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31. August 1899 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 198 Sette 3 dem Zeitraum eingeschlossen liegt, der uns von der Promotion des Jubilars trennt. — Was damals als ver- blüffendes Novum ein interessantes Redegefecht in der französischen Akademie bildete, hat nach jahrzehnt langem Schlaf in des großen englischen Meisters Arbeiten seine glänzende Auferstehung gefeiert. Auch unser Beruf, dem wir nie das Ehrenepiteton eines naturwissenschaftlichen rauben lassen wollen, hat von dieser Entfaltung den nachhaltigsten Nutzen empfangen, denn keine der Grund- lagen der Medicin ist von der welterobernden Ent- wicklungslehre unberührt geblieben. Und doch bildet sie nur einen Bruchtheil jener Ideen, Anschauungen, die seit dem ersten Viertel des Jahrhunderts fördernd und klärend auf die Entfaltung der Heilwissenschaft gewirkt haben. Als unser Jubilar seine Thesen vertheidigte, stand die Medicin noch ganz im Banne der Deductive, die Be- schäftigung mit dem Experiment galt als inferiore Thätigkeit und kein geringerer als Helmholtz gibt in einer seiner akademischen Reden aus der eigenen medicinischen Vergangenheit drastische Exempel der damals herrschenden Gesinnungen. „Ein durch bedeutende literarische Thätigkeit berühmter, als Redner und geistreicher Mann gefeierter Pro- fessor der Physiologie jener Zeit hatte einen Streit über die Bilder im Auge mit dem Collegen von der Physik. Der Physiker forderte den Physiologen auf, zu ihm zu kommen und den Versuch zu sehen. Der letztere wies dieses An- sinnen entrüstet zurück: „Ein Physiologe habe mit Ver- suchen nichts zu thun, die seien gut für den Physiker.“ Ein anderer bejahrter und hochgelehrter Professor der Arzneimittellehre, der sich viel mit der Reorganisation der Universitäten beschäftigte, um die gute alte Zeit zu- rückzuführer, drang inständigst in Helmholtz, die Poysto- logie zu theilen, den eigentlich gedanklichen Theil selbst vorzutragen und die niedere experimentelle Seite einem Collegen zu überlassen, den er dafür als gut genug an- sah. Er gab Helmholtz auf, als er ihm erklärte, er selbst betrachte die Experimente als die eigentliche Basis der Wissenschaft. — Und Schlag für Schlag erfolgte, um der inductiven Methode zum siegreichen Einzug zu ver- helfen, das Wirken jener stattlichen Zahl von Männern, die an die Stelle der Speculation die Erfahrung, an die Stelle des Klügelns das lebensvolle Schauen gesetzt haben, hat unsere Wissenschaft auf jene feste Basis ge- stellt, von der sie nimmermehr entwurzelt werden kann. Nicht ziemt es mit dem Famulus aus dem „Fanst“ sich die Hände zu reiben, „wie wir es doch so herrlich weit gebracht“, oder gar mit dem überlegenen Dünkel des Neophyten auf jene Zeit oder auf noch fernere Tage herab — und zurück — zu sehen, da z. B. die Pariser Facultät verbot, in ihren Hörsälen den Harweg'schen Blutkreislauf zu tradieren, da eifervoller Zelotismus für wissenschaftliche Ueberzeugung gelten konnte. — Mit der Freude an der mächtigen Entfaltung seiner Berufs- wissenschaft hat unser Jubilar dies Jahrhundert an sich vorüberziehen sehen und wenn wir heute mit ihm vereint die Fülle des für uns Geleisteten und Ueberlieferten er- wägen, so ist es unsere erste Pflicht, in Treue der Männer zu gedenken, die uns in den Besitz so hoher geistiger Güter gesetzt haben, hier in unserem engeren Heimat- lande vor allem unserer Lehrer, denen wir die Einführung in unseren Beruf, in die Heilwissenschaft verdanken. Viele von ihnen haben uns nicht nur vom Besten ihres eigenen Wissens gegeben, sondern auch bestimmend auf die Ent- wicklung unseres Charakters gewirkt und durch eigenes Beispiel uns die Pflichtenhöhe des gewählten Berufes vor Augen geführt. — Freilich sind schon seit Jahr- zehnten geschäftige Bureaukratenhände am Werk, einen Rest jenes alten freien Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler nach dem anderen zu tilgen und die Universität dem Gymnasium anzunähern, freilich sind schon seit Jahr- zehnten die letzten förmlichen Bande geschwunden, die den einstmaligen Schüler für immer mit der Facultas medica verbunden hielten, — doch bleibt hier ein „geistig strenges Band“, das nie zu trennen ist, denn noch immer genießen wir alle von den Früchten der Arbeit, die Jahrein, Jahr- aus an der Alma mater geleistet wird. Daraus er- wachsen Dankespflichten, die sich täglich erneuern, denn nicht nur die Grundlagen unserer fachlichen Bildung danken wir den Männern, vor denen wir als Schüler gesessen, sondern immer neue Anregung zur Erweiterung unserer Kenntnisse. Was sie von weithin sichtbarem Orte verkünden, haben wir in die Praxis des täglichen Lebens umzusetzen und in bescheidenerer Wirkungssphäre den Fortschritten unserer Wissenschaft zu folgen. Mit der Erinnerung an unsere Meister und Lehrer, an die Jahre, während derer wir ihrem Worte lauschen durften, erwecken wir zugleich das Gedenken an die lebensvollen Tage, die wir an der Alma mater im Kreise gleichge- stimmter Genossen und Freunde verbracht haben. Mit den Worten der Goethe'schen Zueignung können wir da sagen: IIhr bringt mit Euch die Bilder froher Tage Und manche liebe Schatten steigen auf“. Der Körperschaft von Meistern unseres Faches, der wir unser Wissen danken und zugleich der frohen Jugendkraft unserer Universitätsjahre weihen wir die beste Erinnerung, wenn wir in die ehrwürdigen Klänge unseres alten »Gaudeamus igitur« einstimmen. Mir aber gestatten Sie, der einen Strophe des schönen Liedes vorzugreifen und auszurufen: Vivat professores Vivat academia. (Doppelconcert im Stadtparke.) Kommenden Samstag findet im Stadtparke ein Doppel-Abend-Corcert der Pleier'schen Concert- kapelle im Vereine mit dem Gothov Grüneke'schen Sonbretter-Ensemble statt. Der Eintrittspreis ist auf 50 kr. festgesetzt. Nachdem das letzte Doppel- concert so vielen Anklang fand, dürfte auch dieses sehr zahlreich besucht sein. (Anton Stöckl's Kunstausstellung im Kurhaus.) Wegen der Vorbereitungen zum großen Schützenball muss die Kunstausstellung schon am 5 September geschlossen werden. Da in den letzten Tagen einer Kunstausstellung die Bilder- preise bedeutend ermäßigt werden, dürften noch viele Gemälde Käufer finden. Das Entrée beträgt von heute ab 10 kr. (Der Aussichtswagen,) welcher auf der Bah strecke Karlsbad-Marienbad den Schnell- zügen 522/523 und 524/527 angeschlossen wurde, wird eine Zeit lang nicht verkehren. (Die Rentabilität der neuen Bahn- linien) Wir haben bereits früher schon des öfteren Gelegenheit genommen, auf die Rentabilität der Linie Mur enbad Karlsbad hinzuweisen — heute liegen uns von beiden Linien die Daten über die Brutto-Erträgnisse in den abgelaufenen Monaten vor, welche ein sehr erfreuliches Bild speciell für die Linie Marienbad-Karlsbad ergeben. So wurden auf der letzteren Linie vereinnahmt: Jänner 8400 fl., Feber 7726 fl., März 8974 fl., April 13080 fl., Mai 33.265 fl, Junt 50.783 fl, Juli 51.300 fl, zusammen 173528 fl. Ungünstiger stellt sich der Brutto-Ertrag auf der Linie Karlsbad Johannge- orgenstadt. Freilich wurde auf derselben die Strecke Neudek-Jotzaungeorgenstadt erst am 15 Mai er- öffnet, was ja auch mit ins Gewicht fällt. Die Einnahmen sind folgende: Linie Neudek-Breiten- bach: Jänner 2135 fl, Feber 1776 fl, März 3076 fl., Apeil 3490 fl.; auf der ganzen Strecke: Mai 8214 fl., Juni 12843 fl. und Juli 15390 fl., zusammen 46.924 fl. Diese letztere Linie hat also den anfänglich gehegten Erwartungen noch nicht entsprochen, hoff ntlich bringt es aber auch diese noch zu einer erwünschten Rentabilität. Freilich wird die Betriebsdirection an eine entsprechende Abänderung des Fahrplanes zu denken haben, ein- mal einen Zug für Ausflügler zu schaffen, denn der jetzige Zug 626 geht für Kurgäste viel zu früh ab, bis Mittag geht dann kein Zug mehr, dieser also ist wieder viel zu spät. Dasselbe ist mit der Rück- fahrt der Fall, da der letzte Zug erst um 714 abends Johanngeorgenstadt verlässt. Das ist für Kurgäste unbequem. Bei der Fahrplanzusammen- stellung hat man auf die Kurgäste Karlsbads wenig Rücksicht genommen und doch muss man, falls man den Personenverkehr während des Sommers heben will, besonders auf diese Kategorie Ausflügler rechnen. Ein Uebelstand ist ferner, daſs die Verwaltung gar nichts für Reclame auswirft. Bis- her war dieselbe lediglich auf die Leylität der Karlsb der Localpresse beschränkt. Die Schönheit der Bahnpartie muss aber der hiesigen Kurgäste- welt bekannt gemacht werden, wie überhaupt für Reclame Sorge getragen werden sollte. Thut man dies und macht man es dem Karlsbader Kurpublicum möglichst bequem, die Tour zurückzulegen, dann wird sich auch der Personenverkehr heben. — Ge- genwärtig lässt der Verkehr auf der Marienbad- Karlsbader Strecke nichts zu wünschen übrig, denn täglich zählen noch die Ausflügler und Passagiere windet. Vom Meere ist man dort aber noch weit entfernt und durch Bergreihen getrennt; man sieht es erst, wenn man unmittelbar an der Küste ist. Nun gieng's in raschem Laufe rasende Senkungen abwärts; die von Colico her innerlich verrosteten Ketten unserer Räder sangen dabei in den kreischend- sten Tönen, so daſs uns fast unheimlich wurde; je mehr wir uns der Küste näherten, desto beschwer- licher wurde die Fahrt in dem tiefeingeschnittenen Thale; es gab auf fast eine Stunde unseres Weges beinahe ununterbrochen Häuser; zahlreiche Menschen, die aus der Arbeit heimkehrten, die von tiefen Runsen durchfurchte und durch Bespritzung schlüpfrige Straßel der starke Wagenverkehr, insbesondere jene der Pferde- und der Dampf-, bald auch der elektrischen Straßen- bahn, die hervorragenden Geleise derselben nöthigten zur angestrengtesten Achtsamkeit; die Luft glich rauch- geschwängertem Fettdunst. Endlich kamen wir zu den hohen, aber sehr vernachlässigten Häusern der Stadt S. Pier d'Arena und damit an die Küste des Mittelmeeres, die von zahlreichen Badenden bevöl- kert war; links um, dem Meere entlang, fuhren wir einem mit einem Leuchtthurme versehenen Vorgebirge zu, das für die Straßenbahn durchbrochen ist; wir muſsten hinauf, dann ein starkes Thor durchfahren und — αh, da' lag das prächtige Genua mit seinem weiten, von zahllosen Schiffen erfüllten Hafen. Das Pflaster der Stadt ist aber entsetzlich, es scheint à la Meereswellen angelegt. Nicht weit vom Eingange der Stadt, auf der Piazza de Cristoforo Colombo mit dem neuen Denkmale des großen Seefahrers, fanden wir recht gute und billige Unterkunft; es war aber auch schon Nacht geworden. 5. Genua und die Riviera. Am nächsten Morgen wurden wir von der Stadt — gründlich enttäuscht. Sie ist zum größten Theile ein Gewinkel enger Straßen, überall von dem uns nur zu wohlbekannten „Duft“ erfüllt, und der als der verkehrsreichste Platz angegebene erwies sich eben als ein riesiger Schutthaufen. Das höher gelegene Villenviertel reizte unsere Neugierde nicht. So wandten wir uns bald dem Hafen zu, in welchem uns ein alter Barkenführer zwei Stunden lang um- herfuhr, der uns auf alles Sehenswerte, auf die Herkunft, Ankunfts-, Abfahrtszeit und sonstige Be- sonderheiten der einzelnen Schiffe, auf die eben im Bau befindlichen Neuanlagen von Hafenbauten u. dgl. aufmerksam machte; er fuhr uns bis ins offene Meer über den äußerst langgestreckten Schutz- damm hinaus, der im Frühjahre durch eine Flut- welle auf mehr als 100 Meter Länge zrrrissen worden war. Blöcke des ungemein harten Mauer- werkes, wie kleine Zimmer groß, lagen wirr über- einander. Nachmittags, als wir endlich ein Fahrrad- geschäft entdeckt hatten, gaben wir unsere Ketten zum Putzen und fuhren auf der Pferdebahn (10 Ct.) nach S. Pier d'Arena zu einem sehr wohlthätigen Seebad. Nachdem wir am nächsten Tage unsere Maschinen wieder in Ordnung gebracht hatten, ver- ließen wir, nur um wieder hinauszukommen, trotz der Gluthitze um 2 Uhr die Stadt und fuhren nun am Meeresufer entlang, wobei wir uns nicht wenig darüber wunderten, in den dort gelegenen Orten zahlreiche Geschäfte der verschiedensten Art mit rein deutschen Aufschriften und Ankündigungen zu sehen. Palmen, Oel-, Feigen-, Kastanien-, Citronenbäume, Pinien mit großen Zapfen, Bambus- und Wein- stöcke auf den Abhängen der einen, die schroffen, schwarzen Wände und aus dem Meere aufragenden Felsen auf der andern Seite, dazu eine fortlaufende Reihe von Sommeraufenthaltshäusern, geben der Gegend ihr Gepräge. Die Fahrt war mühsam, es gieng fortwährend bergauf, bergab und später kams noch ärger; wir mussten ganze und halbe Stunden lang zu Fuß gehen; auch war die Straße mit spitzen Steinen ganz besäet, und zu allem Ungemach muſste ich neuerdings dem Luftschlauch eins am Zeuge flicken. Und doch bot der Blick von der Höhe auf das weite, von glänzenden Segeln belebte und von rauchenden Dampfern durchfurchte Meer hohen Ge- nuſs. So kamen wir gegen 6 Uhr sehr ermüdet in das Seebad Chiavari, wo wir blieben. Das war das Ende der zweiten Reisewoche. O Sonntag! Noch war es dunkel, da störte uns Frühaufsteher schon das unerträgliche, nicht enden
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