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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 250
3. November 1899
(Für die Privatbahnbediensteten.) Die
Abgeordneten Dr. Schücker, Dr. Götz, Dr. Fournier und
Genossen brachten folgende Intervellation an den Eisen-
bahnminister wegen Erhöhung der Bezüge der bei den
Privatbahnen in Verwendung stehenden Bediensteten ein:
In der Sitzung des hohen Hauses vom 24. October 1899
hat Se. Exc. der Herr Eisenbahnminister in Beantwortung
einer diesbezüglich an ihn gestellten Interpellation erklärt,
daſs die Regelung der Gehalte der Staatsbahnbediensteten
mit 1. November 1899 in Kraft treten werden. Demzu-
folge werden die Staatsbahnbediensteten mit diesem Zeit-
punkte höhere Bezüge genießen, was mit Rücksicht auf die
schwere Verantwortlichkeit des Eisenbahndienstes und die
mit demselben geforderte unermüdliche und aufreibende
Thätigkeit bei bisher sehr karger Entlohnung nur gut-
geheißen werden kann. Ju gleichen Verhältnissen befinden
sich auch die bei Privatbahnen in Verwendung stehenden
Bediensteten, welche dieselben Pflichten zu erfüllen haben,
wie die Staatsbahnbediensteten, daher wohl auch nicht
weniger einen gleichen Anspruch auf die Regulierung und
Erhöhung ihrer Bezüge haben, damit sie nicht etwa
schlechter gestellt sind, als die im Staatsbahnbetriebe au-
gestellten Bediensteten. Auch an das Personale des Privat-
eisenbahubetriebes werden von Jahr zu Jahr erhöhte An-
forderungen gestellt. Auch sie leiden an der Unzulänglich-
keit ihrer Bezüge, die ihnen nicht mehr die Mittel zur
Bestreitung des Lebensunterhaltes zu bieten vermögen.
In Erwägung dieser Thatsache stellen daher die Gefertigten
an Se. Exc. den Herrn Eisenbahnminister die Anfrage:
„Ist Se. Excellenz geneigt, auf die Verwaltungen der ver-
schiedenen Privoteisenbahnunternehmungen einzuwirken, daſs
auch diese behufs Gleichstellung ihres Personales mit den
Staateisenbahnbediensteten eine entsprechende Regulierung
und Erhöhung der Bezüge der bei ihnen in Verwendung
stehenden Bediensteten mit 1. November 1899 in Wirksam-
keit treten lassen?“
(Eine neue Meldung über den Unter-
gang Andrées.) In der „Times“ veröffentlicht nach
der „Fr. Ztg.“ der Contreadmiral H. Campion einen
Abschnitt aus einem Briefe aus Fort Churchill, dem nörd-
lichsten Posten der Hudson-Bai-Gesellschaft, worin viel-
leicht Nachricht vom Schicksale Andrées enthalten ist. Der
Brief ist vom 1. Angust datiert und von einem Neffen
des Admiral Campion, A. D. Alston, der Fort Churchill
seit fünf Jahren verwaltet und die Sprache der Eskimos
versteht, verfasst. Die mitgetheilte Stelle lautet: „Sie
werden vielleicht sehr erstaunt sein, zu hören, daſs die
Andrée'sche Expedition im hiesigen Norden untergegangen
ist. Zu Anfang dieses Frühjahres kam ein Eskimo Namens
Old Donals Son mit einigen anderen Eskimos in unser
Magazin, um Einkäufe zu machen. Nachdem sie damit
fertig waren, giengen sie Alle aus dem Magazin hinaus
mit Ausnahme von Old Donalds Son, welcher fragte, ob
der Ballon aufgestiegen sei, da letzten Sommer im Norden
zwei weiße Männer getödtet worden seien, und man
glaubte, daſs diese von dem Ballon kämen. Ich schenkte
dieser Geschichte nicht viel Beachtung, berichtete sie aber
pflichtgemäß an Dr. Milne im Fort York. Später jedoch
kamen zwei andere Eskimos, Stockby und sein Bruder,
und diese brachten Nachrichten, welche sehr wenig Zweifel
darüber obwalten lassen, daſs die Andrée'sche Expedition
hier im Norden zugrunde gegangen ist. Stockbys Bruder
begegnete, als er im vergangenen Sommer auf Moschus-
ochsen jagte, vier weißen Männern, welche Hirsche schossen.
Einige Estimos, welche hinzukamen, sahen die Hirsche
nicht und glaubten, die weißen Männer schössen auf sie.
Darauf nahmen sie ihre Pfeile und Bogen und erschossen
zwei der Weißen, wobei sie den einen sofort tödteten. Die
anderen beiden liefen fort und wurden von den Eskimos
verfolgt, ob sie entkommen sind oder nicht, weiß man nicht.
Stockbys Bruder sah die beiden armen Menschen daliegen,
die Pfeile steckten in ihnen. Der eine war ein Mann in
mittlerem Lebensalter, der kurz, breit und stämmig war.
Der andere war ein junger Mann. Der ältere trug einen
Knickerboker Anzug mit gestreiften Strümpfen, der andere
hatte einen Tuchanzug an, und beide trugen Mützen mit
Blechmarken. Die Eslimos wollten haben, daſs Stockbys
Bruder mit ihnen zurückgehe, da ein großes rundes Ding,
voll von Tabak, Kleidungsstücken, Munition u. s. w. im
Norden läge, er gieng aber nicht mit. Er brachte jedoch
zwei Wolfsfell-Teppiche mit und einen Theil eines Es-
kimoanzuges, wie er im hohen Norden getragen wird, nur
um zu zeigen, daſs er so weit gewesen war, wie er sagte.
Ich habe dies dem Commissar gemeldet.“
Schreiben der Deutschen Volkspartei an die
Schönerer Gruppe: Wir haben wiederholt darauf
hingewiesen, wie wenig es den Interessen der
Deutschen in Oesterreich entsprechen würde, wenn
ihre Vertreter weiter auf dem extremen Stand-
punkte verharren wollten. Die allerdings resultat-
los gebliebenen Versuche, welche anläßlich der
Delegationswahlen von dem extremsten Flügel, der
Schönerer Gruppe, gemacht worden sind, an dem
früheren negativen Standpunkte festzuhalten, stellen
sicherlich den am wenigsten geeignetsten Weg dar,
den Deutschen die Stellung im österreichischen
Staatsleben wieder zu erringen, welche der wirt-
schaftlichen und geistigen Bedeulung der deutsch-
österreichischen Bevölkerung gebürt. Es kann dieses
Ziel augenscheinlich doch nur dadurch erreicht werden,
daſs die öſterreichischen Deutschen die volle Arbeits-
kraft in den Dinst des Gemeinwohles stellen und
daſs die österreichischen Deutschen posi ive Arbeit
im Dienste des Vaterlandes leisten. Nur so werden
die Deutschösterreicher das Maß von geistiger Kraft,
über welches sie verfügen, auch voll im Interesse
ihres Ansehens und ihres Einflusses auf die Ange-
legenheiten des Staates nutzbar machen können.
Genf, 1. Nov. Der Gemeinderath hat mit
den Abbé Blanchard einen Vertrag, betreffend den
Verkauf eines Terrains zum Zwecke der Errichtung
einer Gedächtniskapelle für weiland Ihre Majestät
die Kaiserin Elisabeth abgeschlossen.
Königgrätz, 2 Nov. Heute fand die feierliche
Einweihung des Ostariums auf dem Königgrätzer
Schlachtf lde in Chlum statt
Wien, 2. Nov. Se. Maj stät der Kaiser er-
schien heale Früh in der Kapuzinergruft und ver-
richtete kurze Andachten zunächst beim Sarkophage
Weiland Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabetb,
dann bei jenem Weiland des Krosprinzen Rudolf
und der Etern Sr. Majestät des Kaisers sowie
des Erzherzogs Albrecht.
Wien, 2. Nov. Der Kaiser stattete heute
Nachmittag dem Könige von Griechenland einen
/stündigen Besuch ab. Die Begrüßung und Ver-
abschiedung war sehr herzlich. Der König von
Griechenland erwiderte den Besuch in der Hofburg.
Wien, 2. Nov. Ziehung der 1860er Staats-
loose: Den Haupttreffer von 300.000 Gulden ge-
winnt Serie 3561 No. 2; 50.000 fl. S. 3033
No. 15; 25.000 fl. S. 18251 No. 9; es ge-
winnen ferner je 10.000 fl. S. 3182 No. 10,
S. 13077 No. 16, je 5000 fl. S. 2097 No. 18,
S. 4925 No. 1, S. 6198 No. 16. S. 6431 No. 8,
S. 8299 No. 11, S. 10824 No. 1, S. 10876
No. 2, S. 11376 No. 20, S. 11747 No. 7,
S. 12072 No. 8, S. 12082 No. 11, S. 12666
No. 18, S. 13041 No. 7, S. 17829 No. 7 und
S. 19554 No. 4.
Rudapeff, 2. Nov. Gestern erneuerten sich
die Studenten-Demonstrationen, jedoch im geringeren
Umfange. Die Polizei zerstreute die Demonstranten
und nahm zwei Verhaftungen vor.
Triest, 2. Nov. Nach Berichten aus Parenzo
wurde am 15. October am Eingang des Hauses
des Advechten Branco in Buje ein dem Anscheine
nach mit Dynamit gefüllter, 10 cm. langer 4 cm.
im Durchmesser breiter Eisenblechcylinder vorge-
fundes. Derselbe war durch eine Zündschnur mit
einer heruntergebrannten Kerze verbunden. Das
ganze befand sich in einer leeren blechernen Petro-
leumkanne und war mit zwei Säcken verdeckt, was
vermuthlich die Entzündung der Zündschnur ver-
hinderte. Der Bezirkshauptmanu traf am 16 Oc-
tober an Ort und Stelle Verfügungen zur Eu-
ierung der noch unbekannten Thäter. Eine chemische
Analyse des Inhaltes wurde bereits angeordnet.
Edvocht Bradco ist Führer der jetzt am Ruder
befindlichen Agricoltori Partei. Die Petarde dürfte
von politischen Gegnern gelegt worden sein. Die
Erhebungen werden fortgesetzt.
Berlin, 2. Nov. Es verlautet, daſs das Cza-
ren-Paar am 7. November in Potsdam ein-
treffen werde.
Rom, 2. Nov. Cardinal Agliardi, der vom
Typhus befallen ist, wurde von den Aerzten aufge-
geben.
Paris 2. Nov. Bei dem Wettrennen von
Auteuil ereignete sich heute ein ernstlicher Zwischen-
fall. Das Publikum, unzufrieden mit dem Ergeb-
nis des Wettrennens durchbrach die Umzäunung des
Wiegeplatzes und zertrümmerte die Fenster. Be-
rittene Polizeimannschaften giengen gegen die Menge
und führten einige Verhaftungen aus. Einige Per-
sonen wurden leicht verletzt.
Paris, 2. Nov. Der Staatsgerichtshof wird
nicht, wie gemeldet, am 8. d. sondern erst am 9.
zusammentreten.
Bressuire, 2. Nov. Auf dem Bahnhofe von
Tonars fand heute um 2 Uhr früh ein Zusammen-
stoß zweier Züge statt. Zwei Bahnbedienstete wurden
getödtet und 10 Personen schwer verletzt. Dem
Deputirten Cuneo d'Ornano, welcher sich unter den
Verletzten befindet, sollen die Beine abgeschnitten
worden sein.
Paris, 2. Nov. Es bestätigt sich, daſs bei
dem Eisenbahnzusammenstoße im Bahnhofe von
Thonars dem Deputirten Cuneo d'Ornano beide
Beine gebrochen wurden. Zwei Bahnbedienstete
wurden getödtet, 6 Personen wurden schwer, 4
leicht verletzt.
Tschechische Excesse.
Dodruschka, 2. Nov. Vor Kurzem fand hier
ein Demonstrationsumzug statt, bei welchem den
Juden die Fenster eingeworfen wurden. Gestern
Abend begannen wieder auf dem Ringplatze An-
sammlungen. Gendarmerie und Polizei vereitelten
jedoch den beabsichtigten Umzug. Gegen die Gen-
darmerie wurden Steine geworfen. Es wurden
hiebei zwei Verhaftungen vorgenommen.
Anterkralowitz (Bezirk Led c), 2. Nov. In
der Nacht vom 31. October zum 1. November
kam es hier zu größeren Ruhtstörungen. In den
Häusern der Juden wurden die Fensterscheinen ein-
geschlagen. Wegen der Befürchlung einer Wieder-
holung der Excesse wurde gestern nachmiltgas eine
halbe Compagnie des 21. Inf. Reg. aus Czaslau
mittelst Vorspanns hierher dirigiert.
Gaya, 2. Nov. Ueber den bereits gemeldeten
Vorfall in der hiesigen Controlversammtung sind
noch besondere, charakteristische Mome te nachzu-
tragen. Schon zeitlich früh wurden Flugzettel ver-
theilt, welche die Aufforderung enthiekten, sich
demanstrativ mit „Zde“ zu melden. Vormittag um
11 Uhr begann die Versammlung im Hotel
Michalek, vor welchem sich eine große Merschen-
wenge angesammelt hatte. Der Haupimann machte
die Reservisten aufmerksam, das sie jetzt unter den
Bestimmungen des Militärstrafgesetzes stehen und
dass sich jeder bei der Verlesung seines Namens
mit „Hier“ zu melden habe. Trotz dieser Ermah-
nung meldete sich gleich der erste Reservist, namens
Daufek mit „Zde“. Der Hauptmaun verurtheilte
ihn fofort zu zehn Tagen Aerest und befahl dem
anwesenden Polizeiinspector den Mann abzuführen.
Der Polizeiinspector von Gaya, ein Czeche, wei-
gerte sich jedoch dem Auftrage nachzukommen mit
der Motivierung, daß die Gemeinde kein Arrestlokal
für Militä sträflinge habe. Hierauf führte ein Gen-
darm den Verurtheilten in das Amtssokal der Be-
zirkshauptmannschaft. Der Hauptmann erklärte so-
danr, daſs er mit Rücksicht auf diese Widersetzlich-
keit die Controlversammlung abbreche, und sich alle
Reserdisten in Kremsier nachzustellen haben. Die
Menge, welche inzwischen von der Verhaftung
Daufel's Kenntnis erlangt hatte, zog zur Bezirks-
hauptmannschaft und verlangte dringend die Frei-
lassung des Verhafteten. Die Situation war eine
so ernste, daſs der Bezirkshauptmann Dr. Zahradnik
dem Verlangen der angesammelten Menge nachgab
und die Freilassung des Arretierten verfügte. Jn-
belnd nahm die Menge den Freigelassenen in ihre
Mitte und zog unter demonftrativen Rofen und
unter Ansingung des „Hej Slovane!“ zum tsche-
chischen Vereisshause, wo sie sich dann nach Absingung
des „Kde domov muj!“ zerstreute. — Aus Göding
wird gemeldet: Heute nachts sind von hier nach
Gaya drei Escadronen des 15. Dragonerregiments
abgegangen. Es cirkuliert das Gerücht, daſs der
israelitische Tempel und noch einige andere, den
Juden gehörige Häuser daselbst in Brand stehen.
ver
niß
Telegrapsiische Gladiriciten.
Berlin 1. Nov. Die „Berliner Neuesten
Nachricht“ bemerken in einem Artikel zu dem
England und Transvaal.
London, 1. Nov. Die Morgenblätter ent-
halten sich, ohne die Größe des England wider-
fahrenen Unglückes zu bemänteln, einer Kritik der
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-11-03-n250_5810.jp2