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Nr. 225 Mittwoch, 4. October 1899. 23.39. Jahrgang. Abonnements-Preise: Für Karlsbad: Pierteljährig2 fl. Halbjährig.4 fl. Ganzjährig .8 fl. Karlsbader Redaktion und Administration: im Hause „Bellevue,“ Stefans- promenade. Zustellung ins Haus: pro Quartal 20 kr. Mit Postversendung: Inland: Vierteljährig .3 fl. Balbjährig ....... 6 fl. Ganzjährig .....12 fl. Ausland: Vierteljährig ....... 6 M. Halbjährig ........ 12 M. Ganzjährig.....24 M. Einzelne Nummern 5 kr. Gadeblatt (Wochenblatt) Erscheint ganzjährig täglich mit Ausnahme nach Sonn- und Feiertagen. Inserate werden nur gegen Vorau- zahlung angenommen. Preis der 4ual gespaltenen Petitzeile “ kr. Inserate, für den nächsten Tag be- stimmt, werden nur bis 3 Uhr nach- mittags in der Administration und in der Franieck'schen Leihbibliothek Mannt, „5 Lämmer“ entgegengenommen. Manuscripte werden nicht zurückgegeben Celephon-Nr. 59b. Einzelne Nummern 5 kr. Herausgeber: Ernest Franieck. Inserate übernehmen die Annoncen-Bureaus Haasenstein am; Vogler in Wien, Rudolf Mosse in Berlin und Wien und sämmtliche anderen Filialen dieser beiden Firmen. Die Uebergangsregierung. Eine solche Schwergeburt von Cabinet ist in Oesterreich schon lange nicht dagewesen als dies- mal. Tag für Tag wurder Bulletius über das Kreißen ausgegeben, die Herren Sectionsleiter, welche endlich „daran glauben mussten“ wider Willen das Licht des Cabinets zu erblicken, hatten, soweit sie sich überhaupt heranziehen ließen — sorufagen förmlich mit Zängen an die Spitze ihres Ressorts befördert werden müssen, und die „Liazer Tages- post“ spricht darum in launiger Weise von einem „Kaiserschnitt“, mit dem die neue Uebergangs- regierung endlich dem Schoße der Krise entrissen werden musste. Sicherlich liegt eine Mitursache in der Ver- längerung der Krise, soferne sie die Bildung eines Beamteninisteriums betraf, in den Quertreibereien der feudalen Hintertreppenpolitik, die in ihren Maul- wurfsgängen unablässig bemüht war, Verwirrung anzurichten, ja selbst diesen und jenen, der es wagen wollte, dem Willen des Kaisers zu entsprechen und eine Stelle zu übernehmen, mit versteckten Drohungen einzuschüchtern. Man sch wieder jene „lovalen“ Feudaljunker am Werke, die dem Wunsche des Kaisers, es möge diesem Beamtenministerium keine Schwierigkeit bereitet werden, in gewobnter Art entsprechen. So bringt die „Grazer Tagespost“ von kandiger Seite einen bezeichnenden Bericht über diese feudalen Schlangen, die das in der Wiege liegende Kindlein, das allerdings eine Herkules- arbeit vor sich hat — lieber gleich in aller Stille erwürgen wollten. „Graf Claty“, so meldet jenes Blatt, „hat schon im Anfange die Bitternisse des politischen Kampfes mit jenen Mächten kennen ge- lernt, deren Fäden weit hinauf bis in die höchsten Kreise und deren Verbindungen in alle Minister- hotels reichen.“ Die Deutschen stehen der sich vollziehenden Wendung der Dinge vorerst kühl beobachtend gegen- über und es wird vornehmlich von der Aufführung des neuen Ministeriums abhängen, inwieferne das- selbe auf ein Mehr von Seite der Deutscheu rechnen kann. Einen Lichtpunkt in dieser Krise bildet jeden- falls die mögliche Zustimmung des Monarchen zu den Ausführungen des Abgeordneten Pergelt: es solle die klare und bündige Versicherung abgegeben werden, daſs nach Aufhebung der Sprachenverord- nungen in Hinkunft niemals wieder in Sprachen- und Nationalitätenfragen der Verordnungsweg ein- geschlagen werden darf. Der Kaiser schien es voll- ständig zu würdigen, daſs die Deutschen immer be- unruhigt sein müssen, weil sie keine Gewähr haben, daſs nach Aufhebung der Sprachenverordnungen durch ein Beamtenministerium etwa ein nächstes parlamentarisches Miniserium der Rechten ihnen mit noch ärgeren Dingen zusetzen würde. Damit könnten sozusagen dem ausgefegten Beelzebub sieben andere folgen, die noch ärger wären als der erste. Eine dahin gehende Zusicherung des Monarchen wäre deshalb von großem Werte, weil damit die Hinterthür ins politische Schachercabinet ins Schloss gehauen wird, hinter dem hilfsbedürftige Regierungen auf Kosten des deutschen Volkethums Concessionen an Tschechen, Schlachzizen und Windische verhan- dela könnten. Damit wär's nun aus und wenn dem so ist, hat auch für jede künftige Schacher- majorität keine Regierung „was zu handeln“. Die üble Laune der Tschechen gründet sich vornehmlich auf die bittere Erkenntnis, daſs die Fortsetzung des bisherigen für sie so einträglichen Ausschrotegeschäftes mit der Loyalität vorläufig einen Abschluss ge- funden haben könnte. Einer solchen Thatsache gegenüber, daſs der nationale Gabentempel geschlossen würde, erklärt Abg. Pergelt, damit würde die Obstruktion wahrscheinlich ihr Ende finden und die Deutschen würden anstandslos die Delegationswahlen vor- nehmen lassen. Das wäre schon ein Beitrag zur Entwirrung; denn selbst unter den Deutschradikalen wird die Ueberzeugung ausgesprochen, daſs in solchem Falle die Obstruction gegenstandslos sein würde, die Aufhebung der Sprachenverordnungen selbstver- ständlich als Erstes vorausgesetzt. Damit ist auch der Beweis geliefert, daſs diese Obstruction nur bittere Nothwehr war, die in demselben Augenblicke der Antheilnahme an den Arbeiten für den Staat weicht, als der Stein des Anstoßes für jetzt und alle Zukunft aus dem Wege geräumt wird. Ungebrochen steht das deutsche Volk da, nach so langen heftigen Kämpfen und darum mehren sich selbst auf Seite der Polen die Stimmen der Erkenntnis, dahin gehend, daſs es für die Polen nicht gut gethau war, alle Sprünge der Jung- tschechen mitzumachen und die sogenannte slawische Solidarität findet gerade bei den hellsten Köpfen im Polenlager eine höchst abfällige Beurtheilung. Diese Stimmungen seitens des Beamtenministeriums entsprechend ausgenützt, würden wohl endlich zur Isolirung des ewig unruhigen, staatsrechtlichen Flausen nachflatternden Hussitenthums führen und damit zur Beruhigung und Gesundung des Staats- wesens, wenn dessen Grundpfeiler, das Deutschthum wieder aufgerichtet ist. Uns kanns recht sein, wenn sich die ums Be- Die Stiefschwestern. Roman von Anna Seyffert. (8. Fortsetzung.) Ewald fühlte dies klar und deutlich, und dennoch scheute er sich, seiner Gattin die Briefe zu zeigen. Fürchtete er kleinliche Eifersucht ihrerseits? Fürchtete er für ihre Liebe? Er konnte es sich selbst nicht sagen; jedenfalls wäre es ihm äußerst peinlich ge- wesen, wenn Elsas Augen auf dem Namen „Berenice“ geruht hätteg, und trotzdem er die zunehmende Be- fremdung in seines Weibes Miene las, war er fest eutschlossen, die Briefe vor ihr zu verstecken. Und so kam es denn, daſs trotz all seiner Be- mühungen heiter zu scheinen, trotzdem er Elsa die gewohnten, überreichen Liebkosungen erwies, die sich zurückhaltend und schweigsam verhielt, und darauf der Graf seiner überquellenden Zärtlichkeit einen gewaltsamen Damm setzte. Dies war der erste große Schatten, der das Lebensglück des liebenden Paares verkümmerte! — „Wann wirst Du reisen?“ fragte am Abend dieses Tages, der den Beiden nur langsam dahin- geschwunden war, die Gräfin. Ewald richtete sich energisch empor. „Es ist wohl das Beste, wir scheiden so bald wie möglich, um aus so bald wie möglich wieder vereinen zu können,“ meinte er ernst. „Sei gut und tapfer, mein liebes Weib! Ich hoffe, Dich noch [Nachdruc verboten. vor dem Christfeste meiner Familie zuführen zu können.“ Die Gräfin ließ muthlos das Köpfchen sinken. „Mir ist so unendlich bange,“ flüsterte sie fast unhörbar, „kannst Du Deinem Vater nicht Alles brieflich berichten, damit wir zusammenbleiben können?“ „Das geht nicht,“ wehrte er bestimmt ab, „ich kenne meinen Vater, er würde mir diese Art und Weise niemals vergeben! Nein, Geliebte, ich muss ihm Aug' in Auge gegenüberstehen, er muss sehen, fühlen, wie die Liebe zu Dir mein ganzes Sein gefangen hält! Nur so kann ich seine Vorurtheile bezwingen und nicht wahr, mein Lieblina, sollte mein Vater bei Deinem ersten Zusammentreffen mit ihm nicht so freundlich und entgegenkommend sein, wie Du es wünschest, mir zu Liebe wirst Du nicht empfindlich sein?“ Jetzt hob die junge Frau zuversichtlich das blonde Haupt. „Nichts weniger als das Ewald! Es soll mir im Gegentheil eine hohe Befriedigung gewähren, wenn ich mir Schritt für Schritt das Terrain und damit die Zuneigung Deiner Eltern erobere!“ „Wie richtig Du stets denkst und handelst,“ gab er bewundernd zurück. „Auf diese Weise bin ich sicher. daſs Du nach kurzer Zeit die ungetheilte Zuneigung meines, ein wenig wunderlichen alten Papas besitzen wirst.“ „Ach, wenn nur erst die böse, böse Trennungs- zeit überstanden wäre,“ seufzte Elsa. „Mein Plan ist es“, begann er nach kurzem Schweigen, „wir reisen sofort morgen ab, und ich begleite Dich zu Deiner Mutter. Dort bist Du wohl geborgen, bis zu meiner Rückkehr und das Zusammensein mit ihr wird Dir den Trennungs- schmerz erleichtern.“ „Ja, das ist eine köstliche Idee, daran habe ich noch gar nicht gedacht, Ewald! Ach, wie wird Mama sich freuen! Aber ganz unverhofft dürfen wir nicht eintreffen, Du musst sofort telegraphieren.“ Und über dem bevorstehenden Wiedersehen mit der Mutter vergaß die junge Frau in der That zum größten Theil den bangen Schmerz, der sich so drückend auf ihre junge Seele gelegt hatte. Es war nun wieder, als sei nichts Fremdes zwischen die Liebenden getreten, so zwanglos und traulich verkehrten sie miteinander — erst viel später erinnerte sich die Gräfin der trüben Stunde, die sie am sonnigen Ufer des Mittelländischen Meeres durchlebt. Und, als Schmerz und Enttäuschung gar arg an ihrer Seelenstärke rüttelten, da begann sie, sich jenes an und für sich ganz harmlose Vor- kommnis nach ihrer Weise zu deuten. Jetzt aber beherrschte eitel Freude das junge Weib, und als sie in einer einfachen Mietsdroschke durch dichtes Schneegestöber der kleinen Villa der
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karlsbader-badeblatt-1899-10-04-n225_4645.jp2