Text na stránkách 12

Text: 
(b1 0 *ldxο 6κn 1ldοs 3ριο, 8061 ilu� 8 Seite 12 „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 149 3. Juli 1898 Das Ahnenbild. Roman von Anna Maria Witte. Machdruck verboten.] (26. Fortsetzung.) „Der Herr Pastor vertraute mir kürzlich, dass das Bild auf einer Thür sich befände, und mein erstes Werk soll sein, dies zu untersuchen, um konſtatiren zu können, von welchem Gemache aus man zu dem Bild gelangen kann,“ sagte Ellerstein, Vera aufmerksam anschauend, deren Gesicht in Purpur erglühte. „Die Ahnfrau war meine erste Liebe“, sagte der alte Graf, „denke Dir, Elisabeth, dass ich als Knabe die Idee gefasst hatte, wenn wir die Ahn- frau einmal erschiene, sie festzuhalten und zu heiraten, so entzückend fand ich das Bild.“ „Sie ist auch mein Ideal“, bemerkte Ellerstein ruhig, „ich würde mich nie für eine temperament- lose Dame begeistert haben.“ „Ihr Onkel, gnädiges Fräulein, mochte das Bild nicht gerne sehen,“ erzählte der alte Graf weiter, „er hatte eine junge Dame einst geliebt, die dem Bilde ähnlich gewesen sein soll, und seitdem sie einen Anderen geheirathet, ist er wirklich niemals wieder in das Zimmer gegangen“. „Er war ein treues Gemüth, welches diese Enttäuschung niemals ganz verwinden lernte, er hat niemals geheiratet, obwohl es sein Vater so sehr wünschte,“ ergänzte die Gräfin. „Ich glaube, ich würde mich auch niemals zu einer Ehe entschließen, wenn ich nicht die Eine bekäme, die ich liebte,“ warf Ellerstein ein. Vera horchte hoch auf, diese Ansicht von einem Manne erschien ihr neu. „Meiner Meinung nach liebt man nur einmal wahrhaft“, fuhr er fort, unbe- kümmert um die Neckereien der beiden jungen Grafen, welche zum Entsetzen ihrer Mutter ihre Ansichten über Liebe und Ehe zu entsalten begannen. Mit Feinheit und Takt lenkte sie alsdann das Gespräch auf ein anderes Thema; und bald waren Reiseerlebnisse des Baron Ellerstein an das Licht gezogen. Er sprach ernst und anregend, ohne den Ton anzuschlagen, welchen Vera so hasste. Sie wurde unbewuſst auch lebhaft und mittheilsam. Sie besaß viel Verstand, und er bekämpfte ihre durchdachten Anschauungen, welche sie den seinen einige Mal entgegenhielt, nicht. So verging der Abend angenehm, und Vera bedauerte es fast, als Elsbeth zum Aufbruch mahnte. „Es ist solch herrlicher Abend,“ meinte der alte Graf, „lassen Sie doch den Wagen bis zur Chaussee voranfahren, wir Herren werden Sie bis dahin begleiten! Der Vorschlag wurde ange- nommen. — Der alte Graf schritt mit dem Prediger voran, Elsbeth in Begleitung der beiden Brüder folgte, und Ellerstein mit Vera schloss den Zug. — Er hatte zwar gesehen, wie Vera sich bemüht hatte, schneller von der Gräfin loszukommen, welche ihr noch Aufträge für Ruth gegeben hatte, um einem Allein mit ihm auszuweichen; aber er war heute zu einem Entschluss gekommen. Er wusste, daſs er Vera liebte, sein Ausspruch heut Abend war Wahrheit gewesen, daſs er sich nie zur Ehe entschließen würde, wenn er nicht die Eine bekäme, der sein Herz gehörte und darum wolle er Gewissheit haben. Der Weg war ziemlich steil. Vera strauchelte über einen Stein. Er reichte ihr seinen Arm. — Das junge Mädchen lehnte denselben leichthin ab. „Glauben Sie nicht, daſs es viel mehr auf- fallen würde, wenn wir neben einander gehen, da es hier wirklich für eine Dame schwierig ist, abends den Weg ohne sichere Stütze zurückzulegen?“ — sagte er in dem ruhigen Tone, der ihm eigen war. Sie sagte sich, daſs er Recht habe, und legte mit einem ihr eigenartigen Gefühle die Fingerspitzen auf seinen Arm. „Sie wollen also wieder von Rakow fortgehen, gnädiges Fräulein? Berlin lockt Sie schließlich doch mehr, als die Einöde des Landlebens, nicht wahr?“ „Ich gehe nicht nach Berlin, sondern zu meinen Geschwistern,“ entgegnete sie, indem sie seine Frage umgieng. „Aber in Berlin werden wir uns doch schließ- lich wiedersehen?“ fragte er, „mein Urlaub läuft jetzt ab und sobald die Formalitäten alle erledigt sind, trete ich meine Rückreise an; vorher aber musste ich noch eine Frage an Sie richten, eine Frage, die das Glück meines zukünftigen Lebens bestimmt, darf ich sprechen, Vera?“ Ihre Wangen waren verblasst, sie athmete stumm. Sie hatte seinen Arm losgelassen. Hoch- aufgerichtet stand sie vor ihm. In diesem Augen- blick trat eine gewisse Familienähnlichkeit zwischen Beiden hervor. Stolz war der vorherrschende Zug der edlen, schönen Linien; zögernd und weich fuhr der Baron nach einer kurzen Pause fort: „Nie, bis zur heutigen Stunde, habe ich eigentlich heraus- zufühlen vermocht, ob Sie das Gefühl erwidern, das ich für Sie hige, aber die Ungewissheit ertrage ich nicht länger, Vera, Sie sollen es wissen, daſs ich Sie liebe, über Alles liebe. Ein Mann erträgt eher die härteste Gewiſsheit, als die qualvolle Un- gewiſsheit; sagen Sie mir, ob ich hoffen darf.“ Ihr Herz klopfte fast hörbar, langsam schlug sie die Augen zu ihm auf, vergessen war alles, was sie einst über den Egoismus der Männer gesagt hatte — vergessen jedes schroffe Gefühl, das sie ihm gegenüber häufig empfunden, alles war unter- gesunken in der demüthigen Liebe des Weibes, und dann legte sie stumm, aber mit dem Ausdruck hin- gebendster Liebe und Vertrauens ihre Hand in die seine, denn sie las aus seinen Augen, daſs sie sein theuerstes Kleinod bleiben würde für alle Zeit. „Ich habe Dich geliebt, seit ich Dich kenne, Vera“, flüsterte er leise und drückte einen Kufs auf ihre Hand und ihre Stirn. „Und ich Dich wohl auch“, sagte sie fest, „ich habe dagegen angekämpft, aber es ist doch stärker gewesen als ich, und nun ....“ „Nun bist Du mein auf ewig“, schloss er glücklich und ließ sie langsam aus seinen Armen, aber er hielt ihre Hand in der seinen, als sie den Anderen nachfolgten. Licht mit Purpur gefärbt, erschien die Abend- luft. Röthlich schimmerten die zerbrochenen Fenster- scheiben und zerfallenen Mauern einer kleinen Kapelle, welche am Kreuzungspunkte des Weges stand, längst von dem alten Grafen hatte entfernt werden sollen, und nur auf Wunsch seiner Ge- malin, die für Romantik eine kleine Schwäche hatte, stehen geblieben war, um allmählich zur Ruine zu verfallen. Hier fanden sie die Andern. „Ihr hattet Euch wohl verirrt?“ fragte Graf Bruno neckend den Baron. 95. „Wir sind schon seit zehn Minuten hier. „Vera, Du siehst geisterhaft blass aus“, meinte Elsbeth und reichte der Freundin besorgt die Hand. „Mir fehlt aber nichts“, entgegnete das junge Mädchen doppelsinnig, mit einem lieblichen Lächeln, welches Elsbeths Sorge vollkommen verscheuchte. Der alte Graf bot Vera die Hand und half ihr beim Einsteigen. Der Wagen rollte in die laue Nachtluft hinein. Die Herren schritten langsam den Weg zum Schlosse zurück. „Diese Vera Fresen ist ein reizendes Mädchen“, bemerkte der Vater zu seinen Söhnen. Sie wäre ihm, trotz des bürgerlichen Namens eine willkom- mene Schwiegertochter gewesen „O ja,“ meinte Brund etwas gedehnt, „aber eine Rose mit Dornen. Sie soll die Herren nicht allzu gut behandeln.“ „Davon kannst Du wohl ein Liedchen singen?“ neckte sein Bruder. „Das nicht gerade; sie ist, so lange man harmlos mit ihr spricht, sehr liebenswürdig, über- müthig und amüsant, aber wehe Dem, der versucht, ihr den Hof zu machen.“ Ellerstein schwieg. In seinem Herzen war nur ein Gedanke an Vera, sein Glück, seine Zukunft. Achtundzwanzigstes Kapitel. Vera war ziemlich schweigsam auf der Heim- fahrt, sie konnte nicht von Dem sprechen, was ihr Herz bewegte; auch der Prediger und seine Frau machten nur ab und zu eine Bemerkung über die Fahrt. Es war schon spät, als sie Rakow er- reichten. Freundlich schimmerten die erleuchteten Fenster des Pfarrhauses über die Chaussee. — Als das Ehepaar und Vera den Vorflur be- traten, kam ihnen Ruth entgegen. „Ist die Ueberraschung gelungen? fragte sie heiter, da Elsbeth und Vera vor Erstaunen kein Wort zu sprechen vermochten. „Mein Mann ist in Berlin, und ich erbat mir drei Tage Urlaub, um Euch ungeahnt zu überfallen. „O, nun fehlt nichts mehr zu meinem Glücke“, rief Vera stürmisch und umarmte die Schwester; und dann mußte Ruth das Warum und Woher ihrer Reise berichten, bis der Pfarrer an die späte Stunde erinnerte und zum Aufbruch mahnte. Als die Schwestern ihr Zimmer aufsuchten, theilte Vera Ruth ihre Verlobung mit und erregte dadurch einen Freud'nsturm bi der Schwester, die mit dem Glauben an die Prophezeiung doch recht behalten hatte. Am andern Vormittag traf Ellerstein im Pfarrhaus ein. Ruth und Beyrichs sprachen in herzlichen Worten ihre Glückwünsche aus. „Und nun müssen Sie doch eingestehen, Herr Pastor, daſs alte Sagen und alte Prophezeihungen keineswegs zu belächeln sind“, bemerkte Ruth tri- umphirend, „und ist umsonst mit meinen roman- tischen Ideen geneckt wurde, es ist doch eingetroffen und zwar bei Vera, die immer alles geleugnet hat.“ „Ja, gnädige Frau, ich bescheide mich,“ gab der Pastor, noch immer mit leisem Widerstreben, zu, „aber es thut mir eigentlich leid. Nicht daſs Sie glücklich sind,“ wandte er sich mit freundlichem Lächeln zu dem Brautpaar, „aber dass dem Aber- glauben neue Nahrung gegeben ist. „Ich begreife nur nicht, dass einem Abkömm- ling der Familie Lehmann die Ahnfrau erscheinen konnte“, warf Elsbeth ein, „diese Geschichte gehört wohl ins Reich der Fabel.“ „Auch wenn Sie hören, dass mir das Otigi- nal des Bildes thatsächlich erschienen ist? fragte Ellerstein. Der Prediger sah den Baron überrascht an, Elsbeth und Ruth stießen zu gleicher Zeit ziemlich entsetzt nur das eine Wort hervor: „Wirklich?“ während Veras Wangen dunkle Gluth überzog. „Ich hatte die Sage überleben belächelt,“ erläuterte Ellerstein, „ich helt sie für das dumme Gefaselt alter Diener und dachte, Alfred Lehmann habe sich interessant machen wollen durch die Er- zählung, daſs er die Ahnfrau gesehen, — da eines Abends, als ich in dem Zimmer mit dem ge- heimnisvollen Bilde saß, sah ich deutlich einen Lichtschein von dem Gemälde zu mir hernieder- strahlen, das Bild wich langsam zurück, das Ori- ginal stand statt dessen vor mir, — und war eben so schnell verschwunden.“ Ruth seufzte tief und schwer. Sie hatte den Worten ihres Schwagers athemlos gelauscht, „War es nicht entsetzlich?“ fragte sie tonlos. „Sie hatten geträumt,“ behauptete der Pastor mit ruhigem Ton, schüttelte aber doch erstaunt seinen Kovf, als Ellerstein eben so ruhig antwor- tete: „Nein, ich wachte und sah es genau.“ Niemand außer dem Baron beachtete es, daſs Vera keine Bemerkung machte. „Hatten Sie nicht den Wunsch, das Gespenst zu verjagen?“ fragte Elsbeth. Ellerstein lächelte und faſste die Hände seiner Braut, welche eiskalt in den seinen lagen. „Ich hatte mich im Augenblick in die Ahnfrau verliebt und fand nur den einen Wunsch, sie in meine Arme ziehen zu dürfen.“ Der Prediger schüttelte sehr ernst mit dem Kopf. „Man hat sich einen Scherz mit Ihnen gemacht, Baron, das Bild befindet sich auf einer Thür.“ „Das hörte ich bald nachher,“ sagte Ellerstein vergnügt, „und ich schlage vor, die Sache gemeinsam zu untersuchen, aber es giebt keinen Schlüssel zum Thurm.“ „Es muss einen geben,“ erklärte Ruth eifrig, „aber ich ahne nicht, wo; wer den besitzt, der hält sein Glück in Händen.“ „Wir halten es ohne Schlüssel, nicht wahr?“ fragte der Baron in zärtlichem Tone und zog seine Braut an sich. „Und mit der Ahnfrau werde ich schon fertig werden, nicht wahr, Bera?“ Sie versteckte ihr Gesicht an seiner Brust, sie fühlte, daſs er auf rechter Fährte war, aber seit sie seiner Liebe sicher, hatte der Gedanke, daſs er des Räthsels Lösung finden würde, nichts Peinliches mehr für sie. „Seid Ihr bereit, nach dem Schlosse in das Zimmer der Ahnfrau zu gehen, die Sache zu unter- suchen?“ fragte sie, einen Plan in ihrem Kopf er- wägend. (Schluss folgt.)
Název souboru: 
karlsbader-badeblatt-1898-07-03-n149_0220.jp2