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KKarlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 217
23. September 1899
Gründungen die adeligen Großgrundbesitzer eine
führende Rolle übernahmen. Sie, die nach der
Aufhebung der Leibeigenschaft mit den dabei er-
zielten Loskaufssummen nur zu bald fertig wurden,
waren mit ihrer geschäftlichen Unkenntnis und ihrem
bodenlosen Leichtsinn wohl die am wenigsten ge-
eigneten Leute, an der Spitze der industriellen Zeit
richtunggebend zu sein. Das Gründungsfieber be-
gann mit ungewöhnlich geringem Copital, dagegen
aber mit einem kräftigen Ueberschusse an Leichtsinn
und Unsähigkeit. Als beliebtes Stichwort mussten
dabei die „unermesslichen Hilfsquellen“ des heiligen
Ruſsland gelten, mit denen diese Leute im Bunde
mit thörichten Kaufleuten und unwissenden Inge-
nieueren bis auf den heutigen Tag gewirtschaftet
haben. Die Folgen dieser heillosen Wirtschaft
konnten nicht ausbleiben. Sie liegen jetzt vor aller
Welt offen zutage.
Im Laufe der letzten Jahre hatte das indu-
ftrielle und geschäftliche Gründungsfieber im Zaren-
reiche eine geradezu unheimliche Steigerung er-
fahren, zumal dem Geschäftseifer und den indu-
striellen Unternehmungen durch die gewaltige Aus-
dehnung des Eisenbahnnetzes — man denke nur an den
Bau der großen sibirischen Bahn! — neue, ungeahnte
Gebiete eröffnet wurden. Ausländisches Capital wurde
hinzugelassen und, soweit die Unternehmungen in den
Händen der Ausländer lagen, hätten diese auch im
ganzen über ihr Wohl gut gesorgt, wenn
sie nur die örtlichen Hindernisse richtig in Berechnung
hätten ziehen können, die zum Theile allerdings
völlig unberechenbar sind. Deutsche, Belgier, Fran-
zosen und Engländer müssen es jetzt zu ihrem
bitteren Schaden erfahren, wie überaus gewagt, ja
gefährlich es ist, sich an industriellen und Handels-
unternehmungen in einem Reiche zu betheiligen,
wo Leichtsinn und geschäftliche Unfähigkeit allein
die Oberhand haben. Die kaufmännische Gründ-
lichkeit des Russen ist noch immer dort zu Ende,
wo der Kleinhandel aufhört und der Großkaufmann
beginnt. Der unter Kaiser Alexander III groß-
gezogene nationale Dünkel hat zudem dem Russen
die Einsicht verschlossen, daſs er noch viel, sehr
viel zu lernen habe, um es zu etwas zu bringen.
Braucht aber ein ausländischer Industrieller die
Hlfe oder das Wohlwollen des Staates, so gewinnt
nur derjenige, der die größere Bestechungssumme
zu bieten vermag.
Wer die gegenwärtige wirtschaftliche Lage des
russischen Reiches überblickt, kann sie mit treffenden
Worten ungefähr dahin zusammenfassen: der Klein-
bauer am Hungertache nagend; der adelige Grund-
besitzer in den Provinzen bis an den Hals ver-
schuldet; der geschäftliche Credit infolge des Böesen-
kraches schwer erschüttert; Handel und Industrie
aus gleicher Ursache und infolge der ungesunden
Entwicklung nothleidend. Es wird lange dauern,
ehe sich das russische Wirtschaftsleben unter dem
Einflusse guter Ernten von den Schlägen dieses
Jahres erholt haben wird. Es ist aber auch klar,
daſs ein Reich, dessen wirtschaftliche Grundlagen
derart schwankend, um nicht zu sagen, wurmstichig
sind, nach außen hin nicht sonderlich actionsfähig
ist. Ein Blick auf die wirtschaftliche Schwäche
Ruſslands genügt, um die zur Schau getragene
Friedensliebe des Zaren Nikolaus zu erkären.
Es wäre ein tollkühnes Wagnis, ein Reich, dessen
volkswirtschaftliche Grundlagen überaus schwache
sind, in kriegerische Abenteuer, sei es auf dem
Balkan, sei es auch wo anders, zu stürzen. Das
kommt dem Frieden Europas zugute.
Loral-Nachrichten.
(Kirchenmusik.) An dem morgigen
18. Sonntage nach Pfingsten, zugleich dem Feste
S. Mariae V de Mercede, werden im Hochamte,
dem ersten, welches der neuernannte Dechant
Herr P. Josef Bergmann celebriert, um
9 Uhr vormittags die Festmesse in B von Frarz
Schubert op. 141 (Soloquartett: Fräul. Franziska
Krauskopf, Sopran, Fräulein Bettha Lucka, Alt,
Herr Haua Stolz, Tenor, Herr Karl Starka, Baſs),
das Graduale „Benedicta et vonerabilis“ für
Bass-Solo (Herr Opernsänger Karl Starka) von
Moritz Brosig op. 45 und das Offertotium „Ave
Maria“ von E. W. Horak zur Aufführung gelangen.
(Zum Sängerbund-Fest.) Wenige
Stunden noch und die Schar der Sänger wird
hier eintreffen um ein echt deutsches Fest durch ihre
Anwesenheit verherrlichen zu helfen. Die Fest-
ausschüsse legen nun überoll letzte Hand an und
ein emsiges Treiben und Schaffen macht sich inner-
halb der verschiedenen Wirkungskreise der Comités
bemerkbar. An der Vollendung von Triumph-
pforten wird rüstig gearbeitet und hoffentlich wird
es auch die Bevölkerung nicht an der erwünschten
reichen Beflaggung fehlen lassen. Also Flaggen
heraus! Um 1/28 Uhr findet heute abends ein
Fackelzug statt, der sich zur Wohnung der Fahnen-
pathin Fräulein Ernestine Schäffler (Westend)
bewegen wird, woselbst der Sängerbund ein Ständ-
chen zum Vortrage bringen wird. Um 1/29 Uhr
findet im Stadtparke ein Begrüßungscommers statt
und wird Herr Bürgermeister Schäffler die
Begrüßungsrede halten. Dieser schließt sich eine
Liedertafel an, deren Programm wir bereits zwar
in gestriger Nummer veröffentlichten, heute jedoch
im Vergnügungsanzeiger wiederholen. — Für den
morgen abends 8 Uhr im Kurhause stattfindenden
Festball ist Reuniontoilette vorgeschrieben.
(Im Stadttheater) findet heute abends“
aus Anlass der Fahnenweihe des „Karlsbader
Sängerbund“ eine Festvorstellung statt und gelangt
die Opereite „Obersteiger“ zur Aufführung.
(Concert-Entfall.) Wegen des Con-
certes des „Karlsbader Sängerbund“ im Stadt-
parke entfällt dort Sonntag nachmittags das übliche
Concert der Kurkapelle.
(Die Section Karlsbad) des Central-
vereins deutscher Aerzte in Böhmen hält heute um
6 Uhr abens im Kurhause ihre fünfte ordentliche
Sitzung ab.
(Ein verwahrlostes Object.) Unsere
gestrige unter diesem Schlagworte gebrachte Notiz
hat früher eine Antwort erhalten, als wir erwar-
teten. Wie uns Herr Heinrich Ed. Anger mit-
theilt, hat derselbe das Sommertheater täuflich an
sich gebracht, und seit wenigen Tagen sind dort
eine Anzahl Zimmerleute beschäftigt, das Object
vor dem Einsturze durch entsprechende Reparaturen
zu schützen.
(Der Verein der Gastwirtsgehilfen)
in Karlsbad hielt Mittwoch den 20. d. M. im Re-
staurant „Panorama“ eine freie Versammlung der
Gastwirtsgehilfen ab, mit dem einzigen Programms-
punkt: „Besprechung betreff des Befähigungs Nach-
weises.“ Herr G. Huber, welcher als Vorsitzender
gewählt wurde, brachte ein Schreiben des „Brünner
Kellner- und Marqueur-Vereines“ zur Kenntnis,
welches an alle Gastwirtsgehilfenvereine und Cor-
porationen Oesterreichs gerichtet ist mit dem gleich-
zeitigen E sachen, die beigelegte, vom „Brünner
Kllner- und Marqueur-Vereine“, sowie vom „Oester-
reichischen Kellnerbunde“ beschlossene Resolation an
das hohe k. k. Handelsministerium, anzunehmen,
worin dem dringenden Wunsche der Gehilfen, „die
Erbringung des Befähigungs-Nachweises bei Con-
cessionsertheilungen“ von entsprochen wird. Unter
anderen beleuchteten die Herren Pfeiffer und
Reisinger sehr trefflich die jetzigen Zustände, be-
sonders bei Ertheilung von Concessionen an Nicht-
fachleute und wie schwer es einem Gehilfen gemacht
wird, sich selbständig zu machen, trotzdem ihm das
Gesetz seine Lehrzeit vorschreibt und ihm zum Be-
suche der Fachschulen zwingt, und traten daher sehr
warm für die Annahme der Resolution ein. Nach-
dem auch noch der Vorsitzende aus angeführten
Gründen die Fassung der Resolution empfahl,
wurde dieselbe wie folgt einstimmig angenommen:
1. Concessionen für das Gast- und Schankgewerbe
sind nur Gehilfen des Gewerbes zu ertheilen, und
zwar wenn die Cyncessiouswerber nach vollendeter
Lehrzeit mindestens eine siebenjährige Praxis mit-
gemacht haben. 2. Nach Ableben des Inhabers
eines solchen Gewerbes oder im Falle länger
andauernder Krankheit desselben hat die Concession
Transvaal tritt nun in den politischen Vorder-
grund und mit ihm die tapferen Buren, so daſs
sich das allgemeine Interesse diesem Volksstamme
zuwendet. Die Buren sind eine Mischrasse von
Franzoseu und Holländern; sie sind großentheils
Abkömmlinge von Hugenotten, welche nach dem
Edict von Nantes in Holland Zuflucht suchten,
und deren Nachkommen nach dem Süden Aftikas
zogen, um sich dort anzusiedeln. Daher stößt man
auch vielfach auf die französischen Namen wie:
Volliers, Dutoit, Malherbe, Joubert. Die Buren
sprechen jedoch nur holländisch und führen das
einfache, ruhige Leben der Holländer; sie sind
solide, arbeitsam und hängen zähe an der Familie
und den Familientraditionen. Die Ehen sind meist
mit vielen Kindern gesegnet, und Familienväter,
die für 10 Kinder zu sorgen haben, sind nichts
außergewöhnliches. Die Knaben verstehen schon
frühzeitig mit der Schießdaffe umzugehen, und
falls der Krieg mit England ausbrechen sollte,
dürften die jungen 14jährigen Buren schon mit
an den Kämpfen theilnehmen.
Präsident Krüger wird von seinen Landsleuten
geradezu angebetet, und sie nennen ihn den
„Weisen“. Er bewohnt ein einfaches Landhaus,
das von einer großen Veranda umgeben ist, und
jedermann steht jederzeit der Eintritt frei, falls er
sich einen Rath bei dem Präsidenten holen will.
Der Bure tritt zu einer solchen „Audienz“ ganz
ohne jedes Ceremoniell in das Haus des Präsi-
denten, selbst die Pfeife behält er im Munde und
setzt sich ungeuiert auf einen Fauteuil dem Staats-
oberhaupte gegenüber. Will Krüger gegen einen
Besucher besonders liebenswürdig sein, so bietet er
ihm eine Tasse Koffee mit Milch an.
Krüger trinkt nie Wein. Er führt in jeder
Beziehung ein sehr geregeltes und arbeitsames
Leben. Trotzdem er 185,000 Mk. jährlich zu ver-
zehren hat, gebraucht er doch kaum 40- bis
unvergleichlichen
50.000 Mk. Ein Beispiel seiner
Kaltblütigkeit möge hier erwähnt werden. Eines
Tages entlud sich sein Gewehr und verwundete
ihm den rechten Daumen. Karz entschlossen, schnitt
er mit seinem Taschenmesser das verwundete oberste
Glied des Daumens ab. Einige Tage später war
die Hand derart schlimm, daſs man den Brand
befürchtete. Da schnitt Ktüger sich mit demselben
Messer ebenso entschlossen den ganzen Daumen ab
und rettete die Hand.
Pretoria, die Residenz des Präsidenten, ist
eine Stadt von 12000 Einwohnern und mit allem
Comfort der Neuzeit ausgestattet. Nichtsdesto-
weniger ist jedoch Johannesburg mit 100000 Ein-
wohnern die eigentliche Seele des Landes. Johannes-
burg ist ein theures Pflaster, sowohl die Lebens-
mittel als die Wohnungen und Vergnügungen sind
sehr kostspielig. Es wird dort großer Luxus ent-
faltet, und die Damen besuchen das Theater nicht
anders als in decolettierter Toilette, Hals und
Arme mit Brillanten übersät.
Die Stiefschwestern.
Roman von Anna Seyffert.
(2. Fortsetzung.)
„Deinetwegen will ich es versuchen, Mama;
aber weiß Gott, es wird mir sehr schwer werden,
und ich glaube auch kaum, daſs es Erfolg hat.“
„Suche Deine Aufmerksamkeiten gleichmäßiger
zwischen dem Grafen und Onkel Ernst zu ver-
theilen“ bemerkte die Mutter nachdrücklich, „Oakel
Ernst ist eifersüchtig.“
Ein glockenhelles Lachen Elsas war die einzige
Antwort. Dann aber fiel sie plötzlich ungestüm
ihrer Mutter um den Hals, deren Gesicht mit
leidenschaftlichen Küssen bedeckend.
„O, Du liebe, alte Mama, ich sehe es Dir
ja an, daſs Dein Herz ganz anders empfindet, als
Dein Mund spricht. Nein, das ist ja auch zu
komisch“ — wieder ein silberreines, übermüthiges
Lachen — „Onkel Ernst eifersüchtig! Wenn ich
ihm dies erzähle, denke doch, wie er mich aus-
lachen würde!“
„Um Gotteswillen nicht,“ wehrte die Majorin
erschrocken. „Wäge ja klug Deine Worte, wenn
Du zu meinem Bruder sprichst. Versprich mir
Elsa, daſs Du vorsichtig und verständig sein willst.“
Es klang so viel schwerer Ernst durch die
Worte der Mutter, daſs Elsa unwillkürlich davon
betroffen wurde. Es war, als griffe plötzlich eine
kalte Hand an ihr liebewarmes, schnelltlopfendes
Herz — jäh in sich zusammenschauernd wandte sie
Machdruck verboten.]
Teute und Sitten von Transvaal.
sich ab.
Dateiname:
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