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28. September 1899
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 221
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Lebemänner, muss man eine Erscheinung von der
Urwüchsigkeit, Natürlichkeit und Frische der „Tegern-
seer“ doppelt herzlich begrüßen. Hier treten uns
keine blasierten Jammergestalten und Schmacht-
lappen neben dem obligaten, mehr ungezogenen als
„naiven“ Backfischen entgegen; wir sehen auf der
Bühne mit wahrem Behagen wieder einmal Menschen
mit Fleisch und Blut, die ihre seelischen Conflicte
unmittelbar aus der Natur heraus schöpfen und
nicht nur als lächerlich incarvierte Anschauungen
oder „Ideen“ auftreten. Unmittelbar, durch keinen
gesellschaftlichen Zwang eingeschränkte Gemüths-
offenbarungen, Scherz und Freude, ohne alle Ge-
dankensankränkelungen vorgeführt, zeigen uns das
Gesunde und Ehrliche, dessen Bemäntelung nur die
vergiftete Frucht einer ausgequälten, raff niert ober-
flächlichen Gesellschaftssophistek ist. Die „Tegern-
seer“ bringen uns das directe Gegentheil von aus-
geklügelter, berechneter und berechnender Theatralik,
sie bringen sich selbst, nicht als Theaterpuppen,
sondern als das, was sie sind: als Bauern, als
einfache, gefunde, frische Menschen mit urwüchsigem,
natürlichem Empfinden und nicht forciertem Können.
Sie spielen so, daſs man ihnen glauben muss und
nicht nur eventuell glauben kann. Von der Bühne
aus geht deshalb ein unverfälschter Zug froher
Stimmung in den Zuschauerraum über; man fühlt
sich wohl 'in dieser idyllischen Welt, die uns da
droben so neu und frisch und naturwahr gezeigt
wird. Lebenswahr, ungekünstelt und deshalb hin-
reißend ist ihr Humor, natürlich und ungezwungen
ihr ganzes Auftreten. Das Spiel zeigt Herz, und
ihr Verstand ist ihr in's Bewuſstsein übersetzte
Herz; sie empfinden richtig und denken deshalb
richtig, so daſs wir uns der Empfindung, etwas
Harmonisches vor uns zu sehen, nicht verschließen
(Königs- und Schlussschießen.) Die
Schießleitung des k. k. priv. Schützen-Corps ver-
anstaltet an den Tagen des 1. 4., 8. und 15. Okto-
ber ein mit reichen Geldgewinnsten ausgestattetes
Königs- und Schluſsschießen. Von den zur Auf-
stellung gelangenden Königs-, Schützen-, Fest-, Feld-
und Uebungsscheiben heben wir besonders die Meister-
schafts- sowie die Naturalienscheibe hervor. Auf
ersterer kann die Meisterschaft von Karlsbad er-
rungen werden. Die fünf besten Meisterschützen werden
mit einem Meisterschaftszeichen sowie mit einen Ducaten
nebst prachtvoller Figur honorirt. Auf der Natu-
ralienscheibe gelangen die von den Herren Scheiben-
und Corpsschützen gespendeten Preise zur Vertheilung.
Auf dieser Scheibe wird es viel Spaß geben, nach-
dem die Preise verborgen sind. Diejenigen Herren
Scheiben- und Corpsschützen, welche Naturalienpreise
spenden, wollen dieselben bis längstens 8. October
bei den Herren Schützenmeistern Karl Meißner,
Karl Lippert, Johann Schmidt, Egerstraße und
Anton Töw, Pragergasse übergeben. Außerdem
wird bei dem Königsschießeu auf allen Scheiben jeder
Cartontreffer mit einem Gewinn honorirt. Am
1. October vormittags 11 Uhr findet ein Ausmarsch
des Schützen-Corps mit Musikgzum Königsschießen
(Für Meister und Gehilfen aller
Branchen.) Die offenen Zeichensäle
an der gewerblichen Fortbildungsschule zu Karls-
bad sind heuer sehr ungleich besetzt. Während in
dem Saale für Kunstgewerbe an dem letzten
Sonntage an 25 Theilnehmer anwesend waren,
saßen in dem für Holzbearbeitung nur 10
und in dem für Bangewerbe nur 6. Aller-
dings hat dieser geringe Besuch des letztgenannten
Saales vielleicht darin seinen Grund, daſs an dem
genannten Tage die Fahnenweihe des Sängerbundes
stattfand Neueinschreibungen werden an jedem
Sonntage in der Zeit von 8-12 Uhr früh in den
betreffenden Sälen vorgenommen. In obigen er-
scheinen freilich nur die ständig zeichnenden Gehilfen
und Meister aufgezählt, nicht jne, welche nur
zwecks Erlangung einer Slizze oder eines Rathes
die Säle besuchen.
(Schuhmacher- und Schneider-
curse.)
Der von Herrn Schuhmachermeister
Josef Erbart geleitete Zuschneidecurs an der
gewerblichen Fortbildungsschule ist von 12, der des
Herrn Schneidermeisters Heinrich Pecher von
16 Gehilfen und älteren Lehrlingen besucht. Erstere
haben Mittwoch und Donnerstag, letztere Montag
konnen.“
statt.
und Samstag von 7 bis 9 Uhr im Zimmer Nr. 5
des Fortbildungsschulgebäudes Unterricht. Neuan-
meldungen können in diesen Stunden erfolgen.
(Zur Verpachtung der Aberg-Re-
stauration.) Wie wir bereits gestern mittheilten,
wurde gleich den früheren Jahren die Aberg-Re-
stauration an Herrn Czermak um den Betrag von
800 fl. verpachtet. Hiebei wurde bemerkt, daſs im
Falle der bereits proj ctierten Erbauung des Ober-
geschoßes am Restautationsgebäude, der Pächter den
hiefür aufgewendeten Betrag zu verzinsen, resp. zu
amortisieren habe.
(Schutzhütte und Eccehomo-Kapelle.)
In Ergänzung unserer kurzen Notiz über die
Erbauung einer Schutzhütte und Kapelle unterhalb
der Franz Josefshöhe, in welch letzterer die über
Auftrag der Baronin Condenhove von einem
Titoler Künstler angefertigte Eccehomo-Statue un-
tergebracht wird, theilen wir mit, daſs dieser Bau
den Herre Maurermeister Anton Grimm und
Zimmermeister Rück übertragen wurde. Die Kapelle
wird in Rohziegelmauerwerk und granitartig auf-
geführt.
(Grundkauf.) Dem Ansuchen der Herren
M. Hirsch Söhne und S. Neubauer um käufliche
Ueberlassung von städtischem Bau und Vorgarten-
grund an der Habsburgerstraße hat das Stadtver
ordneten-Collegium in seiner letzten Sitzung statt-
gegeben und zwar wurden 27037 Quadratmeter
Vorgartenarund à 10 fl, 51·1 Quadratmeter Bau-
grund à 40 fl. an dieselben verkauft.
(Die demolierte Veranda) vor dem
Gasthause „Zum Engländer“, der zum Spotte
der Kaiser Franz Josefstraße gewordene Schutt-
haufen vor diesem Hause, bildete vorgestern wieder
einmal den Gegenstand einer Debatte innerhalb
unseres Stadtverordneten Collegiums Es gibt nicht
viel Debatten mehr im „Schoße unserer Stadtver-
tretung, die werden vorsichtigerweise innerhalb der
Sictionssitzungen mit Ausschluss der „Oeffentlich-
keit“ (hiemit ist ja doch nur die Localpresse zu ver-
stehen, da ein Steuerzahler sich selten in den
Sitzungssaal verirrt) abgemacht, denn in den Sec-
tionen geht die Sache viel gemüthlicher, dort kann
man bei einer guten Cigarre sans géne sich gehen
lassen, braucht nicht jedes Wort auf die Wagschale
zu legen und kann sich „per Du“ gegenseitig ab-
kanzeln. Kommt dann so ein heikler Berathungs-
gegenstand zur Debatte, so wird er, wenn auch
hie und da etwas unparlamentarisch, abgeschliffen
und abgehobelt und erst dann, wenn diese grode
Rede und Gegenredearbeit ordentlich vollendet ist,
fein säuberlich poliert und glatt in die öffentliche
Sitzung gebracht. Darum geht die Sache in
diesen „öffentlichen“ Sitzungen auch immer
so glatt von statten und es ist geradezu ein Er-
eignis, wenn einmal eine Debatte sich entspinnt,
aus der man den Lesern etwas mitzutheilen im-
stande ist. Dies geschieht meistens dann, wenn ein
Redner innerhalb der Sectionen nicht die nöthige
Anerkennung findet und diese Anerkennung nun
coram publico sucht. Die demolierte Veranda
vor dem Gasthause „Engländer“ ist eine solche An-
gelegenheit und alle Jene, welche diesen Schutt-
haufen in der dortigen Straße bekeitelten — und
bis jetzt hat ihn I der bekei elt — werden Herrn
Stadtverordneten Josef Hofmann Dank wissen,
daſs er einmal die Schablone außeracht ließ und
die strittige Angelegenheit in die Offfentlichkeit
brachte. Deshalb soll natürlich nicht gesagt sein,
daſs wir uns auf den Standpunkt stellen, dem Herrn
Harnisch als Besitzer dieser Veranda 5000 fl. zu
bezahlen, wie dies Herr Hofmann beantragte, denn
wir halten den Betrag weit zu hoch gegreffen —
aber es war unbedingt nothwendig, endlich einmal
diese Strittangelegenheit öffentlich zur Sprache zu
bringen, welche sich sozusagen unter dem Schutte
der Veranda verborgen hielt und niemand recht
klug werden ließ, wem eigentlich die Schuld bei-
zumessen sei. — Herr Stadtrath Lampel, als
Referent, gab nun ein Bild des Werd ganges in
diesem leidigen Processe, der hüben und drüben
wohl mehr Kosten schon verursachte, als der ganze
Grund wert ist. Nach dessem Referate steht nun
freilich die Stadtvertretung auf dem Standpunkte,
daſs sie bei Demolierung der Veranda nur dem
Auftrage des Landesausschusses ent-
sprochen habe und zwar dem stricten Auf-
trage „sofort die Veranda abzutragen und
innerhalb vierzehn Tagen Bericht zu erstatten.“
Es scheint aber doch das Gefühl vorgeherrscht zu
haben, daſs man hiebei trotz des vom juridischen
Standpunkte bewussten Rechtes sich einiger Härte
schuldig gemacht habe, denn man versuchte durch
Unterhandlungen auf gütlichem Wege das Stritt-
object aus der Welt zu schaffen. Anfänglich war
auch von Seite des Herrn Hunisch eine gewisse
Geneigtheit vorhanden, auf einen Ausgleich einzu-
gehen, da scheiet jedoch irgend ein hetzender fremder
Einfluss vorgewaltet zu haben und ein bereits
fast abgeschlossener Verkauf wurde wieder rück-
gängia gemicht; schließlich nahm Herr Harnisch
den Standpunkt ein: entweder man zahlt mir bare
6000 fl und gibt mir das Recht, eine Plache an
Stelle der Veranda anbringen zu lassen, unter
welcher ich Stühle und Tische aufstellen kann, oder
man stellt mir meine alte Veranba wieder auf und
zahlt mir eine Entschädigung für den Verdienst-
entgang der letzten zwei Jahre; Es wurden nun
neuerliche Unterhandlungen eingeleitet, welche jedoch
nur zu dem E gebnisse führten, daſs Harnisch nun
7000 fl verlangte. Diese Forderuna, die übrigens
schon die Reduction einer früheren Forderung per
10.000 fl. ist, ist gelinde gesagt un—verfroren —
aber, was will man, der Mann glaubt in seinem
Rechte zu sein und fordert nun. Der Stadt-
rath, der durch den stricten Auftrag des Lindes-
ausschusses salviert ist, und nachdem die eigentliche
Schuld dem Landesausschuffe zufällt, stellt sich auf
den Standpunkt, lieber die Veranda wieder auf-
zustellen und die zweijährige Entschädigung zu be-
zahlen, welche Kosten bei weitem die verlangten
7000 fl nicht erreichen würden, als den Grund
um diesen hohen Betrag zu erwerben, umsomehr,
als hierdurch ein Präcedenzfall für die übrigen
Grundbesitzer geschaffen würde. Es sei daher ruhig
die behördliche Entscheidung abzuwarten, die gewiss
bis zum nächsten Frühjahre erfolgt sein wird und
im strengsten Falle nur die Verfügung der Wieder-
aufstellung der alten Veranda und Zahlung der Ent-
schädigungskosten im Gefolge haben kann. Der Stadt-
vertretung steht dann zweifellos das Recht zu, sich
an den Landesausschufs betreffs Schadloshaltung
zu wenden. — Herr Hofmann beantragte eine
Kaufsumme per 5000 fl., accomodierte sich dann
aber dem Antrage des Herrn St.-V. Anton Bayer,
der 4000 fl. für genügend hielt, die Sache aber
unbedingt aus der Welt geschafft wissen will. Auch
Herr St.=V. Dr. Felix Knoll wies auf manche
unlogische Entscheidungen in dem fraglichen Pro-
cesse hin — schließlich nahmen noch die Herren
Bürgermeister Schäffler, Stadtrath Dr. Pfeifer
und Herr St.-V. Mann! Stellung und sp ciell
Herr Dr. Pfeifer erklärte, daſs er als Jurist auf
keinen Fall für den Antrag Hofmann stimmen
könne, und bei der Abstimmung wurde der An-
trag des Stadtrathes mit 20 Stimmen angenommen.
— Der Schutthaufen bleibt also vorläufig noch
bis zum nächsten Frühjahre liegen und wenn bis
dorthin die behördliche Entscheidung nicht gefällt
ist, wird er auch noch länger paradieren, falls es
nicht gelingt, die Sache doch noch gütlich bei-
zulegen. Das letztere wäre wirklich lebhaft
zu wünschen, denn aus dem ganzen Gang der
Dinge erhellt denn doch, daſs hüben und drüben
Fehler gut zu machen sind. Ob die Stadt-
gemeinde vom Landesausschusse etwas rückvergütet
erhält, ist denn doch eine schwer zu beantwortende
Preisfrage! Vorläufig nimmt der Process seinen
Gang zum Bezirksausschuss und weiter zum Landes-
ausschuss.
(Ein aufregender Vorfall) spielte
sich vor einigen Tagen im Hause Nr. 289 in
Fischern-Altstadt ab. Im zweiten Stock des ge-
nannten Hauses bewohnen die Eheleute Anton und
Franziska Kibisch ein Zimmer, dessen Fenster nach
dem Hofe führen. An einem Nachmittage ließ nun
die Gattin ihr fünfjähriges Söhnchen Karl in der
Nähe des offenen Fensters spielen, während sie ihre
häuslichen Arbeiten versah. Als sie ihre Aufmerk-
samkeit wieder einmal auf den Kaaben richtete, sah
sie gerade noch, daſs derselbe das Feusterbrett er-
klettert hatte und ehe sie hinzuspringen konnte —
auch schon hinausstürzte. Als sie mit einem Schrei
der Verzweiflung über die Stiegen nach dem Hofe
eilte, um die wahrscheinlich zerschmetterte Leiche
ihres Kindes aufzuheben, fand sie dasselbe im Hofe
nicht vor und bemerkte, als sie nach dem Fenster
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