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Seite 4 �Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 275 2. December 1898 wie sie eben die üblichen Zierraten der Bauern- theater bilden. Die Darstellung war eine recht zufriedenstellende und verriethen Frl. Fanni Mayer- hofer, welche überdies über eine hübsche kräftige volle Stimme verfügt, ferner Benno Glas, Edi Hertel, Georg Renner. Hein ich Sachs, Johann Busch, Meat' Bauer und Frl. Katharina Bader recht schau- spielerisches Talent. Daſs natürlich die üblichen Schuhplattler stürmischen Beifall ernteten und wieder- holt werden mussten, ist selbstverständlich, wie überhaupt der Darstellung lebhafter Applaus zutheil wurde. Schade, daſs nur eine Vorstellung stattfand. Gestern gastirte die Gesellschaft bereits schon wieder in Regensburg. (Gewerbeverein Karlsbad.) Wie be- reits gestern gemeldet, findet Samstag den 10. December d. J. abends 71/2 Uhr im Hotel „Bairischer Hof“ die zweite Vollversammlung des Gewerbevereines statt. Folgendes Programm wurde hierfür aufgestellt: 1. Streichquartett. 2. Begrüßung der Gäste; Mittheilungen des Obmannes Herrn Wenzl Fischer: (Unbehobene Sparcassestipendien, Pariser Weltausstellung 1900). 3. Vortrag des Herrn Med.-U.-Dr. Adolf Bernhart: „Krankheiten und Verletzungen im Gewerbebetriebe“. 4. Vor- führung von fünfzig 16 m2 großen, an die Wand projicierten Bildern aus den Alpen und Italien durch Mitglieder des Karlsbader Radfahrervereins (Stadler, Schöttner, Zörkendörfer, Schmoll u. a.) 5. Gewerbliche Fragen. 6. Potpourri (Streich- quartett). Hierauf gemüthliche Unterhaltung. (Halb Neun!) Unsere Thurmuhr ist krank. Das Leiden scheint ein hexenschuſsartiges zu sein, denn während hievon monatelang das der Kirchengasse zuge- wendete Zifferblatt befallen und sich bis sechs Uhr verstiegen hatte, verzog es sich, nachdem dort die Heilung erfolgt, auf das Zifferblatt vis-à-vis der Schule und setzte sich auf halb neun fest! Alle Geh- versuche mißglückten bis nun, keinen Schritt macht sie vorwärts. Man fürchtet mit Recht, daſs man es hier mit einem incurablen chronischen Leiden zu thun hat. (Für Freunde des Kegelsports) bietet sich nun, trotzdem die öffentlichen Kegelbahnen ver- ödet und geschlossen sind, Gelegenheit, diesem schönen amüsanten Sport zu huldigen und zwar im Char- wat'schen Schützenkeller. Dortselbst wird, morgen abend beginnend, ein großes Kegelschieben mit vier wertvollen Preisen veranstaltet, das gewiss alle Freunde des Kegelsports gerne besuchen werden. Neun vom Eck sind keine Seltenheit und die Preise verdienen ein paar Lagen! (Der Entomologische Verein für Karlsbad und Umgebung) unternimmt am Sonntag den 4. December l. J. einen Ausflug nach Elbogen, um dortselbst wenn es möglich, eine entomologische Section wie in Chodau ins Leben zu rufen. Neben den betreffenden Erörterungen finden auch zwei naturwissenschaftliche Vorträge statt, u. zw.: „Ueber Todtenkopf“ (Acherontia atropos), Herr E. L. Frosch, Chodau, und über „Blütenbefruchtung durch die Insecten“, Herr Gustav Kutschera, Karlsbad. Zusammenkunft im Reſtau- rant „Goldener Löwe“ in Elbogen um 2 Uhr nach- mittags. Gäste und Freunde der Entomologie sind willkommen. (Schnee im Erzgebirge.) Nach Mit- theilungen aus den Erzgebirgsgegenden ist seit etlichen Tagen der ganze Gebirgszug mit einer, wenn auch dünnen, so doch festen Schneeschichte bedeckt. Man schließt nun daraus, daſs wir heuer ungewöhnlich starke Fröste und in den Gebirgsgegenden starke Schneestürme haben werden. (Die österreichischen Kurorte auf der Pariser Weltausstellung) Am 9. December d. J. wird eine Sitzung des Special- comités für die Ausstellung, u. zw. im Sitzungs- saal des k. k. Handelsministeriums zu Wien unter dem Vorsitz des Herrn Hofrath Exner, stattfinden. Da in dieser Sitzung über die Ausführung der Ausstellung Beschluss gefasst werden wird, können nur noch solche Anmeldungen für die Ausstellung Berücksichtigung finden, welche einige Tage vor der Sitzung bei dem geschäftsführenden Ausschuss (Obmann Bürgermeister Schäffler-Karlsbad, Ob- mannstellvertreter Leo v. Mattoni Gießhübl-Sauer- brunn, Schriftführer Dr. Sipöcz-Karlsbad) eingehen. Wie früher mitgetheilt, hat Herr Leo v. Mattoni die Geschäftsführung übernommen und wären daher etwaige Anmeldungen am besten an diesen Herrn zu richten. (Gewerbereform. — Wahlreform.) Der Handelsminister erklärte einer Deputation der Gewerbegenossenschaften in Mähren, welche in Sachen der Wahlreform der Handels- und Gewerbekammern und der Gewerbereform bei ihm vorsprach, ein Flick- werk an der gegenwärtigen Gewerbeordnung entspreche nicht seinen Intentionen. Hierin müsse grundlegend gearbeitet werden, das sei sein Plan. Da dies jedoch Zeit erfordern werde, müsse man sich wohl noch ein wenig in Geduld fassen, die Interessenten mögen jedoch versichert sein, daſs er die Gewerbe- reform im Auge behalte. Die Wahlreform für die Handelskammern könne insolange nicht geändert werden, als nicht die Steuerlisten nach der neuen Steuerreform vorliegen. Die Erwerbsteuer- commissionen haben die Operate noch nicht vorge- legt, und bevor dies nicht geschehen sei, könne an den Wahllisten keine Aenderung vorgenommen werden. Drahowitz, 1. December. O-C. (Von der Feuer- wehr.) Mit Bezug auf die vor wenigen Tagen mit- getheilte Nachricht von der Resignation des Commando's der hiesigen Feuerwehr ist nun zu melden, daſs der be- treffende Socialdemokrat, welcher in unqualifizierbarer Weise das Commando mit dem Titel „Lumpen“ be- zeichnete, reumüthig diese Anschuldigung zurückge- nommen hat und mit Rücksicht auf dessen bürgerliche Stellung die Commandomitglieder sich erweichen ließen, von einer Klage Abstand zu nehmen. Es wird nun demnächst eine Generalversammlung stattfinden in welcher die Neuwahl des Commando's wieder vorgenommen wird. Petschau, 1. December. [O2C] (Dyphtheritis- Epidemie.) In unserer Stadt tritt diese furchtbare Krankheit in einem geradezu epidemischem Grade auf. Bereits zahlreiche Kinder liegen krank darnieder. Die Schulen sind gesperrt, ebenso entfallen die Feierlichkeiten der Schule, welche für morgen geplant waren. Vermischtes (Die Prinzessin Lonise von Coburg), Schwefter der Kronprinzessinwitwe Stephanie, wurde nach mehr- monatlichem Aufenthalte in der Heilanstalt Obersteiner in das Sanatorium Rudinger in Purkersdorf bei Wien gebracht. (Gegen das Corsettragen.) Der neue russische Unterrichtsminister Bogoliepow hat bekanntlich, nachdem er die Mädchenschulen inspiciert hatte, kürzlich verfügt, daſs das Corsettragen zu untersagen sei, weil dadurch Schäden für die Gesundheit und Entwickelung der Mädchen entstehen. Jetzt veröffentlicht Professor B. Gersuny in Wien seine langjährigen Untersuchungen über die Wir- kungen des Corsets und richtet an alle Unterrichtsbehörden, Schulleiterinnen und Volksbildungsvereine die Aufforderung, auf die Gefahren des Corsettragens aufmerksam zu machen und dessen Gebrauch möglichst abzuschaffen. Professor Gersunv erklärt, daſs das Corset nur ein flaches Athmen ermöglicht, infolge dessen die Lungenwege nicht hinreichend von der Luft durchzogen werden. Wegen dieses mangel- haften Gasaustausches ist aber die Zusammensetzung des Blutes unvollkommen, wodurch Blutarmuth und Bleich- sucht mit ihren mannigfachen Folgeerscheinungen entstehen. Da aber alle anderen Organe nur durch das Blut er- nährt werden, erleiden sie, wenn die Beschaffenheit des Blutes ungenügend ist, Ernahrungsstörungen. Dies äußert sich besonders im Gehirn durch nervösen Kopfschmerz, Trägheit, Benommenheit und Unlustgefühl. Aber auch der Herzmuskel, der Magen und die Leber werden auf- fallend in Mitleidenschaft gezogen. Professor Gersuny be- hauptet, er habe sich auf experimentellem Wege überzeugt. daſs die so vielfach vorkommenden hier genannten Leidens- zustände bei der weiblichen Jugend auf das Corsettragen zurückzuführen seien. (Ueber die religiösen Verhältnisse im deutschen Togolande) bringt das „Universum“ in- teressante Einzelheiten: „In den Haussacolonien nehmen die Priester neben den Häuptlingen die höchste Stelle ein. Ihnen unterstehen auch die Schulen, in denen die Kinder den Koran lesen lernen und in den Gebräuchen der mohamedanischen Religion unterrichtet werden. Die Re- ligionsverhältnisse der übrigen Bevölkerung haben jedoch die Haussa wenig beinflußt. Ueberall, an der Küste, soweit hier die Bewosner nicht dem Christenthume gewonnen sind. in der Flachlandschaft und im Binnenlande, herrscht allge- mein der Fetischcultus. Besondere Fetischplätze, heilige Haine und Häuser, werden von den Priestern und Priester- innen verwaltet, die den blinden Glauben des Volkes in schlauer Weise zu ihrem Nutzen auszubeuten verstehen, andererseits sich aber auch als Rathgeber und Medicin- Männer nützlich machen. Es ist unglaublich, was alles „Fetisch“ ist. Jedes Dorf hat seinen Orts-Fetisch, der es vor feindlichen Ueberfällen beschützt. Der Urheber der Ge- witter ist ein Fetisch. Ein Fetisch sucht im Busſch verlorne Menschen auf, andere schützen gegen Pocken und ansteckende Krankheiten. In vielen Dörfern ist der Storch Fetisch und darf nicht geschossen werden. Kleine Amulette, die die Fetischpriester ausgeben, sollen vor Gefahren und Krank- heiten schützen, wie einige Seemuscheln am Reisestock vor Gefahren unterwegs, an Haaren vor Kopfschmerz, andere sollen gegen Fluch und zum Erkennen böser Menschen dienen, oder als Zaubermittel, um Regen kommen und aufhören zu lassen. Allein die Fetische, von denen die Reisenden berichten, sind Legion.“ (Ein weibliches Seitenstück des Cyrano de Bergerac.) In einem galizischen Kloster ist eine junge Nonne gestorben, deren Geschick an die groteste Tragik des Nasen-Helden der Pariser Tragödikomödie streift. Es war allerdings nicht die „Nase des Verhäugnisses“ dabei im Spiele, sondern eine andere böse Laune der Natur und ebensowenig war's eine Sensations- geschichte, denn in der stillen Verborgenheit hinter den Klostermauern ging dieses geränschlose Drama einer Mädchenliebe lautlos zu Ende. Ein junges blühendes Geschöpf war im Elternhause die Braut des leiden- schaftlich geliebten Mannes geworden, und ihre Liebe steuerte also auf den seligsten Lustspielschluss hin. Eines Tages saß das glückliche Paar unter der lachenden Sommersonne im Garten, da kam ein Insekt geflogen und stach das Mädchen in die Lippe. Der kleine, im ersten Moment kaum merkbare Stich wurde nicht beachtet, und selbst als die Lippe ein bischen an- schwoll, nichts dagegen gethan, weil so was ja in ein paar Tagen von selbst vergehen müsse. Aber die Lippe schwoll weiter und weiter, bis sie zur Unförmlichkeit auf- gedunsen, und als nun endlich die Hilfe des Arztes in Anspruch genommen wurde, erwies sich diese als resultat- los. Das Uebel hatte sich bereits untilgbar festgewurzelt, das Gesicht blieb missgestaltet und — der Bräutigam löste die Verbindung. Die Verlassene litt es nach dem Zusammenbruch ihres Lebensglückes in der Welt nicht mehr, sie nahm den Schleier, aber der Klosterfrieden brachte ihr nicht den Herzensfrieden, nicht das Vergessen, der Gram zehrte an ihr, bis er ihr das junge Leben weg- gezehrt hatte. Telegrapsiischie Nacirichiten. Wien, 1. Dec. Se. Majestät der Kaiser ist heute mittags mit Prinzessin Gisela von Bayern nach Wallsee abgereist, wohin sich auch Frau Kronprinzessin Witwe Erzherzogin Stefante mit Tochter begaben. Wien, 1. Dec. Die „Wiener Zeitung“ meldet: Se. Majestät der Kaiser hat das nachstehende Aller- höchste Handschreiben zu erlassen geruht: Lieber Dr. Edler von Ruber! Aus Anlass des bevorstehenden fünfzigsten Erinnerungstages Meiner Thronbesteigung fühle Ich Mich veranlasst, auch jener Unglücklichen zu gedenken, die sich gegen die Gesetze des Staates vergangen haben und der strafenden Gerechtigkeit anheimgefallen sind. Ich sehe daher allen jenen Personen, welche bis zum 2. December 1898 in einem der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder nur allein wegen des Verbrechens der Majestätsbeleidigung oder nur allein wegen des Verbrechens der Beleidigung eines Mitgliedes des kaiserlichen Hauses oder nur allein wegen der beiden genannten Verbrechen zu einer Strafe verurtheilt worden sind, diese Strafen — soweit sie noch nicht abgebüßt ſind — soweit die mit den diesfälligen Erkenntnissen gesetzlich ver- bundenen Folgen nach und verordne, daſs wegen der Verbrechen der genannten Art, wenn sie vor dem erwähnten Tage begangen worden sind, ein strafgerichtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete von Amtswegen wieder eingestellt werde. Ich sehe ferner den in den beiliegenden Verzeichnissen 1, 2 und 3 in den Gefängnissen der Gerichtshöfe angehaltenen 199 Sträflingen, sowie den in den angeschlossenen Verzeichnissen 1. 2 und 3 namhaft gemachten ihre Strafe in den Straf- anstalten verbüßenden 349 Sträflingen den Rest ihrer Freiheitsstrafe nach. Diese Gnadenacte sind am 2. December 1898 in Vollzug zu setzen. Schön- brunn, am 15. November 1898. Franz Joseph m. P.
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1898-12-02-n275_7110.jp2