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„Karlsbader Badeblatt und Wechenblatt“ Nr. 271
28. November 1899
Majorität ist in diesen Tagen eine offene Ob-
struction der jungtschechischen Partei geworden. Die
Majorität wird voraussichtlich nicht nur nicht die
Polizei gegen die jungtschechische Obstruction auf-
marschieren lassen, sie wird ihr im Gegentheil wahr-
scheinlich als wertvolle Deckung dienen. Eine so
streng geschäftsordnungsmäßige Behandlung wie diese
hat noch keine Obstruction im österreichischen Ab-
geordnetenhaus gefunden. Der Obstructionsantrag
Dolezal ist seit Baron Chlumeckys Ziten der erste
gewesen, der correcter Weise vor der Tagesordnung
zur Verhandlung zugelassen worden ist, und die
Rede-undVorlesefreheit, welcher sich die Jung-
tschechen bei diesem Gang erfreuten, war für die
parlamentarischen Gewohnheiten dieses Landes eine
geradezu ideale zu nennen. Zum Obstruieren
braucht man keine Majorität. Die Waffe der
Majorität ist die Abstimmung, und da diese Waffe
dem größeren Theil der Majorität nunmehr ge-
nommen ist, hat sie sich durch Detachierung des
jungtschechischen Corps in eine Minorität verwan-
delt. Die äußeren Umstände liegen günftig für die
jungtschechische Obstruction. Aber freilich gehört
zum Obstruieren nicht bloß äußere, sondern auch
ein gewisses Maß von innerer, moralischer und
intellectueller Kraft. Ob die durch ein zweiein-
halbjähriges Sprachenverordnungs- und § 14.
Regime corrumpierten Jungtschechen diese Capacität
noch aufbringen, das ist die wichtigste Frage, von
der der Erfolg ihres Unternehmens abhängt.
Gelingt es, dann sitzt doch der Graf Ciary
wieder in der Mausefalle drinn, der er eben ge-
schickt entkommen zu sein glaubte. Wenn die Jung-
tschechen die rechtzeitige parlamentarische Erledigung
der dringlichen Regierungsvorlagen bis zum Jahres-
schluss verhindern, so kommt wieder der § 14 dran,
den Graf Clary conserviert hat, und da Graf Clary
— nicht nur wegen seines Versprechens, sondern
noch viel mehr weil er keine amneſliebereite Majorität
für sich hat — der Anwendung dieses Paragraphen
für seine Person nicht fähig ist, muss er weichen
und einem § 14-fähigen Mann Platz machen. Hätte
Graf Claty den § 14 aufgehoben, so würde die
Majorität heute ein sehr hohes Spiel wagen. Da
ihr Graf Clary den § 14 gelassen hat, geht sie
fast sicher. Der Mann, der im vorausgesetzten
Fall dem Grafen Clary folgt, muss ein der Ma-
jorität genehmer Mann' sein, weil er sonst nicht
ohne persönliche Gefahr den § 14 missbrauchen
könnte. Graf Clary hat inzwischen durch seinen
merkwürdigen Constitutionalismus, trotz der Kürze
seiner Regierungszeit, schon dafür gesorgt, daſs
man, wenn er diesmal unterliegt, ihm immerhin
nicht allzuviele Thränen nachweinen wird. Er
fällt seiner eigenen Halbheit zum Opfer.
(Die Zeit“.)
besitze, und wenn Du Dich einer besseren Einsicht
verschließt, so müssen wir Alle die Folgen davon
tragen!
Soeben wollte Graf Feodor heftig auffahren.
Er war aufgesprungen und stand nun seinem Sohn
mit zornfunkelnden Augen gegenüber. Der ruhige,
doch feste Widerstand desselben erbitterte ihn aufs
äußerste.
Da plötzlich öffnete sich die Thür und Roden
trat ein. Wohl gerade im rechten Moment, denn
voraussichtlich hätten die nächsten Minuten einen
vollftändigen Bruch zwischen Vater und Sohn herbei-
geführt. Die beiden Männer waren in so gereizter
Stimmung, daſs vielleicht Worte gesprochen worden
wären, die niemals wieder hätten ausgeglichen
werden können.
Beide mochten das fühlen, denn sie empfingen
den Baron mit unverhohlener Freude.
„Auch Du bist in der Residenz?“ fragte Ewald
überrascht, „ich hatte keine Ahnung davon.“
„Ich betrachte Sie als unseren besten Freund“,
begann Graf Feodor ohne Umschweife, „und ich bin
überzeugt, daſs Ewald Sie gleichfalls zu seinem
Vertrauten gemacht. Ich bitte Sie um Ihre un-
umwundene Meinung in dieser Angelegenheit,
Baron! Sind sie gleichfalls der Ansicht, daſs
Ewald uns diese Schmach anthun darf, jene Frau
nach wie vor zu unserer Familie gehörig zu be-
trachten?“
(Das vorgestrige Nachmittags-
concert) im Kurhause, welches zu Gunsten des
Armensondes veranstaltet wird, war das bisher
bestbesuchteste und brachte dem humanen Zwecke
trotz des viedrigen Entrées (20 kr. per Person)
nahezu 80 fl. Das gewählte Programm, das Herr
Musikoi ector Labitzky persözlich dirigiert, fand vielen
Beifall und spcei das J F. Wagner'sctze
Stiutwungsbild „Muschelrauschen“ mos te wieder-
holi werden. — Eine zahlreiche Gästeschaar hotte
sich aus der Umgebung eingefunden.
(Abend-Concert der Kurkapelle)
Heute Abend 71/2 Uhr findet im Kurhause ein Corcert
der Kurkapelle mit nachstehendem Programme statt:
1. Kosaken-Marsch von Sperber. 2. Oaverture
zur Oper „Jessonda“ von Spohr. 3. Fliegende
Blätter, Walzer von Seiferl. 4 Faxtasie a. d.
Op. „Lacia“ von Donizetti. 5. In Park Bred-
bect, Concert Polka von Drechsler. 6. Serenade
italienne von Czibulka. 7. Instrumentale Plau-
derei, Caprice von A. Labitzky. 8. Verlorenes
Glück rumänisches Lied von Sprowacker. 9. Waffn
ruf des Kaisers, Air militaire von Clarens.
(Zur Uebernahme der Rennbahn)
Wir brachten kürzlich die aus einem Wiener
Blatte extlehnte Notiz, daſs der österreichische
Jockeyclub in Wien die Karlsbader Reunbahn vom
böhm. Rennverein übernehmen werde. Wir kaüpften
an diese auf alle Fälle freudig überraschende Nich-
richt einige Zweifel, weil wie uns ganz wohl einer
Aeußerung erinnerten, die in Kreisen des höhm.
Reunvereines von maßgebenden Persönlichkeiten
gefallen ist, daſs der böhm. Reunverein die Bahn
nicht sobald ablassen werde. Nun erhalten wird aber
von einem Freunde unseres Blattes, der gegen-
wärtig in Wien weilt, und der sich in besagter
Angelegenheit erkundigte, die ihm von gut
unterrichteter Seite gemachte Mittheilung, dass
die Uebernahme der Bahn durch den Jockeyclub
zwar noch nicht perfect abgeschlossen ist, daſs aber
dieselbe jedenfalls zu Stande kommen
wird. Unser Gewährsmann theilt uns weiters
mit, daſs der Jockeyclub, wenn er den Pacht über-
nehmen würde, die bestimmte Absicht habe, ein
Meeting mit neun Tagen abzuhalten. Nach den
Anschauungen der Sportsmen würde der Karls-
bader Renuplatz bedeutend gewinnen und erst den
richtigen internationalen Character erhalten, wenn
obige Uebernahme perfect würde.
(Zinsfußerhöhung) Infolge Beschlusses
des Sparcassa-Ausschusses vom 28 November 1899
wird der Zinsfuß für sämmtliche bei der Karlsbader
Sparcossa bestehenden Einlagen vom 1. Jänner
1900 an von 3 6 % auf 4 % erhöht. Es werden
demnach sämmtliche Einlagen (alte und neue) vom
1. Jänner 1900 an mit 43 % verzinst werden.
Der Zinsfuß für Hypothekardarlehen wird vom
1, Jänner 1900 an von 41/2 % auf 52/% erhöht.
Die 11/2 /0 Rentensteuer von den Zinsen der Spar-
einlegen wird wie bisher von der Karlsbader Spar-
cassa selbst bestritten und den Einlegern nicht in
Abzug gebracht.
(Karlsbader Bezirksvertretung.)
Nächsten Montag den 4 December findet um
10 Uhr vormittags im städtischen Sitzungssaale
(Neubad) eine ordentliche Sitzung der Karlsbader
Bezirksvertretung statt.
(Wahlen in den Cultusvorstand.)
Sonntag den 26. d. M. fand hier die Wahl für
den 3. Wahlkörper der israelitischen Cultusgemeinde-
repräsentanz statt. Von 188 Wählern erschienen
100 und die Wahl ergab folgendes Resultat:
Es entfielen auf die Herren: Ludwig Moser 97,
Josef Hainsfurth 92, Adolf Rosenfeld 87, Bernh.
Löwenstein 73, Gust Löbl 72, Ludwig Zeutner 71.
Stmmen. Als Ersatzmänner wurden gewählt: die
Herren David Stein, Jgnaz Kandler u. Wilhelm Adler.
In die Umlagencommission: die Herren Leopor.
Lederer, Ignaz Herzig, A. Löwy. Als Cassacontrolor
Herr Max Bederer.Die Wahl für den II. Wahl-
körper findet Dienstag den 28. d. M., für den
I. Wahlkörper Donnerstag den 30, d. M. statt.
(Das Turnerkränzchen), welches am
verflossenen Samstag unser Turnverein (1860) im
Kurhause veranstaltete, war weniger gut besucht:
zur Freude der jungen tanzlustigen Leukchen, zum
Leide der Turnercassa! Unser Publicum ist nun
einmal seit Jahren daran gewöhnt, daſs unser
tüchtige Turnverein seine Leistungsfähigkeit nicht im
Tanzen, sondern speciell durch seine bekannten
üblichen turnerischen Glanznummern beweist und so
schenkte man dem Kränzchen, sofern man nicht
selbst Tänzer ist, weniger Beachtung. Vielleicht hat
auch die Zeit vor Weihnachten dem Besuche Ab-
bruch gethan. — Die junge fröhliche Damen- und
Herrenwelt freilich, die „des Tanzes halber“ er-
schienen und die bei Vortragsabenden gewöhnlich
nur zerstreut mit halben Ohre lauscht und halbem
Auge si h, die war natürlich mit dem Arrangement
einverstanden, sie konnte sich einmal ordentlich aus-
t 25ez!
(Theater Variété im Hotel Weber.)
Heute findet keine Vorstellung statt. Morgen Mitt-
woch gelangt H'nbergers populäre und melodiöse
Operette „Der Opernball“ mit den Damen Krahl,
Zähler und den Herren Wreden und Zähler in
den Hauptpartien zur Aufführung. — Von jetzt
ab verkehren täglich um 7 Uhr abends Tramway-
Onuibusse vom „Hotel Schild“ ins Theater und
retour, und kostet eine Fahrkarte 20 kr.
(Zur Erbaunung des Centralbahn-
hofes nimmt nus auch die „Marienbader Z'g.“
Stellung. Sie schreibt: „Ein neues Statio2sge-
bäude in Marienbad und ein großer, allen Anfor-
derungen entsprechender Cintralbahnhof in Karls-
bad sollten im heurigen Herbste in Angriff ge-
nommen werden. Wie dringend nothwendig ein
neues, dem riesigen Bahnverkehre entsprechendes
Statiousgebäude in Marienbad ist, haben wirch
wiederholt ausführlich dargelegt; ebenso haben die
Karlsbader Blätter unermüdlich' betont, daſs der
provisorische sogenannte Ceutralbahnhof in Karls-
bad ganz und gar unzureichend ist und eine Satyre
auf die Bezeichnung „Centra bahnhof“ bildet. Trotz-
dem seiteus der maßgebenden Factoren die unauf-
schiehbare Nothwendigkeit die Erbauung eines neuen
Bahnhofes in Marienbad und eines Tentralbahr-
hofes in Karlsbad anerkannt werden muss, trotzdem
bereits dort wie hier die Pläne fertiggestellt lied,
geschieht gar nichts in diesen Angelegenheiten, und
die Verschleppungstheorie wird auch bezüglich dieser
brennenden Fragen in Anwendung gebracht. In
den Bahnhöfen der beiden Weltkurorte Karlsdad
und Marienbad concentriert sich jährlich ein Per-
sonenverkehr von mindestens einer Million Passa-
gieren, während die Bahnhöfe kaum für ein Viertel
dieses Verkehres hinreichen. Damit die Errichtung
des Centralbahnhofes in Karlsbad und die E.-
bauung eines entsprechenden Stationsgebändes in
Marienbad nicht wieder auf Jahre hinaus ver-
schleppt werde, sollten die beiden Karorte ihre Ab-
geordneten beauftragen, die eheste Realisierung der
beiden Bahnhof-Projecte mit aller Eaergie zu be-
treiben. Das erste Betriebsjahr der Bahn Karls-
bad Marienbad hat die Rentabilität derselben außer
Frage gestellt, und wie glänzen) würde sich die-
selbe entfalten, wenn der Karlsbader Centralbahnhof
und das Marienbader Stationsgebäude entsprechend
hergestellt und der dieser Bahn aufgedrungene Cha-
rakter einer Localbahn, welcher sich jedoch that-
sächlich nicht erhalten lässt, endlich behoben würde!“
(Der Sprudelausbruch vom Jahre
1788.) Zu unserer vorgestrigen Notiz sendet uns
Herr Stadtgeologe Knett nachstehende Zeilen,
welche dieselbe in erwünschter Weise mehrfacher
richtigstellen: „Der Sprudelausbruch vom Jahre
1788 bezieht sich nach D. Bechers Werk auf zwei
Stellen „im tiefen Töpelfluß“, wovon die eine,
(mit PPP bezeichnet) näher dem Sprudelbergl und
dem Sprudelfteg, die andere (SS) weiter abwärts
am linken Teplufer gelegen war; beide Ausbrücht
können wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit, nicht
aber mit Sicherheit mit denjenigen ideutificiert
werden, welche man noch vor Beginn der Demo-
lierungsarbeiten beobachten konnte. Die erstere Aus-
bruchsstelle (P), welche insbesondere Ende der 80 Jahre
wieder stark zu sehen gewesen sein soll, wollte man
im Herbste 1890 verbauen, doch wurde diese Ab-
sicht durch die eingetretene Hochwasserkatastrophe,
welche das bereits hergestellte Dämmwerk wegfegte,
zunichte gemacht. Ich habe die Angelegenheit 1896
und in der Folge neuangeregt, doch schien es that-
sächlich rathsam, die Zeit abzuwarten, bis die jetzigen
Neubaustellen durch einen dichten Betonverban, der
mindestens 1 Meter betragen sollte, gesichert wären.
Die zweite Stelle (S) zeichnet D. BecherimMitte
Socal-Nachrichten.
(Fortsetzung folgt.)
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-11-28-n271_6840.jp2