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4. October 1899 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 225 Seite 5 Vom Büchertilch. Der Deutsche Schulvereins-Kalender erscheint heuer in seinem 14. Jahrgange, zum erstenmale nach Gras- bergers Tode unter der Schriftleitung Hermann Hango's. Die Bemühung der neuen Leitung war sichtlich vor Allem, das echtdeutsche Wesen des Kalenders in der Weise fest- zuhalten, daſs dieses nicht bloß in den schon stofflich nationalen Ceiträgen zum Ausdrucke kommt, sondern daſs jede literarische Gabe des Büchleins das Gepräge deutsch- volksthümlichen Wesens trägt. Die Ausführung dieses Vorhabens wurde dem Schriftleiter durch die bereitwillige Mitarbeiterschaft hervorragender heimischer Schriftsteller ermöglicht. Ferdinand v. Saar weiht das schöne, tief- empfundene Eingangsgedicht „Elisabeth von Oesterreich“ dem Angedenken unserer, dem Leben auf so tragische Weise entrisienen Kaiserin; die Persönlichkeit und Be- deutung des gewaltigen, allen Deutschen so theueren Staatsmannes, Fürsten Otto von Bismarck, führt ein liebevolles Ged niblatt aus der Feder des Reichsraths- Abgeordneten Professor Josef Bendel den Lesern des Kalenders noch einmal vor Augen; mit einem ebenfalls ganz dem volkserziehlichen Bestreben gewidmeten Beitrage stellt sich Director Dr. Anton Frank ein; des todten Dichters Hans Grasberger gedenkt Peter Rosegger in einem ehrenden Nachrufe, während der Verewigte selbst noch einmal mit einer aus seinem Nachlasse stammenden Erzählung und einem seiner letzten Gedichte zu Worte kommt. Feine und gehaltvolle Arbeiten novellistischer Gattung steuern die Schriftstellerinnen Auguste Klob und Lina Wasserburger, sowie der als Schilderer wienerischen Volkslebens bestbekannte Gustav Andr. Ressel dem heurigen Jahrbuche bei; im ländlichen Leben deutscher Gaue wurzeln die ergreifende Erzählung des steirischen Poeten Hans Fraungruber, die prächtige Böhmerwaldskizze des von Kennern wohlgeschätzten Johann Peter und Rudolf Klein- ecke's „Sonnwendfeuer“. Eine landschaftliche Schilderung aus dem Nachlasse Heinrich Noes, eine besonders lehr- reiche Darstellung von Professor Eduard Maiß über das Wesen der Telegrafie ohne Draht, ein literarisches Er- innerungsblatt Freydank-Groß' für den Dichter Freiherrn v. Gaudy und andere fachliche Darstellungen schließen sich ergänzend dem schöngeistigen Theile des Jahrbuches an, während zahlreiche Originalgedichte ernsten und heiteren Tones, alle von Dichtern unserer Tage, Pichler, Wicken- burg, Delle Grazie. Heroid, Bienenstein, Khuenburg, Haidt u. A., der im deutschen Herzen immer lebendigen Freude an échter Dichtung gewidmet sein wollen. Die illustrative Ausstattung des Kalenders, von der wir das nach dem Horowitz'schen Bilde hergestellte Medaillonbild der Kaijerin, sowie das nach dem Lenbach'schen Porträt wiedergegebene, von einer stylvollen Umrahmung getragene Brustvild des „eisernen Kanzl r“ hervorheben, besorgte Professor Willibald Schulmeister. Telegrapfiische Radiricten. Wien, 3. October. Die „Wiener Zeitung“ meldet: Se. Majestät der Kaiser hot nachstehendes Allerhöchste Handschreiben zu erlassen geruht: Leber Graf Thun! Ich finde Mich bestimmt, die von meinem Gesammtministerium für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder erbetere Demission in Gnaden zu gewähren und setze Sie in Kenntnis, daſs ich Meinen Statthalter in Steiermark, Manfred Grasen Clary Aldringen mit der Bildung des neuen Ministeriums betraut habe. Wien, am 2. Oct. 1899. Franz Josef m. p. Thun m. P. — Lieber Graf Clary! Ich ernenne Sie zu Meinem Ackerbauminister und betraue Sie zugleich provisorisch mit dem Vorsitze im Ministerrathe für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder. Wien, am 2. October 1899. Franz Joseph m. p., Clary m p. — Lieber Graf Thun! Indem Ich Sie über Ihr Ansuchen von dem Amte Meines Ministerpräsi- denten sowie von der Leitung Meines Ministe- riums des Innern in Gnaden enthebe, gedenke Ich dankbar der selbstlosen Bereitwilligkeit, mit welcher Sie in stets bewahrter Ergebenheit Mir unter den schwierigsten Verhältnissen neuerlich Ihre Dienste geliehen haben, und spreche Ihnen hierfür sowie für die patriotische Hingebung bei der Erfüllung der Ihnen obgelegenen Pflichten Meine volle Anerkennung aus, als deren äußeres Zeichen Ich Ihnen taxfrei das Großkreuz Meines St. Stephans-Ordens verleihe. Zugleich über- sende UIch Ihnen die Handschreiben, mit welchen Ich das Ansuchen Meiner übrigen Minister um Enthebung von ihren Aemtern genehmige, zur weiteren Veranlassung. Wien, den 2. Octoder 1899. Franz Joseph m. p. Wien, 3. Oct. Heute Mittag wurden alle scheidenden Minister von dem Kaiser in Abschieds- audienz empfangen. Wien, 3. Oct. Die Blätter bereiten dem neuen Cabinet eine freundliche Aufnahme, wobei sie auf die ausnahmsweisen Schwierigkeiten sowohl seiner Entstehung als seiner Aufgaben hinweisen. Wien, 3. Oct. Der Kaiser empfing heute vormittags den Ministerpräsidenten Grafen Clary- Aldringen und nahm demselben den Eid ab, wobei Oberstkämmerer Graf Abensperg-Traun und Lan- desvertheidigungsminister Graf Welsersheimb inter- venirten. Hierauf nahm der Kaiser den Ministern Dr. von Körber, Dr. von Kindinger und Dr. von Chledowski den Eid ab, wobei Oberstkämmerer Graf Abensperg-Traun u. Ministerpräsident Graf Clary- Aldringen intervenirten. Die Eidesformel verlas Ministerialrath Hauenschield. Die Minister, die be- reits dem früheren Cabinet angehörten, Graf Welsersheimb und Dr. v. Wittek, sowie die mit der Leitung der Ministerien betrauten Sectionschefs wurden nicht beeidet. Wien, 3. Oct. Der Kaiser gab die Reise zu den Hofjagden in Neuberg auf. Wien, 3. Oct. Heute vormittags fand im Abgeordnetenhause eine Conferenz zwischen den Führern der deutschen Fortschrittspartei und der deutschen Volkspartei statt. Es handelte sich um einen engern Zusammenschluss beider Parteien. Für der 5. d. M. ist der Conservative Groß- grundbesitz, für den 15. d. der Polenclub zu einer Sitzung einberufen. Wien, 3. Oct. Bei der Eöffnung einer Schule in Ottokring, welche heute vormittags statt- fand, wurde der Bürgermeister Dr. Lueger, der zur Feier erschienen war, mit lebhaften „Pfui!“, und „Nieder!“-Rufen empfangen. Die Polizei schritt ein und nahm 8 Verhaftungen vor. Wien, 3 Oct. Gestern nachts feuerte der 28 jährige in Aschenbach (Bayern) geborene Guts- besitzer Philipp Lutz in der Wohnung seiner unter sitte polizeilicher Aufsicht stehenden Gattin zwei Revolverschüsse gegen dieselbe ab, ohne sie zu treff b, sodann drei Schüsse gegen sich selbst. Er wurde in schwer verletztem Zustande ins Irquisitensptil gebracht und wird sich wegen Mordversuches zu verantworten haben. Das Motiv des Altentates ist die Weigerung seiner Fras, dem bisberigen Lhengwandel zu entsagen und mit dem Gatten nach Bayern zu reisen. Lemberg 3 October. In dem Proc sse wegen der Malversation bei der galizischen Sparcassa wurde heute die Verlesung der Anklageschrift be- endet und hierauf die Statuten, das Regulativ und die Dienstvorschriften der Sparcassa mitgethelt. Der Vorsitzende faßte hierauf die Hauptpunkte der Anklage kurz zusammen. Budapest, 3. Oct. (Abgeordneteshaus 1) (Ung Tel Corr. Bureau.) Präsident Defider von Perczel eröffnet die Sitzung nach 10 Uhr. Nach Erledigung der Einläufe wird der Antrag Kossuths betreffend die Feier des 6. October verhandelt. Mensterpräsident von Szell führt aus, es gebe wohl niemanden in diesem Hause, der nicht mit schmerzlicher Pietät jener Ereignisse gedenke, deren fünfzigste Jahreswende nunmehr gefeiert werden soll. Es sei natürlich, daſs das Haus seinen pietätvollen Gedanken Ausdruck verleihen müsse. Redner weitt auf den einstimmigen Beschluss des Hauses anlässlich der Enthüllung des Arader Denk- males im Jahre 1890 hin und ersucht das Haus, unter Ablehnung des Antrages Kossuth zu be- schließen, daſs der Präsident betraut werde, im Namer des Hauses einen Kranz an dem Arader Denkmal niederzulegen. (Eljenrufe rechts und im Centrum) Abg. Thaly erklärt, der Ministerpräsident habe in würdiger Weise der Pietät der Nation Ausdruck verliehen, doch entspreche sein Antrag diesem Ge- fühle nicht, insbesondere hätte Redner erwartet, da's sich die Regierung bei der Feier des 6 October werde vertreten lassen. Die Regierung hätte den tapfern Soldaten Baron Fejervary (Eljegrufe rechts) entsenden sollen, um die tapferen Krieger, die in Atad den Märtytertod starben, zu ehren. Der Redner schließt sich dem Antrage des Ab- geordneten Kossuth an. (Eljenrufe auf der äußersten Linken.) Abg. Johann Molnar erklärt namens der Volkspartei, daſs er sich dem Antrage des Minister- präsidenten anschließe. (Beifall). Abg. Polonyi fordert den Ministe prösidenten auf, sich darüber zu äußern, warum er die übrigen Theile des An- trages des Abg. Kossuth nicht annehme. Nach der Ansicht des Redners müssten sich die ungarischen Landwehrtruppen in Arad vertreten lassen. Redner schließt sich dem Antrage des Abg. Kossuth an, er- klärt jedoch auch den Antrag des Ministerpräsidenten zu votteren. (Beifall.) Abg. Franz Kossuth be- dauert, daſs die ungarische Regierung es nicht für ihre Pflicht erachte, das Andenken der ersten un- garischen parlamentarischen Regierung zu feieru. (Beifall auf der äußersten Linken.) Abg. Madarasz unterstützt als lebender Zeuge jener Ereignisse, deren Jahreswende jetzt gefeiert werden soll, den Antrag des Abg. Kossuth. (Beisall auf der äußersten Linken.) Abg. Vigzontey schließt sich ebenfalls dem An- trage Kossuth an, worauf der Präsident die De- batte schließt. Es folgt nun die Abstimmung. Für der Antrag Kossuth flimmte die äußerste Linke und Abg. Ludwig Piro (Liberal.) Der Antrag des Ministerpfäsidenten wurde angenommen. Der Päsident stellt den Antrag, das Haus möge sich bis Montag den 9. d. M. vertagen und an diesem Tage die Verdandlung der Pelitionen beginnen. Der A trag wird angenommen, worauf die Sitzung geschlossen wird. Hamburg, 3. Oct. Ueber einen Eisenbahn- unfall im Klosterthorbahnhofe wird amtlich gemel- det: Gestern Abend um halb 10 Uhr fuhr der Personenzug Nr. 135 im Bahnhofe Klosterthor in einen Trupp Recruten, welche mit dem Zuge Nr. 555 angekommen und im Aussteigen begriffen waren. 7 Recruten wurden schwer, 23 leicht verletzt. Sämmt- liche Verletzte wurden in das Krankenhaus überführt. München, 4. Oct. Die bairische Notenbank erhöhte ihren Wechseldiscont auf 6 Procent und setzte den Lombardzinsfuß mit 7 Procent fest. London, 3. Oct. Die Bank von England erhöhte den Bankdiscont auf 41/2 Peocent. London, 8. Ociober. Die Tem s“ melden aus Johannesburg vom 1. d. M: Obwohl in Johan sburg gegenwärtig größere Ruhe herrsche, als am F eitag. werde die Lage doch immer ernster. Zahlreiche Esenbahnzüge sind sowohl von Johannes- durg, wie von Pretoria mit Trnppen, Pferden und Munition an die Grenze von Natal abge- gangen, wo bereits eine Streitmacht von mehreren tausend Mann angesammelt sein muss. Viel be- merkt wurde, dass eine Artillerieabtheilung eine Anzahl von Kanoren großen Kalibers mitgenommen habe. Weitere Abtheilungen von Burghers wurden heute an die Grenze abgeschickt. London, 3 Oct Der Vertreter der „Lloyds Agercy“ in Hull meldet, daſs das russische Bark- schiff „Amor“ von Riga nach Cardiff mit Gruben- hölzerr unterwegs in der Nordsee untergegangen sei. Drei Marn der Besatzung wurden durch den Fischdampfer „Bloudhound“ in Hull gelandet. 7 Personen ertranken. London, 3. Oct. Wie die Blätter melden, wird am Douserstag in Osborne-Castle unter dem Vorsitze der Königin Victoria eine Sitzung des Privy-Concil stattfinden, in welcher wahrscheinlich die Einberufung des Parlaments für den 17. d. M. beschlossen werden wird. Varis, 3. Oct. Die Blätter constatieren, daß sich die Situation in Le Creuzot verschlimmert hat und melden eine Spannung in den Beziehungen zwischen dem Werksbesitzer Schneider urd dem Prä- fecten. Die Strikenden strömen nach Paris, was Beunruhigung hervorruft. r3 Oct. Präsident Loubet wird Samstag oder Sonntag hieher zurückkehren. Ministerpräsident Waldek-Rousseau trifft heute abends wieder in Paris ein. Der Ministerrath wird morgen früh zusammen- treten und sich mit dem Streik Creusot und wahr- scheinlich auch mit der Frage des Zeitpunktes der Einberufung der Kammern beschäftigen. Paris, 3 Oct. Der Staatsgerichtshof hat das Verhör mit den Angeklagten der roy listischen Gruppe infolge eines Verlangens der Vertheidiger, vorger von sämmtlichen Actenflücken Kenntnis zu erhalten, vertagt. Paris, 3. Oct. Der „Figaro“ veröffentlicht ein Interdiew eines seiner Redacteure mit dem gebt uns Geld, daß wir braf tanzen können. Man ist nur einmahl jung, und wenn die Knochen steif werden, da hohl der Henker das Tanzen. Gute Nacht, lustiger Friz, schlaf wohl und komm bald zu Deinem fröhlichen Freund Hanß Juhe.“ — Das nannte man vor 130 Jahren ein Schuldictat!
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