Text auf der Seite 2

Text: 
Geſte 2 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 225 4. October 1899 rathungsfeuer gelagerten Majoritätsmänner in ihrer „Solidarität“ recht widerhaarig geberden. Um so länger wird dieser „Uebergang“ und um so geringer die Hoffnung, daſs er nach jener Seite hin erfolgen werde; ein Grund mehr für die Deutschen, das zu stützen, wogegen Bruder Tschech anrennt; dem Bruder Lech wird ohnehin bald der Athem aus- gehen, wenn die Regierung fest bleibt und denselben so von ferne zeigt, wie objectiv geleitete Reichsraths- wahlen ausfallen könnten. Die Tschechen rüsten zum Widerstande und das erste, was ihnen einfällt, ist die Anbahnung einer Verständigung zwischen Alt- und Jungtschechen. Diese Thatsache legt uns Deutschen einen gleich- artigen Schritt nahe genug. Eine Einigung der deutschen Parteien bietet allerdings an und für sich aber auch vielfach Schwierigkeiten, die blos in der Fractionswuth liegen. Wäre den deutschen Gruppen einmal die Erkenntnis in Fleisch und Blut gedrungen, daſs sie sich einigen, wenn auch nicht gerade verschmelzen müssen, dann wäre wohl viel gewonnen. Diese Erkenntnis sollte freilich schon Gemeingut geworden sein — nach den Er- lebussen dieser letzten Jahrzehnte. Aber die Deutschen scheinen nicht einmal durch Schaden klug zu werden. „Herrgott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser“; dieses pharisäische Sprüchlein ist vielfach ein Leibsprüchlein deutscher Parteigruppen geworden. Jawohl, es hat auf Seite der Deutschen zu verschiedenen Zeiten einzelne Sünder und Zöllner gegeben; deswegen jedoch ganze Volksgruppen, weil sie einer' anderen Gruppe angehören verwerfen, und deswegen die eigene Gruppe als die alleinselig- machende absehen wollen, das ist doch ein lächerliches Beginnen. Das ist jedoch unter den heutigen Um- ständen zugleich selbst eine Todsünde an dem eigenen Volksthume und an dessen ganzer Zukunft. Innerhalb der nächsten drei Monate muss sich zeigen, ob der Sturz Thuns zu einem Wendepunkt in der inneren Politik geworden ist oder ob derselbe wieder nur ein Zwischenspiel gewesen, nach welchem dieselben feudalea Comödianten auftreten werden wie bisher und dasselbe Stück spielen. Das Letztere wird jedoch ganz unmöglich sein, wenn die deutschen Parteigruppen in allernächster Zeit sich soweit zusammenschließen, daſs sie einer künftigen parla- mentarischen Regierung den Kern einer be- standsfähigen Majorität liefern können. Dabei werden freilich die Fractionsstämme nicht in den Himmel wachsen; keine der deutschen Gruppen wird auf restliche Erfüllung ihrer Wünsche rechnen können, aber alle Gruppen miteinander werden dem deutschen Volksthume wieder zu seiner berechtigten Stellung geholfen haben. Die Feinde der Deutschen werden sicherlich zusammenstehen — urd ihrer sind viele und mächtige. Local-Nachrichten. (Kaisers Namensfest.) Dasselbe wird heute durch Abhaltung eines Festgottesdienstes in der Decanalkirche um 10 Uhr feierlich begangen. Das Schützencorps und das Kriegercorps wird in Parade ausrücken. (Lehrerpersonalnachrichten.) Zum Volksschullehrer in Petschau wurde Herr Josef Zuleger ernannt; desgleichen wurde die prov. Unterlehrerin Fräulein Martha Smitazek, bis- her in Karlsbad, nach Petschau in gleicher Eigen- schaft versetzt. Nachdem der für Drahowitz bestimmte Unterlehrer Herr Tschepper auf diese Stelle verzichtete, wurde vom Bezirksschulrathe Frl. Marie Schmidt, prov. Unterlehrerin in Altrohlau, dort- hin versetzt. (Karlsbader Turnverein [1860].) Wie alljährlich nach Schluss der Saison beginnt auch heute Mittwoch um 7 Uhr Abend in der Turnhalle das regelmäß ge Turnen der II. Ab- theilung des Vereines (sogenannte Alte Herrenriege); als wir im Vorjahre aus gleichem Anlasse in unserem Blatte die Aufforderung an ältere Herren richteten, an diesen Turnübungen theilzunehmen, konnten wir mit Freuden am Tursplatze drei ftarke Riegen begrüßen, hoffen wir, daſs dies auch heuer wieder der Fall sein wird und dies umsomehr, als herbstlich kühler die Tage werden, länger die Abende und enger die Fesseln, die uns an das Haus und in die dumpfen Wände bannen. In unsere Turn- Vereinen hat sich eine stattliche Anzahl jüngerer Männer und älterer Herren zusammengeschart. Hier sich anzureihen zum fröhlichen Bunde sei Jeder herzlich eingelanden. Wer erst den Segea des Turnens an sich empfunden, der wird die beständi- gen Mahnungen der Aerzte verstehen und stets neue Freunde dem Turnen zuzuführen bestrebt sein. Wer da glaubt, ein anstrengender Beruf verlange für den Abend Ruhe, der befindet sich im Irrthum. Es ist Thatsache, daſs auch nach anstrengender Tagesarbeit das Turnen am Abend den Körper erfrischt und dem Geiste die fröhliche Spannkraft wiedergibt, deren wir im Alltagsleben so sehr be- nöthigen. Leichter und rascher fließt das Blut durch die Adern und die leidigen Nerven finden eine wohlthätige Beruhigung. Darum auf zu den Turn- hallen, frisch eingereint in die Männer-, Jüng- lingse, Damen- und Schüler-Riegen und mit fröh- lichem Muthe eingestimmt in den alten echtdeutschen Turnergruß „Gut Heil!“ (Das Kaiserbad) wird morgen Donnerstag den 5. October vollständig geschlossen. (Der Delegierkentag des Karls- bader Bezirks-Feuerwehrverbandes) fand programmäßig am 1. October in Zvetbau statt. Sämmtliche Vereine waren durch Delegierte vertreten. Den Vorsitz führte der Oomann Herr Branddirector Schäffler aus Karlsbad. Nach Er- stattung der Berichte des Ausschusses über die Thätigkeit und den Stand der Feuerwehren sowie den Stand der Löscheinrichtungen im Verbands- gebiete, auf welchen Bericht wir später detailliert zu sprechen kommen, folgten Berichte der Bezirks- Inspectoren über die Inspectionen im heurigen Verbandeabschnitte. Herr Cassier Drumm referierte über die gewährten Unterstützungen, den Stand der Verbandscassa, sowie jenen der Unterstützungscassa, welche mit einem Saldo von 2551 fl. 05 kr. ab- schließt. Unter den „Freien Anträgen“ sticht be- sonders jener von Fischern-Neustadt hervor, welcher „Die Verwendung des 2 %. Assecuranzbeitrages aus dem Bezirke für den Bezirk“ verlangt und begründet den Antrag durch die Bevorzugung der tichechischen Feuerwehren bei Gewährung von Unterstützungen aus dem, eben aus diesem 2 %- Beitrage gebildeten realen Feuerwehrfonde, gegen- über den deutschen Feuerwehren durch den Landes- ausschuss — Als Vorort für das nächste Jahr wurde Lichtenstadt nominiert, dessen Feuerwehr das 30. Gründungsfest feiert. — Durch Zuruf wurde der gegenwärtige Ausschuſs wiedergewählt. Der zweite Candidat Herr Heinrich Edler. Mattoni jun. erhielt 27 Stimmen. — Begrüßungstelegramme liefen ein: vom Bezirks-Obmanne Herrn Dr. Knoll, vom I Vcepräsidenten des Landes Crutralverbendes Herrn Commerctalrath R. Czermak Teplitz, vom Bezirksinspector Herrn Ludwig Knol, Feuerwehr- Verband Bärringen, Feuerwehr Meierhöfen ꝛc. Eine am Nachmittage vorgenommene Angriffs- übung der Ort feuerwehr in Gemeinschaft mit der Feuerwehr Gießhüdl Sauerbrunn verlief zur vollsten Zufriedenheit (Zur demolierten Veranda.) Wir brachten in Nr. 221 unseres Blattes eine Notiz über die Debatte in der letzten Stadtverordneten- sitzung vom 22. d. M. betreffend die Demolierung der Veranda des Gasthauses „Engländer“. In Be- antwortung dieser Notiz ersucht uns nun Herr Harnisch um Aufnahme folgender Zeilen, die wir, unserem objectiven Standpunkte ent- sprechend, aufnehmen. Das Schreiben lautet: „Ihre Mittheilungen über die demolierte Verands beim Karlsbader Hause „Zum Engländer“ in der heurigen Nummer 221 Ihres Blattes veranlassen mich. Sie um nachstehende Berichtigung zu bitten: Der wahre Sachverhalt ist folgender: Die Demo- lierung der Veranda wurde mit dem Bescheide der k. k. Bezirkshauptmannschaft vom 15. November 1894, Z. 22514, zunächst aus dem Grunde verfügt, weil die Ver- wendung der Veranda zur Ausübung des Gewerbes concessionswidrig sei. Diese Verfügung erfolgte auf Mutter entgegenfuhr, da hielt sie sich für die Be- neidenswerteste aller Sterblichen. Die Majorin hatte schwer unter der Trennung von ihrem einzigen Kinde gelitten, sie sah blasser und abgehärmter aus als sonst, und die junge Frau war im Innersten recht froh, daſs es ihr nun vergönnt sei, eine Zeit lang sich ganz der Pflege der Mutter widmen zu dürfen, und damit die Ge- sundheit derselben zu befestigen. Die Majorin war überglücklich, und mit dem Scharfblick der Mutter erkannte sie, und hiermit fiel ihr eine Centnerlast vom Herzen, daſs sie recht gehandelt. Diese beiden Menschen gehörten zu ein- ander; sie ergänzten einander in ihren Charakter- eigenschaften, und was die Basis für dauernd Treue und gegenseitiges Vertrauen bot, war die E kenntnis, daſs dieses junge Paar nach kurzem Zusammenleben so harmonisch, so übereinstimmend empfinden musste, daſs Eines ohne das Andere nicht mehr existieren konnte. Der Abschied zwischen dem gräflichen Ehepaare war ein sehr wehevoller, doch Thränen wurden dabei nicht geweint. Wieder und wieder umarmte Ewald sein geliebtes Weib, wieder und wieder flüsterte er ihr all' die Kosenamen ins Ohr, die ihr ganzes Glück ausmachten, und dann noch ein letzter, glübender Kuss und — langsam setzte sich der Zug in Bewegung, größer und größer wurde die Ent- fernung zwischen ihnen. Niemals konnte der Graf den Eindruck ver- gessen, den Elsa bot, als sie dort so einsam auf dem Perron zurückblieb. Eisiger Wind blähte ihre Kleider auf, ihr vorhin aber so glühendes Antlitz glich der Lilie, so weiß war es geworden. Die Augen schienen sich unnatürlich zu vergrößern, als sie dem davoneilenden Zuge wie gebannt nachschaute — wie herzzerreiß udes Weh zuckte es um den kleinen, süßen Mund, aber nicht eine Thräne drang aus den blauen Augen. Elsa hatte ihrem Gatten versprochen, tapfer zu sein, und sie hatte ihr Versprechen wie eine Heldin gehalten. Erst als sie wieder den Kuſs der Mutter auf ihren Lippen fühlte, sank ihre Selbstbeherrschung zusammen — sie konnte Tage lang nicht über das unbeschreibliche Weh hinwegkommen, welches sie zu leidenschaftlichen Ausbrüchen ihres Schmerzes zwang. War es ihr doch, als sei das Sonnenlicht für sie auf immer verdunkelt! Trotz der liebenden Pflege der Mutter erschien es ihr oft, als befinde sie sich in einer unendlich trostlosen Einöde. Das Weihnachtsfest war vor der Thür. Dichter Schnee deckte rings Baum und Strauch und glitzerte im hellen Sonnenschein wie eitel Crystall. Es ver- sprach, herrliches Weihnachtswetter zu werden, be- sonders für die schlittschuhtolle Jugend. Elsa, welche am Fenster stand, und wehmüthig hinausschaute in den schneeüberdeckten Garten, ge- dachte des verflossenen Jahres, wo sie sich noch so harmlos und herzeusfroh unter ihre Freundinnen gemischt, und mit wahrer Leidenschaft dem Schlitt- schuhsport ihren Tribut gezahlt hatte. Während der letzten Wochen war abermals eine auffallende Veränderung mit der jungen Frau vorgegangen. Zwar erschien sie auch jetzt wunder- bar schön mit dem blassen Antlitz, in welchem sich ein leidvoller Zug tief eingegraben hatte, aber es überkam Jeden, der sie anblickte, unwillkürlich eine tiefe Rührung und die arme Mutter wurde von folteruder Angst gequält, als sie bemerkte, daßs die dunklen Ringe, welche sich um Elsas einst so sonnig lachende Augen gebildet, immer tiefer wurden. Soeben betrat der Postbote den kleinen Vor- garten, und sofort entflammte eine hektische Röthe auf den Wangen der jungen Frau. Jedoch eilte sie dem Briefträger nicht entgegen, sondern verharrte anscheinend theilnahmslos an ihrem Platze. Nach wenigen Minuten trat die Majorin ein. Die Gräfin wandte sich in nervöser Hast der Mutter zu; sofort aber, als sie in deren kummer- volles Gesicht blickte, schwand die Röthe von ihren Wangen und machte einer jähen Blässe Platz. „Nichts für Dich, armes Kind“, murmelte fast unhörbar die Majorin. Die junge Frau gab keine Antwort. Sie hatte ja auch nichts erhofft, und nur unwillkürlich erhob sich jedesmal ein Sturm von Empfindungen in ihrer Brust, wenn der Postbote wieder das Haus betrat. „Nichts für Dich, mein Kind!“ Wie oft hatte nun die junge Frau diesen Satz vernommen — sie war jetzt in der Mitte des Zimmers stehen geblieben, und die Hände gegen das Gesicht pressend, schrie sie plötzlich laut in herz-- zerreißendem Tone auf:
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1899-10-04-n225_4650.jp2