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Gette 2
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 221
28. September 1899
Tausendkünstlerstück, ein Ministerium zu bilden,
das der buntscheckigen Majorität passt, besser gesagt,
den Tschechen posst und der deutschen Opposition
recht ist, das das Staatsrecht näher bringt und
zugleich die Sprachenverordnungen aufhebt, kann
nur ein politischer Rosstäuscher möglich fieden;
hier gibt es nur ein Entweder — Oder. Aber man
meint, ein Hochfeudaler sei vom Himmel geschickt,
die Quadratur des Cirkels zu finden und zwischen
den Regentropfen spazieren gehen zu können. Man
kommt so in Oesterreich über den unvermeidlichen
feudalen Sküs nicht hinaus, der nichts mitbringt
als ein verschrobenes Kalksburgerhirn und so viel
versteht, wie der Weinhändler Dipauli, als er ins
Handelsministerium hineingeschneit wurde. An
diesen Geburtsfehlern ist auch das System Taaffe,
Badeni und Thun gescheitert.
Nach diesen dreien zum viertenmal rothe
und schwarze Tschechen den Staatskarren kutschieren
zu lassen, muſs so enden, wie die früherenmale,
vielleicht noch schlimmer. So gescheidt zu sein, das
einzusehen, kann man auch von einem geistig
Minderbemittelten verlangen. Denn das wäre der
politische Narrencirkel ohne Ende. Vielleicht wird
aber auch noch dieses letzte Stadium durchgekämpft
werden müssen. Wir weden auch noch erleben,
daſs die Tschechen, die vor einem Jahrzehnt die
beiden „Uhuprinzen“ angespuckt haben, demnächst
em„Afred gehorsamst die Hand küssen. Du lieber
Gott; haben sich doch auch die Herren Thun und
Kaiz' erst geschlagen, dann vertragen!
Die Klerikalen, Polen und Tschechen kehren
jetzt ihre rauhe Seite heraus gegen ein provisorisches
Beamtenministerium zur Entwirrung der Lage.
Natürlich; den römischen, hussitischen und polakischen
Herrschaften gefällt die Anarchie in Oesterreich
über die Maßen, je verwirrter es da drinnen her-
geht, defto besser für die Reaktion. Ein Beamten-
ministerium, daſs von einer Herstellung der Ord-
nung und Beruhigung spricht, findet demnach bei
jenen „opferwilligen Staatsstützen“ jenes Gefühl,
das der Teufel vor dem Weihwasser hegt. Mit
einer Protzigkeit, die ihresgleichen sucht, verkündigt
der Linzer Jesuit Ebenhoch, der sonst in der
Loyalitätswedelei einem schwarzen Pudel nichts
nachgibt, seine Leute würden einem neutralen
Beatenminifterium nach Möglichkeit Prügel unter
die Füße werfen und der brave Kathrein er-
klärte zum xten Male, was übrigens die Welt
schon längst wusste,“ daſs die Klerikalen an die
Tschechen angeleimt sind. Der alte Orerschlachzize
Jaworski will nicht nur von einem Ministerium
der deutschen Großgrundbesitz r, sondern auch von
einem Beamtenministerium durchaus nichts
wissen. Alle diese Herrschaften geberden sich coa-
servativ, aber ihr Vorgehen läuft, wie immer, auf
Erhaltung der Anarchie hisaus; denn auch
eine „wentrale“ Regierung findet bei ihnen
keine Gnade!
Es wird wohl nichts übrig bleiben, als den
Hochmuth dieser Herrschaften ein wenig kurzzu-
stutzen. Das gienge höchst einfach durch eine
Auflösung des Reichsrathes, wenn die
Herren Polen und Römlinge weiter trotzen wollen.
Wenn Ebenhoch schreibt, in Hinkanft würde seine
Majorität die Minister stürzen, so möge er erst
warten, was die Reichsrathsneuwahlen für eine
Majorität ergeben; vorausgesetzt, daſs sie nur in
gesetzlicher und objectiver Weise vollzogen
werden. Auch dem alten polnischen Planderer
müsste gesagt werden, wenn er nicht stille schweigen
will zu einem Uebergangsministerium aus der
Beamtenschaft, daſs eine neue — nur objectiv
vollzogene Reichsrathswahl gerade dem Polen-
Club eine niederschmetternde Niederlage beipringen
würde. Die Schlachta, welche Galizien in ihren
Seck gesteckt hat, möchte freilich im Bewusstsein
ihrer Sünden gerade desw gen neuerdings ein
klerikal-feudales Ministerium haben, sie fürchtet
gerade deswegen ein Ministerium, welches
nicht bei jedem Schrute den alten Jaworski fragen
würde, weil ein von der Schlachta abhängiges
Ministerium alsbald genöthigt sein würde, die Fenster
und Thüren Galiziens aufzumachen, um die Luft
daselbst zu reinigen. Längst erträgt das polnische
und das ruthenische Volk in Galizien nur mit Un-
willen das Joch des Bundschuhadels; es sieht noch
immer mit einem gewissen Vertrauen nach Wien,
ob wohl es dort schon so oft getäuscht worden ist
durch die österreichischen Regierungen, die es
schließlich stets bequemer fanden, sich mit dem beute-
luftigen Adel und mit der Volksverdummung der
Geislichkeit abzufinden, als dem Volke sein Recht
auf Wohlstand und Bildung zu gewähren. Sollten
aber einmal die Herren Schlachzizen, die allerdings
bis zur Stunde Oesterreich kommandiert haben, im
Uebermuthe mit der Reichsregierung in Zwist
gerathen, dann müsste doch endlich in dieses galizische
Wespennest — aber fest — gegriffen werden.
Die Iaworski, Blinski u. s. w. sollten doch um
ihrer selbst willen den Gedanken aufgeben, eine
Fronde bilden zu wollen, gerade sie würden, wenn
die Bureaukratie nicht in ihren Dienst gestellt wird,
trotz der geistlichen Bundesgenossenschaft gehörig
zerzaust aus den Neuwahlen hervorgehen.
Auch die Klerikalen thäten gut, an ihre Wähler
zu denken, wenn sie mit wahrhaft Ebenhoch'scher
Frechheit das Schicksal herausfordern wollen. Auch
in den Alpenländera bereitet sich vielfach ein Um-
schwung in den Stimmungen vor; an vielen Orten
wartet die Bevölkerung nur, welche Haltung die
Beamtenschaft einnehmen darf und wenn eine
wirklich neutrale Regierung nichts weiter thut
als das Gesetz zu handhaben und dem freien Spiel
der Kräfte zuzusehen: dann mögen die Römlinge
nach den Wahlen nur die Häupter ihrer Lieben
zählen. Nur der Druck von oben hat ihre
Sache bisher noch gehalten. Uebrigens — mögen
sie ihren Willen haben und ein Jesuitenministerium
kommen, das sich dann die Bewilligung des
ungarischen Ausgleichs nochmals erschechert: um
so besser. Denn nach den Feudalen müssen die
Klerikalen mit dem gänzlichen Abhausen an die
Reihe kommen. Erst dann wird muss mit dem
System gebrochen werden.
Local-Nachrichten.
(Personalnachrichten.) Unter den letzt-
angekommenen Kurgästen besinden sich: Se. Excel.
Herr General z. D. Wilhelm von Koerber aus
Lindau i. B. („Metropole“); Herr Ministerial-
director Geh Rath Bruno Merz aus Dresden
(„Ananas“); Frau Rittergutsbesitzerin Gräfie Melitta
Doenhoff geb. von Ranga aus Berlin (Hotel
„gold. Schild“); Se. Durchlaucht Ju dr. Franz
Prinz zu Windischgrätz, k. u. k. Overlieutenant
aus Prag (Hotel „gold. Schild“)
(Trauung.) Montag den 2. October l. J.
findet in der hiesigen Decanalkirche die Trauung
des Frl. Matie Bernhart (Haus „Silesia“)
mit Herrn Anton Haas, Muglied der Kur-
kapelle, statt.
(Hotel-Eröffnung.) Das gegenüber dem
Centralbahnhofe gelegene neuerbaute Hotel und
Restaurant „Deutscher Hof“ wird am Samstag
voa dem Hotelier Herrn Adolf Fischer vollständig
eröffnet. Am Eröffnungstage (Samstag abend)
findet ein Frei Concert statt.
(Wohlthätigkeitsverein „Kanone“.)
Der Verein veranstaltet zu Gunsten seines Vereins-
zweck s am 1. October ein Tanzkränzchen im Hotel
Weber.
(Von unserem Gymnasium.) Laut
eines Erlasses des Ministers für Cultus und Un-
terricht hat derselbe gestattet, daſs in dem in ein
normales Gymnasium übergehenden Communal-
Real Gymnasium in Karlsbad die Repitenten der
III. Classe sowie die in die III. Classe aufstei-
genden Schüler dieser Anstalt, deren Eltern und
Vormünder darum ansuchen, vom Unterrichte im
Griechischen dispensiert werden, für die
Genannten jedoch der Unterricht im Französischen
im Schuljahre 1899/1900 in der bezeichneten Classe
und sohin im Schuljahre 1900/1901 in der vierten
Classe ein obligater Lehrgegenstand bleibt.
(Elektrische Bahn und Thalschutz.
sperren.) Wie bekannt, ist das Project der
Durchführung einer elektrischen Bahn in Kailsbad
und zwar von der Rennvahn bis Kaiserpark wieder
aufgetaucht und insofern in ein discutierbares Sta-
dium getreten, als bereits zwei Offerte, die den
an solche gestellten Anforderungen entsprechen, vor-
liegen. Ein diese Frage erörternder an den Stadt
rath gerichteter Bericht des Herrn Bauditectors
Eduard Oertl wurde soeben des Stadtverordneten
und Ersatzmännern zum Studium herausgegeben.
Die Frage interessiert selbstverständlich über den
Kreis der Mitglieder der Stadtvertretung hinaus
die gesammte Bewohnerschaft. Um dieselbe über
den Stand der Frage ausführlich zu unterrichten
und so der großen Oeffentlichkeit die Möglichkeit
des Studiums zu bieten, bringen wir in einer
separaten Beilage zur heutigen Nummer unseres
Blattes den Bericht des Herrn Stadtbaudirectors
zum Abdrucke und fügen als Commentar das an
die Mitglieder der Stadtvertretung gerichtete Be-
gleitschreiben des Bürgermeisters an, das folgender-
maßen lautet:
Um alle Herren Stadtverordneten und Ersatz-
männer über die bisherigen Vorarbeiten für die even-
tuelle Errichtung einer elektrischen Stadtbahn in Ver-
bindung mit einem entsprechenden Hochwasserschutze für
unsere Stadt derart zu informieren, daſs es ihnen er-
möglicht erscheint, selbst hierüber die Anfichten weiterer
Kreise einzuholen, die für das eigene Votum in dieser
Frage etwa maßgebend werden könnten, erlaubt sich
der Stadtrath, Ihnen anruhend einen Abdruck des in
dieser Sache erstatteten bauämtlichen Berichtes zu über-
mitteln, der dazu geeignet sein dürfte, über dieses
Project entsprechende Aufklärung zu geben.
Der Stadtrath ersucht Sie, — trotzdem er noch
nicht in die Lage kam, die eigenen Berathungen zu be-
enden, und die mit der Verkehrscommission einzuleiten
diesen Bericht Ihrer gefälligen Prüfung unterziehen
zu wollen, wobei er im Sinne des Schluſsabsatzes des-
selben besonders darauf aufmerksam macht, daßs es
selbstverständlich und auch in den Intentionen des Be-
richterstatters gelegen erscheint, daſs die Beschluſsfassung
über diesen Vorschlag anfänglich nur eine principielle
sein kann, da dessen Realisierung davon abhängig
bleiben muſs, ob das auf dieser Basis aufzustellende
Detailproject der Stadtbahn, in Verbindung mit einem,
dem hohenorts zur Revision erliegenden Schutzprojecte
entsprechenden Hochwasserschutze durch mindestens sechs,
eventuell acht Thaleinbauten, die Zustimmurg der be-
rufenen Behörden und der von der Stadtgemeinde zu
hörenden, hervorragenden Sachverständigen finden kann.
Da weiters die Entscheidung über den Ausgangs-
punkt der Stadtbahnhauptstrecke noch davon abhängig
ist, ob über Auftrag der h. Regierung die Bauarbeiten
für die Herableitung des gesammten Personen-, Gepäck-
und Eilgutverkehrs der Buschtehrader Bahn auf den
Ceutralbahnhof, im Sinne der diesfälligen, bedingten
Grundabtretungs-Zugeständnisse der Stadtgemeinde
Karlsbad noch im Jahre 1900 begonnen werden, und
auch Incorporationsverhandlungen mit der Gemeinde
Donitz im Zuge sind, so ist hiedurch Zeit und Gelegen-
heit geboten, die Lösung der Fragen des Hochwasfer-
schutzes und der eventuellen Stadthahnanlage erschöpfend
zu ventilieren und zur Enscheidung zu bringen.
(Die städtischen Schießbuden) beim
Café Posthofe wurden wie bisher auf ein weiteres
Jahr an die Herren Julius und Karl Müller
um den Pachtschilling von 1000 fl. verpachtet.
(D' Tegernseer.) Die Concurrenten der
hier bestbekannten Schlierseer eröffnen heute im
hiesigen Stadttheater ein bis 12 October währen-
des Gastspiel; wer sich also an echten urwüchsigen
bairischen Bauerndialog, an Ländlern und Schuh-
plattlern mit den obligaten kernigen „Juchezern“
erfreuen will, wer Gefallen an frischen, hamordurch-
würzten, aus dem Bauernleben gegriffenen Volks-
stücken findet, wird heute und die folgenden Tage
das Stadttheater besuchen müssen. Ueber die
Leistungen des Ensembles haben wir schon berichtet und
geben lediglich nur noch einer Keitik der „Neuen
Augsburger Zeitung“ hier Raum, welche der Truppe
folgenden hübschen Geleitbrief ausstellt: „Das 30
Personen umfassende Ensemble sieht unter der er-
probten artistischen Leitung des Herrn Regisseurs
Richard Manz vom Gärtnerplatztheater in München.
Das erste Gastspiel brachte das bekannte ober-
bayerische Volksftück „Der Processhansel“ mit
Gesang und Tanz in 4 Acten von Dr. Ludwig
Ganghofer und Hans Neuert. Wir müssen gestehen,
daſs die Truppe den guten Ruf, der ihr voraus-
gegangen, nach allen Seiten hin vollauf gerecht-
fertigt hat. Was die Gesellschaft bot, war herzer-
freuend und wahrhaft erquickend und wirkte wie
ein belebender Trunk, wie ein frischer Luftzug in
einem moschusdurchdufteten Local. Seitdem man
auf unserem, von dem immer armseliger und geist-
loser werdenden Spree-Athen förmlich tyrannisirten
deutschen Theater fast nichts anderes mehr erblicken
kann, als „geistreiche“ Lieutnants und jemmervolle
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1899-09-28-n221_4400.jp2