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„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 225
4. October 1899
streitig diese Frage ist, mag der Umstand beweisen,
daſs in einem vor Kurzem in Deutschland zur Aus-
tragung gelangten Falle in zweiter Instanz die
Verurtheilung eines Offertenempfängers zu 3 Tagen
Gesängnis ausgesprochen wurde, weil dieser die
erhaltenen Marken zu seinem Nutzen verwendet hat,
während ein Oberlandesgericht diese Urtheile auf-
gehoben und den Beklagien kostenlos freigesprochen
hat, indem es den Grundsatz aufstellte, daſs der
Absender von Offerten auf beigelegte Briefmarken
für Frankierung der Antwort kein Anrecht mehr
habe, weil er durch die Bemerkung: „Rückporto
anbei“ oder ähnlich sein Eigenthumsrecht aufgebe.
Die Absender können aber bei Nichtbeantwortung
einen Ersatz in der Höhe des Wertes der Marken
beanspruchen.
(Erhöhung der Petrolenmpreise.)
Das Verkaufsbureau der kartellierten Petroleum-
Roff nerien hat, wie aus Wien gemeldet wird, den
Preis für Petroleum um 25 kr. per Metercentner
hinaufgesetzt.
(Eine genossenschaftliche Zucker-
fabrik in Sicht.) Aus Teplitz wird ge-
schrieben: Auf dem am vorigen Sonntag in
Komotau unter lebhafter Betheiligung abgehaltenen
Kaufmanustage berichtete Kaufmann Black aus Brüx
gelegentlich seines Referates über Zuckersteuer oder
Zuckertara, daſs in dem neugegründeten kaufmänni-
schen Club in Brüx die Anregung gegeben wurde,
eine genossenschaftliche Zuckerfabrik mit 1000 An-
theilscheinen zu 1000 fl, woran sich sowohl Kauf-
leute als auch Landwirte betheiligen könnten, ins
Leben zu rufen, um vor Allem dem Abhängigkeits-
verhältnisse zum Zuckerkactell zu entgehen und durch
den gegenwärtigen Erzeugungsgewinn den urgefähr
gleich hohen Betrag der neuesten Zuckersteuer-
erhöhung zu paralisieren. Dieser Gedanke fand in
der Versammlung, welcher beiläufig 150 selbständige
Colonialwarenhändler beiwohnten, eine sehr günstige
Aufnahme, und nachdem Kaufmann Franz aus
Saaz unter allseitiger Zustimmung von vornherein
der Ausgabe von Antheilscheinen zu höchstens je
250 Kronen das Wort geredet, erklärte der Ver-
bandsobmann Saic als Leiter des Kaufmannstages,
daſs die Verbandsleitung bereit sei, in die genaue
Prüfung dieses Vorschlages einzugehen und nöthige
Vorarbetten so rasch als möglich in die Hand zu
nehmen. Es ist demnach Aussicht vorhanden, die
Idee zur Wirklichkeit ausreifen zu sehen, da die
Sache an der Geldbeschaffung nicht scheitern dürfte,
nachdem der im Wachsen begriffene Verband schon
heute 30 kaufmännische Corporationen mit nahe an
4000 Mitgliedern aufzuweisen hat.
(Unfall- und Kranken-Versicherung.)
Der Vorstand des Vereines der Baumeister im
Königreiche Böhmen schreibt uns wie folgt: In
letzter Zeit entwickelte sich bei der Unfallversicherungs-
Anstalt und bei den Krankencassen die Gepflogen-
heit, daſs dieselben Versicherungsanmeldungen von
wem immer annehmen. Infolgedessen geschieht es,
daſs die sog. „Bauunternehmer“ bei diesen An-
stalten selbst anmelden, ohne hierzu überhaupt ge-
setzlich berechtigt zu sein. Selbstverständlich werden
hierdurch „Deckungen“ unbefugter Bauausführungen
ausgiebig gefördert, weil Baugewerbsinhaber, welche
auf diese Art die gemeinsamen Standesinteressen
schädigen, sich hierzu ohne Scrupeln herbeilassen,
nachdem sie bezüglich der Unfall- und der Kranken-
versicherung jeder Verantwortlichkeit entledigt sind.
Ualängst hat jedoch das k. k. Ministerium des
Innern in Erledigung des diesbezüglichen Memo-
randums des Vereines der Baumeister im König-
reiche Böhmen und der von den Handels- und
Gewerbekammern über dieses Memorandum ab-
gegebenen Gutachten entschieden, daſs die „Bau-
unternehmer“ zu den bei dem Baue beschäftigten
Hilfsarbeitern der Baugewerbsinhaber in keinem
wie immer gearteten Arbeitsverhältnisse stehen
können, und daſs die Anmeldung derselben zur
Kranken- und Unfallve sicherung nur durch die vom
„Bauunternehmer“ für die jeweilige Bauführung
gewählten selbständigen befugten Gewerbetreibenden
oder beh. aut. Privattechnikern ausgeübt werden
darf. Der Vereinsvorstand wendete sich soeben an
die k. k. Statthalterei mit der Bitte, diese Ent-
scheidung, welche mit noch anderen Andeutungen
den k. . Bezirkshauptmannschaften zur Darnach-
achtung übermittelt wurde, auch der Unfallver-
sicherungsanstalt und den Krankencassen mit dem
Bedeuten zur Kenntnis zu bringen, dass sie Ver-
sicherungsanmeldungen nicht von „Bauunternehmern“,
überhaupt von Bauherren, sondern einzig und allein
von den befugten Baugewerbetreibenden anzunehmen
haben. Der Vereinsvorstand wird nunmehr in
organisierter Weise sicherstellen lassen, wer in den
einzelnen Fällen bei der Unfallversicherungs Anstalt
und bei den Krankencassen angemeldet sind, und
wird stets mit der größten Entschiedenheit ein-
schreiten, sollte der Angemeldete kein berechtigter
Baugewerbsinhaber sein.
(Astronomisches im October.) Mit
dem Niedergehen der Sonne, welche am 23. in das
Zeichen des Scorpions tritt, nach Süden nimmt
auch ihre Höhe über unserm Gesichtskreise im
Mittag ab und der Zeitraum zwischen Aufgang
und Untergang verkürzt sich von 11 Std. 39 Min.
am 1. bis auf 9 Std. 43 Min. am 31. Die
ersten Spuren der Morgendämmerung zeigen sich
Mitte October früh 43/4 Uhr, der letzte Lichtschimmer
im Westen erlischt abends 7 Uhr und zu dieser Zeit
sind auch die den bloßen Augen eben noch sicht-
baren Sterne zu erkennen. — Der Mond steht für
uns am tiefsten am 10., zwei Tage vor dem ersten
Viertel, am höchsten am 22., vier Tage nach Voll-
mon; Neumond ist am 4, letztes Viertel am 26.
In Ernähe befindet sich der Mond am 16 vor-
mittags 11 Uhr mit 49060 Meilen, in Erdferne
am 28. früh 6 Uhr mit 54.550 Meilen. — Von
den Planeten ist nur der im Sternbilde des Scor-
pions sich bewegende Saturn noch einige Zeit zu
sehen und zwar findet man ihn den Monat über
niedrig im Südwesten, zwischen abends bis nach
1/28 Uhr am 1. und 63/4 Uhr am 31., zuletzt mit
einer Sichtbarkeitsdauer von etwa 3/4 Stunde.
Merkur, welcher am 1. seine obere Zusammenkunft
mit der Sonne hat, und Venus, gehen fast gleich-
zeitig mit der Sonne unter, letztere hat jetzt eine
Entfernung von der Erde von 34 Millionen Meilen
und zeigt uns ihre Scheibe im Fernrohr voll be-
leichtet. Jupiter ist nur die ersten Tage des Mo-
nats blickweite ganz tief in der halben Dämme-
rung im Südwesten zu sehen, Mars ist unsichtbar.
Interessantes genug bietet jetzt der Fxsternhimmel.
Dann tritt hauptsächlich die Milchstraße hervor,
die gegenwärtig ihren höchsten Stand hat und vom
Südwesthorizonte an in getheilten Streifen (bis
zum Schwan) nahe dem Scheitelpunkte vorbei sich
nach Nordosten herunterzieht, wo sie jedoch nicht so
lebhaft schimmert wie im Süden und besonders in
der Gegend des Schwans; unter letzterem hat sie
ihre größte Breitenausdehnung und zwischen den
beiden Streifen befinden sich durkle, von allem
Lichtschimmer freie Stell u. Von Sternbildern
findet man in der Milchstraße von Südwesten aus-
gehend den Schützen, Adler, Schwan, die Cassiopeja,
den Perseus und Fuhrmann (im Nordosten). In
dem hoch am Osthimmel rechts vom Perseus
stehenden Sternbilde der Andromeda steht ein schon
den bloßen Augen sichtbarer Nebelfleck in Gestalt
eines kleinen weißen Wölkchens. Geht man von
mittelsten der drei in gerader Linie stehenden hellsten
Sterne der Andromeda aus nach oben, so findet
man einen Stern dritter Größe, weiter hinauf einen
solchen von vierter Größe und etwas rechts von
diesem den Nebel. Derselbe war den Arabern
schon im 10. Jahrhundert bekannt; in Europa
wurde er zuerst von Simon Marius beschrieben,
welcher u. a. sagt, das Licht des Nebels gleiche
dem Licht einer Kerze, durch ein dünnes Hornblatt
gesehen und diesen Eindruck erhält man in Fern-
röhten mittlerer Größe, in großen Instumenten ist
der Anblick ein anderer. Lange Zeit wurde der
Nebel für unauflösbar gehalten und erst in den
Riesenfernröhren der neueren und neuesten Zeit
zeigten sich eine Anzahl feiner Sternchen. Von
augenfälligen Sternbildern außerhalb der Milch-
straße sind noch zu erwähnen tief am Westhimmel
Bootes, über diesem die Krone, daneben Herkules
und hoch im Südosten die Leier; im Süden der
südliche Fisch, Steinbock und Wassermann, über
letzterem der mit seinen vier hellsten Sternen ein
Viereck bildende Pegasus, niedrig im Südosten der
Walfisch mit dem berühmten veränderlichen Sterne
Mira, höher hinauf Fische und Widder, nahe im
Nordosten der Stier mit den beiden Gruppen der
Hyaden und Plejaden, im Norden und Nordwesten
der große Bär, um den Notdpol herum der kleine
Bär, Drache und Cypheus.
Engelhaus, 2. Oct. (O. C.) Verschiedenes.
Aus Engelhaus flattert selten eine Nachricht in die Welt,
höchstens daſs man einmal ein Spendenverzeichnis über
die Marienkapelle vorfindet. Un doch gäbe es so manches
über hiesige Verhältnisse zu berichten, besonders im Ge-
meindehaushalte ist so manches faul, sehr faul, das einer
Abstellung bedarf. Unser sogenannter Offiziosus rührt sich
nicht, also werde ich es künftig thun. Vorläufig will ich aber
darüber nichts weiter verlauten lassen. Das Sensations-
thema ist gegenwärtig die Vertheilung der „Armenschul-
bücher“. Nicht der Dreyfuß Process in Frankreich, noch
der Mädchenmord=Process in Polna geben so viel Klatsch
in Kreisen der Engelhäuser „Hutscherstuben“ als diese Ver-
theilung, die in Engelhaus außerordeatlich gerecht ausgefallen
sein soll; über den richtigen Sachverhalt werde später be-
richten. — Da nun der Bau einer Molkerei-Anlage durch
die Gesellschaft vereinigter Landwirte der Umgegend von
Eagelhaus perfect und auf Engelhäuser Grund bei der
Johannisstatue an der Karlsbader Straße errichtet werden
soll, so wäre nur zu wünschen, daſs dieses Project baldigst
eine wirkliche Form annehmen würde. Vorläufig merkt
man noch nichts davon. — Endlich kann man die Getreide-
und Grummet Ernte als beendet ansehen, nun geht es, da
schon Zeit, mit allen Kräften an die Einheimsung der Erd-
äpfel; man kann jetzt schon eine ziemlich befriedigende
Mittelernte constatieren. — Gestern, Sonntag Abend war
für Engelhaus, überhaupt den an der Bräuhausgasse ge-
legenen Stadttheil eine Zeit jähen Schreckens, indem Feuer-
rufe laut wurden und auch thatsächlich in dem an den
Schennen blos durch ein schmales Gäſschen getrennten
Hause durch wer weiß welche Unvorsichtigkeit das Bettzeug
in dem dortigen Wohnzimmer zu brennen anfing, weil aber
rechtzeitig bemerkt, ohne erheblichen Schaden gelöscht werden
konnte. —
Graslitz, 2. Oct. (Regierungsvertreter.) Der
als Regierungscommissär bestimmte Statthaltereiconcipist
Herr Karl Ulm hat die Leitung der Amtsgeschäfte der
Stadt Graslitz übernommen. — Der k. k. Bezirkshaupt-
mann in Teischen Freiherr Baselli von Süßenberg wird
in gleicher Eigenschaft nach Graslitz übersetzt.
Vermischtes.
(Aus der alten Schule.) Ein Schulmann des
vorigen Jahrhunderts berechnete, daſs er in den 51 Jahren
und 7 Monaten seiner Amtsführung laut genau aufge-
zeichneter Notizen 1,115.800 „Kopfnüsse“, die „Maul-
schellen“ und „Ohrfeigen“ nicht mit gezählt, ausgetheilt
habe. Die Strafmittel eines Lehrers der früheren Zeit
waren sehr mannigfaltig. Da gab es Prügel mit Stock,
Ruthe oder Ochsenziemer. Arrest bis zur Entziehung von
Licht und Nahrung, hölzerne Brillen für langsame A-B-C
Schützen, Pappmützen mit gewaltigen Eselsohren für
Zerstreute, das Knieen auf der scharfen Kante eines drei-
eckigen Holzes oder auf einem Erbsensacke, das Reiten
auf dem hölzernen Esel für Unartige, Böswillige und
Widerspenstige. Was mögen das für Schüler gewesen
sein, denen gegenüber der Lehrer derartige Strafen an-
wenden muſste! Wie war es aber damals auch um den
Lehrerstand bestellt! Es sind z. B. die Dictate noch vor-
handen, die der Dichter der „Fürstengruft“, Schubart,
als Lehrer in Geißlingen (Württemberg) seinen Schülern
während der Jahre 1766 bis 1769 dictiert hat. Was
finden sich darin neben manchen geistreichen Gedanken
für unpädagogische Abschweifungen, für unziemliche The-
mata! Eine einzige und noch gar nicht die allerschlech-
teste Probe möge genügen: „Geißlingen, den 24. Juli
1768. Mein lustiger Freund. He! Was Neues! es kommt
etwas. Etwas Schönes! etwas Lustiges! etwas Fröh-
liches, etwas zum Tanzen, zum Springen, zum Lachen,
zum Singen, zum Geigen und Blasen, zum Schreien,
zum Rasen, zum Essen, zum Trinken, zur Lust. Es
hüpfet voll Freude die Brust. Nur noch ein Tag und
wieder ein Tag und noch ein Tag, und noch einer und
wieder einer, und einen drein — Hopsa! da kommt sie!
und was dann, närrischer Kerl? Was sonst als die
Kirchweihe! Schon flattern die Bänder auf dem Huth;
schon hör' ich des Schochen (Musikanten) Waßgeige
brummen; schon sind wir auf dem Bau (Bauhof in Geiß-
lingen in der unteren Vorstadt, in dessen Nähe, auf der
Steingube, die Kirchweihe gefeiert wurde); schon springen
wir wie die Geißböcke. Schön — doch ich kann vor Freuden
nicht reden. Komm du nur selber zu uns und bring ein
paar neue Schuh, einen vollen Geldbeutel und einen
fröhlichen Muth mit. Wie froh bin ich, daſs ich jung
bin! Da müßen die alten Männer bei ihrer Brille zu
Hauß bleiben und die alten Weiber müßen ihre Belze
hüten, und wir — Ei, guten Morgen ihr Graubärte,
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