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Gette 4
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 221
28. September 1899
jelig
aufblickte, daſs das Kind beim Hinausstürzen mit
den Hosen an einem Fensterhacken hängen geblieben
war und dort, mit dem Kopfe nach abwärts, in
schaudernder Höhe schwebte. Die Mutter brach ob
dieses Anblicks ohnmächtig zusammen und blieb im
Hofe liegen. Glücklicherweise war nun die im
Hinterhause wohnende Frau Eleonore Kral aufmerksam
geworden, daſs etwas Besonderes los sein müsse
und bemerkte, als sie nachsah, die gefährliche Situa-
tion des Kindes. Rasch entschlossen eilte sie in den
zweiten Stock und in die Wohnung der Kibisch, wo
es ihr mit sicherem Griff gelang, das Kind' be-
einem Fuße zu erwischen und beim Fenster hereini
zuziehen. Das Kind, welches vielleicht 10 Minuten
in dieser schrecklichen Lage verbracht haben mochte,
war bereits leblos, wurde aber bald wieder zum
Bewuſstsein gebracht, während welcher Zeit sich
auch die Mutter von ihrer Ohnmacht erholte, so
daſs beide mit dem Schrecken davonkamen. Der
wackeren Frau Kral, welche durch ihre Geistes-
gegenwart und rasche Entschlossenheit obige Familie
vor großem Leid bewahrte, gebürt vollste Aner-
kennung.
Eger, 26. September. [O.-C.] (Communal-
realschule. — Collegentag.) Die heuer mit zwei
Classen eröffnete Communalrealschule hat einen guten Be-
such aufzuweisen. Zur Aufnahme meldeten sich in die erste
Classe 68 Schüler und in die zweite 22, zusammen somit
90 Schüler. Die erste Classe wurde in Parallelclassen ge-
spalten. Der Nationalität nach sind mit Ausnahme zweier
Tschechen alle Schüler deutsch. Das Schuljahr wurde am
19. d. M. feierlich mit einem Gottesdienst eröffnet, woran
sich eine Besichtigung der Anstalt seitens des Stadtrathes
anschloss. Die Einrichtung der Realschule, streng ent-
sprechend allen Forderungen der praktischen Erfahrung und
der Schulhygiene, muss als eine mustergiltige bezeichnet
werden. Director der Anstalt, welche der Stadt Eger nur
zur Ehre gereicht und schon heute den sprechenden Beweis
für ihre Nothwendigkeit bildet, ist Herr August Fieger. —
Am 23. und 24. d. M. feierten jene, welche am 1. October
des denkwürdigen Jahres 1866 am Egerer Gymnasium
ihre Studien begannen, die 33. Wiederkehr des Tages
durch eine Gedenkfeier im Rathskeller. Erschienen waren
die Herren Adler Karl, Kaufmann in Eger, Döltsch Karl,
Centralinspector beim Grafen Waldstein in Prag, Fischer
Josef, k. k. Gerichtssecretär in Eger, Hallisch Ludwig, k k.
Rotar in Wildstein, Hüttisch Josef, k. k. Notar in
Karlsbad, Janota Eduard, Apotheker und Stadtrath
in Falkenau, Kammerer Lorenz, Kaufmann und Stadtrath
in Eger, Kanders Vinzenz. Schulleiter in Thein, JUDr.
Keylwerth Julius, Advokat in Graslitz, Korn Oskar.
Oberrevident im k. k. Eisenbahnministerium in Wien,
MUDr. Loimann Gustav, Badearzt in Franzensbad, Marek
Josef, k. k. Professor in Pilsen, Reger Franz, mag. phar.
und Bürgermeister in Plan, MUDr. Rubner Georg,
Districtsarzt in Asch, und Zembsch, Apotheker in Tepl.
Herr Janda begrüßte als Einberufer die Erschienenen,
worauf Herr G. S. Fischer der verstorbenen Lehrer und
Collegen (17) gedachte. Herr Kammerer überbrachte die
Grüße der Stadt Eger. Am 24. d. folgte ein Besuch der
alma mater, wobei Herr Director Marx den Führer
machte, und sodann eine Besichtigung der Sehenswürdig-
keiten der Stadt unter persönlicher Leitung des Herrn
Bürgermeisters Dr. Gschier. Der Schülerlade des Gym-
nasiums wurde ein ansehnlicher Betrag gespendet. Der
Collegentag verlief in schönster Harmonie.
Eger, 27. September. [O.-C.] (Ein Raubmorg
bei Königsberg.) Die Kunde von dem bei Maria
Kulm verübten Raubmord hatte sich schon am Sonntag
Vormittag im ganzen Egerlande rasch verbreitet und er-
regte allüberall, wo sie hindrang, um so größeres Auf-
sehen, als unsere Gegend schon seit einer geraumen Reihe
von Jahren von einem derartigen Fall verschont geblieben
ist. Die Einzelheiten der Unthat sickerten aber bisher
nur sehr langsam und spärlich in die Oeffentlichkeit, so
daſs bis heute eigentlich kaum mehr als die nackte That-
sache selbst und vielleicht noch die Namen der Gemordeten
bekannt sind. Das Dunkel, welches die That noch jetzt
zum größten Theile in Dunkel umhüllt, macht sie noch
räthselhafter und steigert das Entsetzen. Der Thatbestand
des Raubmordes, und an einem solchen ist nach allen
Wahrnehmungen kaum zu zweiseln, ist nach unseren an
Ort und Stelle eingeholten Informationen folgender:
Der 51 Jahre alte, nach Königsberg zuständige und dort
wohnhafte Frächter Georg Riedl und dessen 15 Jahre
alter Sohn gleichen Namens hatten am Samstag nach-
mittags von der Leitung des Bahnbaues Daſsnitz-Bukwa,
für welche sie Frächterdienste leisteten und hiefür 6 fl.
Tageslohn bezogen, den Lohn für die verflossene Woche
im Betrage von 36 fl. und hiezu noch 4 fl. rückständigen
Geldes, somit zusammen 40 fl., in Empfang genommen.
Nach 7 Uhr abends, als sie sich in dem Wirtshause des
Franz Rubner, genannt zum Strohhäusel, in Ensengrün
gelabt hatten, machten sie sich in Begleitung zweier an-
derer Fuhrwerke und zwar eines gewissen Haselmüller
und Fischer, beide in Königsberg, auf den Heimweg.
Riedl hatte vorher eine Zahlung von 9 fl. geleistet, so
daſs er noch einen Betrag von etwa 30 fl. bei sich führte.
Seine Pferde giengen langsamer als die gut genährten
feurigen Rosse der beiden anderen Fuhrwerke, und da
er überdies noch in einem Häuschen sich aufhalten musste
setzten Haselmüller und Fischer ihren Weg mit Zurück-
lassung des Riedl allein gegen Königsberg zu fort. Riedl
fuhr auch bald davon; er benützte aber nicht die Straße,
sondern den Fahrweg, welcher von der Kapelle am Maria-
hilfsberg abzweigt und wegen seiner Steilheit und
schlechten Beschaffenheit nur von leerem Fuhrwerk und
zwar auch nur bergab benützt werden kann. Er ver-
bindet Mariakulm mit Pochlowitz und geht an den so-
genannten Hauhäusern in der Nähe der Ziegelei vorüber,
zwischen dem Fußsteig und der Straße. Auf diesem Fahr-
weg nun, in der Nähe der Ziegelei, wurde der Mord
verübt, and zwar etwa um 1/28 Uhr abends, also zur Zeit
der größten Dunkelheit. Ein Junge, der um diese Zeit
aus einem der in der Nähe befindlichen Häuschen Bier
holen gieng, hörte plötzlich aus der Nacht den wie von
einer Frauenstimme herrührenden Ruf: „Kommt mir zu
Hilfe.“ Er machte, von dieser Wahrnehmung erschreckt,
die Meldung, doch legte man ursprünglich kein Gewicht
darauf. Da ließ sich wieder aus der Stille der Nacht
ein zweiter, halberstickter Ruf vernehmen: „Ihr erschlagt's
ja meinen Vater.“ Gleichzeitig wurden auch dumpfe
Schläge vernehmbar, ähnlich dem Geräusch, wie wenn
mit Zaunlatten wuchtig geschlagen wird. Nun erst zün-
deten zwei beherztere Männer eine Laterne an und giengen
der Stimme nach. Plötzlich stießen sie auf zwei auf der
Straße liegende menschliche Körper. Sie kehrten sofort
geängstigt um und holten weitere Hilfe. Diese kam bald
und jetzt erst hatte man den Muth, näher zuzusehen. Da
fanden sie denn Georg Riedl, Vater in einer Blutlache
am Rücken liegen und kaum zwei Schritte davon Georg
Riedl, Sohn, mitten am Fahrweg, mit dem Gesichte nach
abwärts, gleichfalls in einer Blutlache. Beide gaben noch
Lebenszeichen von sich. Die Leute wollten nun nach
einem Fuhrwerk eilen, um die Verwundeten nach Königs-
berg zu bringen, als sie erst jetzt, etwa 15 Schritte vom
Thatorte entfernt, das Fuhrwerk der Geschlagenen ge-
wahrten. Die Verletzten wurden auf den Wagen gelegt
und nach Königsberg gefahren, woselbst sofort bei der
Gendarmerie die Anzeige erstattet wurde. Diese begab
sich allsogleich an Ort und Stelle und hielt hier bis 2 Uhr
nachmittags kommenden Tages, um welche Stunde die
Gerichtscommission aus Falkenau eintraf, Wache. Riedl
sen. lebte noch bis etwa 8 Uhr früh, ohne freilich das
Bewuſstsein erlangt zu haben; Riedl jun. lebt noch, hat
aber so fürchterliche Verwundungen, daſs ihn die Aerzte
aufgeben. Was das Motiv des Mordes anbelangt, kann
nur Raub angenommen werden, denn bei dem Getödteten
fand sich von den 30 fl., die er hätte haben müssen, nichts
mehr vor; das Geld ist ihm geraubt worden. Rache,
Feindschaft oder ein anderer Beweggrund erscheinen aus-
geschlossen, weil der Ermordete wegen seiner Gutmüthigkeit
überhaupt keine Gegner hatte. Die Situation scheint nach
allen Anzeichen folgende gewesen zu sein: Der Sohn lenkte
das Fuhrwerk und der Vater gieng hinterdrein. Dieser
muss nun rücklings überfallen und durch einen Hieb
niedergestreckt worden sein. Als der Sohn dies hörte,
hielt er an, bremste stark ein und eilte dem bedrängten
Vater zu Hilfe, dabei den schon erwähnten Hilferuf aus-
stoßend. Doch auch er wurde, in die Nähe des Mörders
gekommen, mit Hieben niedergeschlagen. Die Lage der
gefundenen Opfer, der Vater am Rücken, somit von hinten
geschlagen, der Sohn am Gesicht liegend, also während
des Hinzueilens von der feilen Mörderhand getroffen,
deuten dies nur zu schrecklich an. Auch über die Waffe
ist man sich ziemlich klar. Es dürfte dies ein frisch ab-
geschnittener Kiefernstock gewesen sein, da sich am Kopfe
des Vaters Theile von Kiefernrinde, am Haare fest hän-
gend, vorfanden. Die That erscheint mit einer Bestialität
sondergleichen vollführt. Was den Thäter anbelangt, so
fehlt leider jede Spur. Auf dem Thatorte fand sich neben
der Fußspur eines Stiefeleisens auch nicht der kleinste
Anhaltspunkt, welcher zum Ausgangspunkt eines be-
stimmten Verdachtes oder einer bestimmten Verfolgung
dienen könnte. So weit auch alles abgesucht wurde, fand
man weder die Waffe, noch die Stelle, wo sie abge-
schnitten wurde. Eines kann mit Bestimmtheit gesagt
werden: Daſs der Thäter ein ungemein kräftiger Mensch
sein muſs, weil die Schädelhiebe eine geradezu furchtbare
Wucht bezeugen. Weiter lässt sich annehmen, daſs nur
ein Thäter die Morde verübt hat, da nur eine Fußspur
gefunden wurde und die Verletzungen bei Vater und
Sohn fast gleicher Art sind. Dann kann ferner ange-
nommen werden, daſs der Mörder auf seine Opfer ge-
lauert hat; er hat somit wissen müssen, daſs Riedl den
Fahrweg und nicht wie die meisten Fuhrleute die Straße
fährt. Er hat somit eine genaue Personen- und Local-
kenntnis haben müssen und das läſst wieder vermuthen,
daſs der Mörder in der Umgebung von Mariakulm zu
suchen sein dürfte. Aus dem Moment, daſs er auch den
Sohn entsetzlich geschlagen hat, kann man wohl mit einiger
Berechtigung folgern, daſs er dem Sohne bekannt war
und dessen Aussage fürchten muſste. Die Leute, welche
als erste am Thatorte erschienen, haben nichts Verdäch-
tiges bemerkt. Durch die Laterne, welche sie angezündet
hatten, wurde freilich der Mörder rechtzeitig gewarnt.
Dienstag Vormittag um 10 Uhr wurde Riedl sen. unter
geradezu enormer Betheiligung der Bewohnerschaft von
Königsberg zur ewigen Ruhe bestattet. Seine Familie
ist der bittersten Noth ausgesetzt.
Teplitz, 26. September. O.-C.] (Verschiedenes.
In den nächsten Tagen wird die Ernennung des neuen
Bezirkshauptmannes von Teplitz erfolgen. — Die Bürger-
meister- und Stadtrathsergänzungswahl ist für Samstag.
angesetzt. — Uebermorgen findet die feierliche Weihe und
Eröffnung des Deutschen Kaiser Franz Josef-Studenten-
heims auf der Königshöhe (Bella Vista) statt. — Vor-
gestern ereignete sich auf dem Dittrich'schen Kalkbruche zu
Settenz ein Unglücksfall; es öste sich nämlich vom Kall-
bruche eine Seitenwand ab, wobei zwei dortselbst beschäf-
tigte Arbeiter Verletzungen erlitten. Eine Schuld am Un-
falle ist niemandem zuzuschreiben. Die Ablösung scheint
infolge der häufigen Regengüsse hervorgerufen worden zu
sein. — Bei dem am Sonntag in Mariaschein abgehaltenen
Verbandstag christlicher Vereine aus West- und Nordwest-
böhmen waren circa 15 Vereine vertreten; Theilnehmer
(Christliche, Frauen ꝛc.) waren gegen 180 anwesend. Zum
Vorsitzenden wurde der Schriftsetzer (!!) Trapp aus Marien-
bad gewählt. Redacteur Böhr aus Warnsdorf bemerkte
bei seinem Vortrage „Zeitfragen und unsere Stellung“.
daſs er den Vorwurf zurückweise, daſs die katholischen
Vereinigungen „Finsterlinge“ seien. Er verwahrte sich ferner
dagegen, dass die Vereinigung, die eben hier tage, nicht
gut katholisch, nicht gut deutsch, nicht gut österreichisch sei.
Die Vereinigung sei vielmehr für eine weltliche Bildung,
damit das Volk in religiöser Beziehung nicht verdumme.
Abg. Axmann wetterte in seiner Rede gegen die Deutsch-
nationalen und Socialdemokraten. Die ersteren nannte er
Renegaten. Die ins Werk gesetzte „Los von Rom“-Be-
wegung nannte Axmann ein Verbrechen an dem
deutschen Volke (?). Vor dem Versammlungslocale
begehrten viele Deutschnationale Einlass. Es wurde
seitens der Einberufer dieses Verbandstages Gendarmerie
requiriert, welche sich vor das Local postiert hatte und die
Menge mit aufgepflanztem Bajonett zurückdrängte.
Fischern, 27. Sept. (O-C.) Die erste Sitzung
des neugewählten Gemeinde-Ausschusses wird Freitag
den 29. September um 3 Uhr nachmittags im
Sitzungssaal des „Central-Hotel“ stattfinden. Außer dem
Programm sei hervorgehoben: Festsetzung der Geschäfts-
und Sectionsordnung. — Wahlen in die einzelnen Sec-
tionen und Kommissionen. — Neuwahl des Ortsschulrathes.
Ansuchen des Herrn Adolf Neubauer, Alfred Zentner
und Franz Roscher um Abänderung des Lagerplanes,
käufliche Erwerbung eines Theiles von der städtischen
Grundparzelle 422/9 und um Auftheilung ihrer Parzellen
420/11, 422/33, 422/9, 419/4 und 419/3 in Fischern auf
Bauplätze. — Ansuchen des Herrn Simon Holzner um
Abtheilung seiner Grundparzellen 428/4, 428/5 und 438/7
in Fischern auf Bauplätze. — Erweiterung der städtischen
Wasserleitung in der oberen Neustadt. — Regelung der
städtischen Vieh- und Fleischbeschau.
Vermischtes.
(Römisches. ) Dem Buche eines Deutschösterreichers
Dr. Schranka entnehmen wir folgende Notiz: Ein Trien-
tiner italienisches Blatt publicierte ungefähr im Jahre
1890 eine Zusammenstellung betreffs der in den letzten drei
Jahrhunderten von der römischen Kirche heilig und
elig gesprochenen Personen. Hiernach beträgt die
Zahl jener, welche nach dem Jahre 1500 starben und bis
jetzt kanonisiert wurden, 96, während in derselben Zeit 320
Wie
Zal
ſpri
ant
die
weib
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Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-09-28-n221_4410.jp2