einen in die Angen fallenden Begriff, wenn wir gleichartige, unseren räumlichen Vorstellungen näher liegende Entfernungen auf den dortigen Kriegs- schauplatz übertragen und beispielsweise statt von Pretoria von Berlin ausgehend, die in Frage kommenden Hauptentfernungen, in der Luftlinie gemessen, lediglich nach dem Raum, ohne Rück sicht auf Boden- und Verkehrsverhältnisse ver- gleichen. Danach würden die gegenwärtigen Haupt- kriegsschauplätze von Berlin etwa folgendermaßen liegen: Der Kampfplatz Ladysmith bei Iglau in Mähren, der Kampfplatz Mafeking bei Hannover, der Kampfplatz Kimberley bei Speier. Die in den letzten Tagen von den Buren erreichten Punkte an bezw. in der Nähe der nach Südwest vorspringen- den Grenze des Oranje-Freistaates Hopelowu, Colesberg und Aliwal North, von Pretoria 600 und 650 km entfernt, würden etwa den Orten Schlettstadt, Rapperswyl am Züricher See und Nassereit in Tirol entsprechen. Aus diesen Ver- gleichen ergibt sich zunächst die vollständige Zu- sammenhanglosigkeit der einzelnen Kriegsschauplätze, die unter sich, ausgenommen Mafeking und Kim- berley, nicht nur jeder directen Verdindung durch Eisenbahn — die Bahnverbindung im Norden ist nur für die Buren benutzbar — sondern auch viel- fach durchgehender größerer Straßenverbindungen entbehren. Noch weit überraschendere Zahlen ergeben sich, wenn man sich die Entfernung von den englischen Ausschiffungspunkten nach den Kriegsschauplätzen bezw. nach den endgiltigen Zielen der kriegerischen Action, den beiden Hauptstädten Bloemfontain und Pretoria, vergegenwärtigt. Die nach den bisherigen Nachrichten zu den Ausschiffungen benützten Küsten- punkte sind hauptsächlich Capstadt an der Südwest- spitze des Caplandes und Durban in Natal. Von besonderer Bedeutung ist zunächst der letztere Ort,
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1899-12-05-n277_7115.jp2