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Ur. 277.
Dienstag, 5. December 1899.
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Da wir trotz allen officiöser und privater
Weisheit entstammenden Ableugnungen nicht einen
Augenblick an der politischen Bedeutung der eng-
lischen Reise des Kaisers gerichtet haben, hätten
wir eigentlich keinen Grund über Chamberlains am
letzten Donnerstag in Leicester gehaltene Rede, die
jetzt Gegenstand scharfer Erörterungen in allen
Zeitungen und in allen politischen Kreisen der Welt
ist, sonderlich erstaunt zu sein. Aber wir haben
nur von politischer Bedeutung, nicht von einer mit
England abzuschließenden Allianz gesprochen, schon
deshalb nicht, weil England sich grundsätzlich nicht
auf Allianzen einläſst, und weil Kaiser Wilhelm
bei der jetzt den Engländern im Allgemeinen sehr
wenig günftigen Stimmung des deutschen Volkes
wie der übrigen Völker schwerlich zu einer Allianz
zu haben ist. Indessen hat der Colonialminister
mit gewissen Einschränkungen von einer anglo-
deutschen Allianz gesprochen und diese noch auf die
Vereinigten Staaten von Nordamerika ausgedehnt.
Die Rede Chamberlains ist von der englischen so-
wohl wie von der deutschen Presse desavouirt, von
der französischen als eine Drohung aufgefasst
worden. Mit Recht und mit Unrecht zugleich.
Herr Chamberlain, der eine schnelle und
glänzende Carriere gemacht hat — früher war er
Bürgermeister von Birmingham — scheint die etwas
unenglische Gewohnheit zu haben, seine R den wie
seine Thaten zu überhasten. Ohne diese wie gesagt
unenglische Eigenschaft hätte er sich nicht so weit
mit Dr. Jamson eingelassen und nicht ohne genü-
gendere Vorbereitungen die Buren in den Krieg
hineingedrängt. Auf diese unenglische Eigenschaft,
zu welcher noch eine durch den unerfreulichen Ver-
lauf des von aller Welt verurtheilten Krieges er-
zeugte oder auf das Aeußerste gesteigerte Nervosität
kommt, ist die Chamberlainische Rede zurückzu-
führen.
Er weiß, daſs die Mehrheit derer, die selbst
den Krieg mit den Buren in England billigen, die
mangelhafte Vorbereitung und schlechte Führung
des Krieges bitter tadeln. Er weiß ferner, daſs eine
viel größere Anzahl, als es den Anschein hat, den
Krieg gründlich missbilligt. Nur die begreifliche und
in England besonders tief eingewuzelte Sitte,
während eines Krieges alle Parteidifferenzen fallen
zu lassen und dem Auslande gegenüber möglichst
einig zu scheinen, hat der Regierung die großen
Parlamentsmajoritäten und die kriegswüthigen Zei-
tungsartikel verschafft Er sieht jetzt, etwas zu spät,
ein, daſs der Krieg mit den Buren nicht nur an
sich keine Kleinigkeit ist, sondern auch die schwierigsten
Verwicklungen und die ernstesten Folgen haben
kann. Er hatte den Wunsch und fühlte das Be-
dürfnis einer Anlehnung und wollte gleichzeitig das
englische Volk, das er ebenfalls nervös glaubte,
beruhigen und andere Völker, die etwa Lust hatten,
aus den Verlegenheiten Englands Nutzen zu ziehen,
durch den Hinweis, daſs England keineswegs iso-
liert sei, zu warnen. In dieser Stimmung über-
trieb er theils absichtlich, theils unabsichtlich die
wirklich getroffenen Abmachungen und malte zu dem
mit lebhaften Farben aus, was im Grunde Jedem
als selbstverständlich bekannt ist und einleuchtet.
Die augenblickliche Lage Englands bietet einigen
Mächten ungewöhnlichen Anreiz zur Ausnützung,
hat man in England sich ja doch sogar genöthigt
gesehen oder wenigstens veranlasst gefühlt, einige
heimische Häsen in Vertheidigungszustand zu setzen.
Man kann daraus schließen, wie sehr es für ent-
fernte Theile des Reiches und gar für gewisse
„Interessensphären“ fürchten muss. Kaiser Wilhelm
war nicht gewillt, diese Lage durch eine feindselige
Haltung auszunützen. Aber er dachte ganz richtig,
in solcher Lage werde England in der Gebelaune
sein, leichter über viele Dinge mit sich handeln
lassen. Das war ihm eine zudem längst verspro-
chene Reise über den Kanal wert. Und er hat sich
nicht getäuscht. Noch ehe er die Reise antrat, hatte
England in der Samoafrage nachgegeben, und in
dem persönlichon Verkehr wurden allerlei coloniale
Schwierigkeiten beseitigt, die England keine beson-
deren Opfer kostete, Deutschlad keine besonderen
Verpflichtungen auferlegte. Es hat sich herausgestellt,
daſs man schnell einig werden konnte. Dieses Ueber-
einkommen, dieses Einverständnis in Betreff
einiger vergleichsweise nebensächlicher Dinge, die
aber, wenn ungeregelt, einmal zu ungelegener Zeit
unbequem werden konnten, hat der hastige, nervöse,
sanguinische und nach einem politischen Beruhigungs-
mittel für Andere suchende Chamberlain als ein
Uebereinkommen, ein Einverständnis überhaupt
hingestellt. Und bei der Gelegenheit tischte er auch
einige allgemeine Wahrheiten auf, wie die, daſs die
Deutschen und Engländer blutsverwandt sind, dass
sie keinerlei widerstreitende, politische Interessen
haben, daſs ein Zusammengehen Deutschlands und
Englands das Natürlichste von der Welt wäre,
daſs aus denselben Gründen Amerika mit den beiden
Ländern eine Tripelallianz bilden, und dass ein
Einverständnis der germanischen und den zwei
großen Zweigen der augelsächsischen Rassen ein
mächtiger Einfluſs in der Welt sein köante.
Denkt man sich den Burenkrieg weg — nur
daſs ohne diesen das alles schwerlich gesagt worden
wäre — dann kann Niemand bestreiten, daſs die
Deutschland, England und Amerika.
Die räumlichen Verhältnisse in
Transvaal.
Nachdem die Ausschiffung der Engländer in
Südafrika beinahe beendet sind, treten neben
der dadurch veranlassten numerischen Verschiebung
den Kräfteverhältnisse zwischen Engländern und
der Buren auch die räumlichen Verhältnisse erneut
in den Vordergrund. Aus einem Vergleich der
südafrikanischen Staaten mit deutschen Ländern
geht, so schreibt die „Köln. Ztg.“, hervor, daſs
die Südafrikanische Republik (Transvaal) mit
326700 qkm und 932000 Einwohnern räumlich
dem Königreich Preußen ohne die Provinz West-
falen, 328400 qkm, und in der Einwohnerzahl
etwa dem Regierungsbezirk Wiesbaden, 906.293
Einwohner, entspricht, während der Oranje-Frei-
staut mit 131.070 qkm und 230000 Einwohnern
annähernd dem Ländercomlex von Bayern, Baden,
Württemberg, Hohenzollern, Hessen und Elsafs-
Lothringen mit 133.749 qkm und in der Ein-
wohnerzahl Sachsen-Meiningen mit 234.000 Ein-
wohnern gleichkommt.
Der englische Landbesitz, die Capcolonie nebst
Natal und Zululand, umfaſst 827.690 qkm mit
2822.000 Einwohnern, also ein Gebiet, das räum-
lich etwa Deutschland und Oesterreich ohne Dal-
matien (827.835 qkm) und in der Einwohnerzahl
der Provinz Brandenburg mit 2,821.695 Ein-
wohnern gleichkommt. Das hieraus sich ergebeude
Verhältnis der Bevölkerungsdichtigkeit — gegen-
über 70 bis 100 Einwohnern per Quadratkilometer
in den angeführten deutschen Ländern in Trans-
vaal 284, im Ocanje-Freistaat 1·58, im Capland
34 Einwohner auf dem Quadratkilometer — gibt
schon einen Begriff von den nach europäischen
Vorstellungen völlig verschiedenen Verhältnissen des
afrikanischen Kriegsschauplatzes in Bezug auf die
Hilfsquellen für Ernährung größerer Truppen-
massen, auf Unterkunft, Etappenstraßen u. dgl.
Mit welchen räumlichen Verhältnissen aber die
Engländer zu rechnen haben und welche Anforde-
rungen an Marschleistungen, welche Schwierigkeiten
für den Nachschub und die rückwärtigen Verbin
dungen damit zusammenhängen, davon erhalten wir
einen in die Angen fallenden Begriff, wenn wir
gleichartige, unseren räumlichen Vorstellungen näher
liegende Entfernungen auf den dortigen Kriegs-
schauplatz übertragen und beispielsweise statt von
Pretoria von Berlin ausgehend, die in Frage
kommenden Hauptentfernungen, in der Luftlinie
gemessen, lediglich nach dem Raum, ohne Rück
sicht auf Boden- und Verkehrsverhältnisse ver-
gleichen.
Danach würden die gegenwärtigen Haupt-
kriegsschauplätze von Berlin etwa folgendermaßen
liegen: Der Kampfplatz Ladysmith bei Iglau in
Mähren, der Kampfplatz Mafeking bei Hannover,
der Kampfplatz Kimberley bei Speier. Die in den
letzten Tagen von den Buren erreichten Punkte an
bezw. in der Nähe der nach Südwest vorspringen-
den Grenze des Oranje-Freistaates Hopelowu,
Colesberg und Aliwal North, von Pretoria 600
und 650 km entfernt, würden etwa den Orten
Schlettstadt, Rapperswyl am Züricher See und
Nassereit in Tirol entsprechen. Aus diesen Ver-
gleichen ergibt sich zunächst die vollständige Zu-
sammenhanglosigkeit der einzelnen Kriegsschauplätze,
die unter sich, ausgenommen Mafeking und Kim-
berley, nicht nur jeder directen Verdindung durch
Eisenbahn — die Bahnverbindung im Norden ist
nur für die Buren benutzbar — sondern auch viel-
fach durchgehender größerer Straßenverbindungen
entbehren.
Noch weit überraschendere Zahlen ergeben sich,
wenn man sich die Entfernung von den englischen
Ausschiffungspunkten nach den Kriegsschauplätzen
bezw. nach den endgiltigen Zielen der kriegerischen
Action, den beiden Hauptstädten Bloemfontain und
Pretoria, vergegenwärtigt. Die nach den bisherigen
Nachrichten zu den Ausschiffungen benützten Küsten-
punkte sind hauptsächlich Capstadt an der Südwest-
spitze des Caplandes und Durban
in Natal. Von
besonderer Bedeutung ist zunächst der letztere Ort,
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-12-05-n277_7115.jp2