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Nr. 225
Mittwoch, 4. October 1899.
23.39. Jahrgang.
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Die Uebergangsregierung.
Eine solche Schwergeburt von Cabinet ist in
Oesterreich schon lange nicht dagewesen als dies-
mal. Tag für Tag wurder Bulletius über das
Kreißen ausgegeben, die Herren Sectionsleiter,
welche endlich „daran glauben mussten“ wider Willen
das Licht des Cabinets zu erblicken, hatten, soweit
sie sich überhaupt heranziehen ließen — sorufagen
förmlich mit Zängen an die Spitze ihres Ressorts
befördert werden müssen, und die „Liazer Tages-
post“ spricht darum in launiger Weise von einem
„Kaiserschnitt“, mit dem die neue Uebergangs-
regierung endlich dem Schoße der Krise entrissen
werden musste.
Sicherlich liegt eine Mitursache in der Ver-
längerung der Krise, soferne sie die Bildung eines
Beamteninisteriums betraf, in den Quertreibereien
der feudalen Hintertreppenpolitik, die in ihren Maul-
wurfsgängen unablässig bemüht war, Verwirrung
anzurichten, ja selbst diesen und jenen, der es wagen
wollte, dem Willen des Kaisers zu entsprechen und
eine Stelle zu übernehmen, mit versteckten Drohungen
einzuschüchtern. Man sch wieder jene „lovalen“
Feudaljunker am Werke, die dem Wunsche des
Kaisers, es möge diesem Beamtenministerium keine
Schwierigkeit bereitet werden, in gewobnter Art
entsprechen. So bringt die „Grazer Tagespost“
von kandiger Seite einen bezeichnenden Bericht über
diese feudalen Schlangen, die das in der Wiege
liegende Kindlein, das allerdings eine Herkules-
arbeit vor sich hat — lieber gleich in aller Stille
erwürgen wollten. „Graf Claty“, so meldet jenes
Blatt, „hat schon im Anfange die Bitternisse des
politischen Kampfes mit jenen Mächten kennen ge-
lernt, deren Fäden weit hinauf bis in die höchsten
Kreise und deren Verbindungen in alle Minister-
hotels reichen.“
Die Deutschen stehen der sich vollziehenden
Wendung der Dinge vorerst kühl beobachtend gegen-
über und es wird vornehmlich von der Aufführung
des neuen Ministeriums abhängen, inwieferne das-
selbe auf ein Mehr von Seite der Deutscheu rechnen
kann. Einen Lichtpunkt in dieser Krise bildet jeden-
falls die mögliche Zustimmung des Monarchen zu
den Ausführungen des Abgeordneten Pergelt: es
solle die klare und bündige Versicherung abgegeben
werden, daſs nach Aufhebung der Sprachenverord-
nungen in Hinkunft niemals wieder in Sprachen-
und Nationalitätenfragen der Verordnungsweg ein-
geschlagen werden darf. Der Kaiser schien es voll-
ständig zu würdigen, daſs die Deutschen immer be-
unruhigt sein müssen, weil sie keine Gewähr haben,
daſs nach Aufhebung der Sprachenverordnungen
durch ein Beamtenministerium etwa ein nächstes
parlamentarisches Miniserium der Rechten ihnen
mit noch ärgeren Dingen zusetzen würde. Damit
könnten sozusagen dem ausgefegten Beelzebub sieben
andere folgen, die noch ärger wären als der erste.
Eine dahin gehende Zusicherung des Monarchen
wäre deshalb von großem Werte, weil damit die
Hinterthür ins politische Schachercabinet ins Schloss
gehauen wird, hinter dem hilfsbedürftige Regierungen
auf Kosten des deutschen Volkethums Concessionen
an Tschechen, Schlachzizen und Windische verhan-
dela könnten. Damit wär's nun aus und wenn
dem so ist, hat auch für jede künftige Schacher-
majorität keine Regierung „was zu handeln“. Die
üble Laune der Tschechen gründet sich vornehmlich
auf die bittere Erkenntnis, daſs die Fortsetzung des
bisherigen für sie so einträglichen Ausschrotegeschäftes
mit der Loyalität vorläufig einen Abschluss ge-
funden haben könnte.
Einer solchen Thatsache gegenüber, daſs der
nationale Gabentempel geschlossen würde, erklärt
Abg. Pergelt, damit würde die Obstruktion
wahrscheinlich ihr Ende finden und die Deutschen
würden anstandslos die Delegationswahlen vor-
nehmen lassen. Das wäre schon ein Beitrag zur
Entwirrung; denn selbst unter den Deutschradikalen
wird die Ueberzeugung ausgesprochen, daſs in solchem
Falle die Obstruction gegenstandslos sein würde,
die Aufhebung der Sprachenverordnungen selbstver-
ständlich als Erstes vorausgesetzt. Damit ist auch
der Beweis geliefert, daſs diese Obstruction nur
bittere Nothwehr war, die in demselben Augenblicke
der Antheilnahme an den Arbeiten für den Staat
weicht, als der Stein des Anstoßes für jetzt und
alle Zukunft aus dem Wege geräumt wird.
Ungebrochen steht das deutsche Volk da, nach
so langen heftigen Kämpfen und darum mehren
sich selbst auf Seite der Polen die Stimmen der
Erkenntnis, dahin gehend, daſs es für die Polen
nicht gut gethau war, alle Sprünge der Jung-
tschechen mitzumachen und die sogenannte slawische
Solidarität findet gerade bei den hellsten Köpfen
im Polenlager eine höchst abfällige Beurtheilung.
Diese Stimmungen seitens des Beamtenministeriums
entsprechend ausgenützt, würden wohl endlich zur
Isolirung des ewig unruhigen, staatsrechtlichen
Flausen nachflatternden Hussitenthums führen und
damit zur Beruhigung und Gesundung des Staats-
wesens, wenn dessen Grundpfeiler, das Deutschthum
wieder aufgerichtet ist.
Uns kanns recht sein, wenn sich die ums Be-
Die Stiefschwestern.
Roman von Anna Seyffert.
(8. Fortsetzung.)
Ewald fühlte dies klar und deutlich, und dennoch
scheute er sich, seiner Gattin die Briefe zu zeigen.
Fürchtete er kleinliche Eifersucht ihrerseits? Fürchtete
er für ihre Liebe? Er konnte es sich selbst nicht
sagen; jedenfalls wäre es ihm äußerst peinlich ge-
wesen, wenn Elsas Augen auf dem Namen „Berenice“
geruht hätteg, und trotzdem er die zunehmende Be-
fremdung in seines Weibes Miene las, war er fest
eutschlossen, die Briefe vor ihr zu verstecken.
Und so kam es denn, daſs trotz all seiner Be-
mühungen heiter zu scheinen, trotzdem er Elsa die
gewohnten, überreichen Liebkosungen erwies, die
sich zurückhaltend und schweigsam verhielt, und
darauf der Graf seiner überquellenden Zärtlichkeit
einen gewaltsamen Damm setzte.
Dies war der erste große Schatten, der das
Lebensglück des liebenden Paares verkümmerte! —
„Wann wirst Du reisen?“ fragte am Abend
dieses Tages, der den Beiden nur langsam dahin-
geschwunden war, die Gräfin.
Ewald richtete sich energisch empor.
„Es ist wohl das Beste, wir scheiden so bald
wie möglich, um aus so bald wie möglich wieder
vereinen zu können,“ meinte er ernst. „Sei gut
und tapfer, mein liebes Weib! Ich hoffe, Dich noch
[Nachdruc verboten.
vor dem Christfeste meiner Familie zuführen zu
können.“
Die Gräfin ließ muthlos das Köpfchen sinken.
„Mir ist so unendlich bange,“ flüsterte sie fast
unhörbar, „kannst Du Deinem Vater nicht Alles
brieflich berichten, damit wir zusammenbleiben
können?“
„Das geht nicht,“ wehrte er bestimmt ab, „ich
kenne meinen Vater, er würde mir diese Art und
Weise niemals vergeben! Nein, Geliebte, ich muss
ihm Aug' in Auge gegenüberstehen, er muss sehen,
fühlen, wie die Liebe zu Dir mein ganzes Sein
gefangen hält! Nur so kann ich seine Vorurtheile
bezwingen und nicht wahr, mein Lieblina, sollte
mein Vater bei Deinem ersten Zusammentreffen mit
ihm nicht so freundlich und entgegenkommend sein,
wie Du es wünschest, mir zu Liebe wirst Du nicht
empfindlich sein?“
Jetzt hob die junge Frau zuversichtlich das
blonde Haupt.
„Nichts weniger als das Ewald! Es soll
mir im Gegentheil eine hohe Befriedigung gewähren,
wenn ich mir Schritt für Schritt das Terrain und
damit die Zuneigung Deiner Eltern erobere!“
„Wie richtig Du stets denkst und handelst,“
gab er bewundernd zurück. „Auf diese Weise bin
ich sicher. daſs Du nach kurzer Zeit die ungetheilte
Zuneigung meines, ein wenig wunderlichen alten
Papas besitzen wirst.“
„Ach, wenn nur erst die böse, böse Trennungs-
zeit überstanden wäre,“ seufzte Elsa.
„Mein Plan ist es“, begann er nach kurzem
Schweigen, „wir reisen sofort morgen ab, und ich
begleite Dich zu Deiner Mutter. Dort bist Du
wohl geborgen, bis zu meiner Rückkehr und das
Zusammensein mit ihr wird Dir den Trennungs-
schmerz erleichtern.“
„Ja, das ist eine köstliche Idee, daran habe
ich noch gar nicht gedacht, Ewald! Ach, wie wird
Mama sich freuen! Aber ganz unverhofft dürfen
wir nicht eintreffen, Du musst sofort telegraphieren.“
Und über dem bevorstehenden Wiedersehen mit
der Mutter vergaß die junge Frau in der That
zum größten Theil den bangen Schmerz, der sich
so drückend auf ihre junge Seele gelegt hatte.
Es war nun wieder, als sei nichts Fremdes
zwischen die Liebenden getreten, so zwanglos und
traulich verkehrten sie miteinander — erst viel
später erinnerte sich die Gräfin der trüben Stunde,
die sie am sonnigen Ufer des Mittelländischen Meeres
durchlebt. Und, als Schmerz und Enttäuschung
gar arg an ihrer Seelenstärke rüttelten, da begann
sie, sich jenes an und für sich ganz harmlose Vor-
kommnis nach ihrer Weise zu deuten.
Jetzt aber beherrschte eitel Freude das junge
Weib, und als sie in einer einfachen Mietsdroschke
durch dichtes Schneegestöber der kleinen Villa der
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