Text auf der Seite 5

Text: 
31. August 1899 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 198 Seite 9 Budweis, 30. August. Auf seiner Durchreise zu den Manövern nach Reichstadt traf der Kaiser um 9 Uhr 30 Min. vormittags auf dem hiesigen Bahnhofe ein und wurde am Perron von den Spitzen aller staatlichen und autonomen Behörden und dem Bischof Dr. Reha empfangen. Namens der Stadt begrüßte Bürgermeister Kneisl den Monarchen. Im Bahnhofe und dessen Umgebung hattte sich ein tausendköpfiges Publicum eingefunden. Die Ankunft und Abfahrt des Kaisers wurde mit Hoch- und Slavarufen begleitet. Als Ehren- compagnie war das Schützencorps ausgerückt Prag, 30. Auguft. Die Ankunft des Kaisers erfolgte Präcise einige Minuten vor 1 Uhr. — Statthalter Graf Coudenhove voran, Polizei- Ditector Janota-Forster und Bürgermeister Pod- lipuy und ein distinquiertes Publikum erwarteten am Perron den Hofzug. Nach dem Einfahren des Hofzuges in den reich geschmückten Bahnhof, ver- ließ der Kaiser sofort das Coupé und schritt auf den Statthalter zu, den er warm begrüßte. — Bürgermeister Podliphy richtete an den Kaiser eine tschechische Anſprache, die der Kaiser tschechisch und deutsch erwiderte. Nachdem der Kaiser noch einige Herren des Bahnverwaltungsrathes mit Ansprachen beehrt hatte, begab er sich vor das Bahnhofs- gebäude, wo die bewaffneten Bürgercorps Auf- stellung genommen hatten. Der Kaiser, welcher auch da einige Persönlichkeiten durch Ansprachen auszeichnete, wurde ftürmisch begrüßt — Das Aussehen des Kaisers ist ein blühendes. Als der Kaiser wieder in den Empfangssalon zurückgekehrt war, conversierte er noch einige Zeit mit dem Statthalter und dem Bürgermeister in deutscher Sprache bis zur Abfahrt des Hofseparat- zuges, in welchen auch Statthalter Graf Condenhove mit einstieg. — Um 1 Uhr 5 Min. setzte sich der Zug wieder in Bewegung. — Es ereignete sich kein Zwischenfall und verlief Alles in glatter Ordnung. Reichstadt, 30. August. Der Kaiser ist, mit stürmischem Jubel seitens der Bevölkerung begrüßt, hier eingetroffen. Wien, 30. August. In dem Umstande, daſs der Kaiser heute auf die ausschließlich in tschechischer Sprache gehaltene Ansprache des Prager Bürger- meisters Dr. Podlipny sowohl tschechisch, als auch deutsch antwortete, wird hier eine Zurückweisung der Neuerung erblickt, welche Dr. Poolipny damit einführte, daßs er den Kaiser, der bisher bei allen seinen Empfängen in Prag in beiden Landes- sprachen begrüßt wurde, nur tschechisch begrüßte. Graslitz, 29. August. Der Gastwirt Tutzar vom „Weißen Schwan“ wurde heute infolge Be- schlusses des Oberlandesgerichtes verhaftet. — Die hiesige „Graslitzer Zeitung“ stellt in einer Extra- ausgabe die Resignation der Gemeindevertretung als implicite durch die Erledigung der Statthalterei voll- zogen dar, aber der Bürgermeisterstellvertreter be- ruft für heute eine Sitzung ein, in welcher über die schriftlich erfolgte Resignation des Bürgermeisters Meindl, sowie bezüglich der Antwort der Statt- halterei erst Beschlüsse gefaſst werden sollen. Wien, 30. August. Zufolge Erlasses des Finanzministers vom 21. d. M. wurde die Frist zum Verkaufe der vorhandenen Vorräthe an dena- turiertem Spiritus für die concessionierten Spiri- tuosen-Schänker bis Ende November 1899 fest- gesetzt. Mähr.=Ostran, 30 August. Der ehemalige Antonieschacht ist heute um 4 Uhr eingestürzt. In- folge dessen bildete sich auf dem Antonieplatze ein 15Meter tiefer Schlund. Es ereignete sich kein Mähr.-Ostran, 30. August. An Stelle des 1879 verntürzten aufgelassenen 200 Meter tiefen Antoni Kunstwetterschachtes entstand ungefähr eine den Schachdimensionen entsprechende 12 Meter tiefe Oeffnung in der Erde. Die Oeffnung wurde sofort umzäunt und das Verstürzen eingeleitet. Nach den behördlichen Erhebungen besteht für die Stadt keine Gefahr. Tondon, 30. Angust. „Daily Telegraph“ meldet aus Johannesburg vom Gestrigen: Mehrere hervorragende Mitglieder der Raads zeigen sich über die gegenwärtige Lage beunruhigt. Gerücht- Unfall. weise verlautet, daſs sie alle Hoffnung auf eine friedlich Lösung aufgegeben haben. Kopenhagen, 30' August Der König von Griechenland' ist heute vormittag hier eingetroffen und alsbald nach Schloss Bernstorff weitergereist. Paris, 30. August. Die „Agence Havas“ meldet aus Oporto, daſs sich daselbst gestern zwei schwere Pestfälle ereignet haben. Die Ausfuhr von Waren mittelst Eisenbahn ist nurmehr nach durch- geführter Desinfection gestattet. Waſhiugton, 30 August. (Reutermeldung.) Dem Staatsdepartement ging seitens des amerika- nischen Consuls in Puerto Plata die telegraphische Meldung zu, daſs sich alle Städte im Districte um Puerto Piata, ausgenommen Monte Christi, in der Gewalt der Aufständischen befinden. Die Meldung besagt weiter, Puerto Plata selbst habe sich gestern den Aufſtändischen ergeben. Apia, 30. August. Auf den Inseln herrscht vollkommene Ruhe. Die Geschäfte sind im Auf- schwung begriffen die Beamten arbeiten mit einan- der in voller Harmonie. Laurenzo-Marguez, 30. Aug. Zwei Polizei- beamten, welche aus Transvaal ankamen, wurden sofort verhaftet. Der Dreyfus-Process in Rennes. Rennes, 30. Aug. (Meldung der „Ag. Havas“) Der Eintritt in das Gymnasium vollzieht sich ohne Zwischenfall. Camelots besetzten die Plätze, welche sie den Eintretenden gegen Entgelt überlassen. Die Sitzung wird um 6 Uhr 40' Minuten eröffnet. Als erster Zeuge wird Paul Meyer, Mitglied des Instituts und Director der Ecole des Chartes ein- vernommen. Derselbe erzählt die von ihm betrie- benen Nachforschungen, welche ihn zu dem Schlusse gelangen ließen, daß das Bordereau die Schrift Esterhazy's trage und von seiner Hand selbst her- rühre. Die Schrift erscheint bei der Prüfung unter der Lupe fortlaufend und ohne Unterbrechung, während gerade eine Unterbrechung in den Grundstrichen eine Pausung anzeigt. Meyer zählt die Feststellungen auf, welche er im Laufe der Untersuchungshaft machte und schließt indem er das System Bertillons verwirft. Sodann wird der Direktor der Ecole des Chartes, Molinier vornommen. Derselbe gibt an, er habe vor der Prüfung des Bordereaus ein Facsimile desselben sowie die Vergleichsstücke einer Prüfung unterzogen. Wie Meyer fungirte auch Molinier im Prozesse Zola und später beim Cassationshofe als Sachver- ständiger im Schreibfache. Er erklärt, jede neuer- liche Prüfung habe ihn mehr und mehr davon überzeugt, daſs das Bordereau von der Hand Esterhazy's herrühre. — Auf eine Bemerkung Labort's erklärt Mercier, er wolle die Aussage Molinier's über die im Jahre 1897 und vielleicht schon früher in der Schrift Esterhazy's erscheinende Veränderung präcisieren und bestätigen (Bewegung.) Hierauf wird Giry, Mitglied des Instituts und Professor an der »Ecole des Chartes« einver- nommen. Derselbe bestätigt die Angaben Meyer's und Molinier's und erklärt zwischen der Schrift Esterhazy's und jener Dreyfus bestehe eine Aehnlich- keit, welche es erkläre, wie man dem Angeklagten die Autorschaft des Bordereau's zuschreiben konnte. Eine Analyse der beiden Schriften zerstöre jedoch diesen ersten Eindruck, da sich hiebei eine Menge von Verschiedenheiten ergeben. Die Sitzung wird hierauf unterbrochen. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wird das Mitglied der Academie Picot einvernommen. Der- selbe ist von der Vertheidigung vorgeladen, um über eine Zusammenkunft auszusagen, welche er im Monate Mai dieses Jahres mit einem fremd- ländischen Militärattaché hatte, in deren Ver- lauf von den durch Mercier dem Dossier einver- leibten Actenstücken gesprochen wurde. Picot erzählt, er hatte eine Zusammenkunft mit dem österreichisch- ungarischen Militärattaché. Präsident Oberst Jonaust und Regierungs- commissär Carrière unterbrechen den Zeugen. Letzterer protestiert gegen die von Picot begangene Indis- cretion. Der Zeuge erzählt fortfahrend, daſs sich das Gespräch um die Affaire drehte. Der Officier habe seiner Verwunderung über das incorrecte Vor- gehen der französischen Officiere Ausdruck gegeben, welche Zweifel in die Worte anderer ausländischer Officiere setzen. Zeuge hatte den Eindruck, daſs der Attaché die Absicht hatte, lant und fest die voll- ständige Unschuld Dreyfus' zu verkünden. Der Attaché habe hinzugefügt, daſs nur drei der im Bordereau aufgezählten Documente eine reelle Grund- lage hatten, und daſs die anderen zwei, welche die Rummern 3 und 4 trugen, nur zur Ausfüllung dienten. In dem Gespräche hat sich der Attaché des Ausdruckes hydraulische Bremse niemals, jedoch des Ausdruckes hydropneumatische Bremse bedient. Er habe ferner gesagt, daſs er Esterhazy für einen Gauner halte, und erzählt, Esterhazy sei selbst in Beziehungen zu dem Agenten A. gestan- den, der ihm jedoch die Bezüge einstellte weil er uninteressante Auskünfte brachte. Damals habe Esterhazy versucht, in das Ministerium einzutreten und dem Agenten A. dem unter dem Namen Bor- dereau bekannten Brief geschrieben. Der Agent A. schrieb in Erwiderung auf diesen Brief das unter dem Namen des Petit bleu bekannte Tele- gramm, welches er jedoch, weil er sich die Sache später überlegte, in den Kamin warf. „Das ist Alles“. schließt Picot, „was ich aussagen kann.“ Als nächster Zeuge wird Artilleriedirector Ge- neral Deloyé vernommen. Derselbe gibt an, er sei von Freycinet zu Beginn des Jahres 1899 mit der speciellen Aufgabe betraut worden, den Cassationshof über die Eigenthümlichkeiten des Ar- tilleriematerials aufzuklären. Zeuge wiederholt heute die E läuterungen, welche er dem Cassationshofe bezüg- lich der Bremse zu dem Geschütze 120 Court gegeben hat. Er erklärt, im Jahre 1894 sei es für einen Truppen- officier unmöglich gewesen, diesbezüglich irgend etwas, was immer es auch sei, milzutheilen. Sowohl von den Richtern als von den Ver- theidigern werden an den Zeugen zahlreiche Fragen über lechnische Details gestellt. Curriere kündigt an, der Kriegsminister habe durch den dritten Artilleriedirector die von der Vertheidigung verlangten Documente sammeln lassen, welche unter denselben Reserven, wie das geheime Dossier von Deloye werden mitgetheilt werden können. — Der Gerichtshof ordnet an, daſs behufs Mit- theilung dieser Documente die morgige Sitzung bei geschlossenen Thüren stattfinden soll. Ueder Verlangen Demang 's mird den Majoren Hartmann und Ducrocque gestattet, dieser Sitzung beizuwoh- nen. Die Sitzung wird um 1/412 ühr geschlossen. Es ereignete sich kein Zwischenfall. Paris, 30. August. Hauptmann Tavérnier, welcher bereits gestern ein einstündiges Verhör mit Du Paty de Clam vorgenommen hatte, verhörte ihn heute früh neuerlich. Hinsichtlich des gestrigen Verhörs behauptet „Matin“, Du Paty deCiam hätte sensaktionelle Enthüllungen ge- macht, darunter eine von solcher Bedeutung, daſs das Blatt deren Mittheilung dem Kriegsge- richte in Rennes vorbehalten zu sollen gläubt. — Die revisionistischen Blätter glauben, nach den von Freycinet gestern abgegebenen Erklärungen könne von dem Bestehen eines Syndicats nicht mehr die Rede sein. Diese Blätter bezeichnen Freycinet's Ausführungen hinsichtlich der Propaganda im Aus- lande als mehrdeutig und unverständlich. Die antirevisionistischen Blätter geben der Ansicht Aus- druck, daſs ihre Gegner Unrecht daran thäten, über die Aussuge Freycinet's zu triumphieren. Paris, 30. August. Die Meldung von der Zuziehung Demange's zum Verhöre Du Paty de Clams bestätigt sich nicht. Paris, 30. August. In der Rue Chabrol herrschte im Laufe der Nacht vollkommene Ruhe. Einige Genossen Guérin's begaben sich in der Nacht auf Dach des Hauses, wo gegen 4 Uhr morgens auch Guérin erschien. Der Ordnungsdienst wird' heute in der gleichen Weise wie gestern versehen. Man glaubt allgemein, daſs die Lösung der Affaire unmittelbar bevorstehe. Telegrapsiische Naciriciten. Nachtrag zu den Local-Nachrichten. (Für das Landesschießen) des Ver- bandes deutscher Schützen in Böhmen gibt sich ein fortgesetzt steigendes Interesse kund. Die Theil- nehmer-Anmeldungen laufen oon allen Seiten in
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1899-08-31-n198_3085.jp2