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Seite „Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 138 19. Juni 1898 Etablissement Pupp. Nachmittags-Concert der Pleier'schen Concert-Kapelle. 1. Caraffa, Marsch von Komzak 2. Ouverture z. Op. „Rienzt“ von R. Wagner 3. Rathbausbaul-Tänze, Walzer von Joh. Strauß 4. Vorspiel zur 3. Abtheilung der Oper „Das Heimchen am Herd“ von Goldmark 5. Kukuska, russische Bauerntänze von Lehar 6. Ein Frühlingstraum, Idylle von Herfurth 7. ' kommt ein Vogerl geflogen. Ein deutsches Volks- lied humorist. bearbeitet von S. Ochs 8. Königin Christine-Gavotte von Schmidt 9. Boshaft, Polka von Ziehrer. Anfang 4 Uhr. Hotel gold. Schild. Abend-Concert der Pleier'- schen Concert-Kapelle. 1. Karlsschüler, Marsch von Weinberger 2. Ouverture z. Ov. „Das Rothkäppchen“ von Boieldien 3. Grubenlichter, Walzer von Zeller 4. Scenen aus der Oper „Der fliegende Holländer“ von R. Wagner 5. Amerikanischer Tanz von Kabane 6. Die stille Rose, Lied von Gumbert 7. Operetten-Revue. Potpourri von Schmidt 8. Duſaren-Polka von Strauß. Anfang halb 8 Uhr. Etablissement Jägerhaus. Nachmittags-Con- cert der Eberhart'schen Concert-Kapelle. Marsch a. d. Op. „Die verkaufte Braut“ v. Smetana Ouverture z. Op. „Die Tochter des Regiments“ von Donizetti 3. Oesterreich-Ungarn, Walzer von Köler-Böla 4. Opern-Stizzen von Jos. Marek 5. Dianas Jagdruf von C. Arndt 6. Fürs Wiener Herz, Potpourri von Müller 7. Gnomen-Tanz von Mayer-Helmund 8. Erinnerung an Warschau, Polka mazur v. Peplov Anfang 4 Uhr. Die sanfte Tonart. Auch der verfassungstreue Großgrundbesitz hat Stellung genommen zu der Lage und das Ergeb- nis der Anschauungen, die ja auch in dieser Partei mehrfache sind, öffentlich kundgegeben. Nicht blos die Abgeordneten des liberalen Großgrundbesitzes, sondern die Gesammtpartei hat in dieser Kund- gebung gesprochen. Bei der Berathung waren die Vertrauensmänner der Partei aus allen Kronländern anwesend. Zwei Dinge springen sofort in die Augen, wenn man die Anwesenheit des Handelsministers Dr. Bärnreither bei der Berathung, also seine Zustimmung zu der Kundgebung in Betracht zieht. Es wird die Erwartung ausgesprochen, daſs die Regierung aus „dem Stadium des Erwägens“ zur That schreite und daſs sie die verfassungsmäßigen Wege einhalte. Da haben wir es nun sogar aus dem Munde eines Cabinetsmitgliedes, daſs Graf Thun noch immer darüber nachdenkt, was er eigent- lich thun soll und daſs es nicht als ein Unmög- liches erscheint, Graf Thun werde den verfassungs- mäßigen Weg verlassen. Es ist auch an anderer Stelle von der Nothwendigkeit der Ermittelung eines Ausweges aus den inneren Wirren die Rede. Dieser Ausweg ist also noch immer nicht gefunden. Weiters sieht sich der verfassungstreue Großgrund- besitz, Dr. Bärnreither eingeschlossen, veranlaſst, „mit erhöhtem Nachdruck“ zu betonen, daſs eine Lösung der bestehenden Krise nur im Rahmen der geltenden Verfassung gesucht und ge- funden werde und daſs alles vermieden werden müsse, was eine Erschütterung des staatsrechtlichen Zustandes herbeiführen würde. Die Regierung ist also rathlos und sie hat jedenfalls schon ins Auge gefasst, sich über den Rahmen der Verfassung hinauszusetzen und neue staatsrechtliche Zustände herbeizuführen. Der verfassungstreue Groß rundbesitz — einschließ- lich des Handelsministers Dr. Bärnreither — ist also bezüglich der künftigen Schritte des Grafen Thun keineswegs außer Sorge und er findet es für nothwendig, zu mahnen und zu warnen. Das muss wie eine Offenbarung auf die gesammte Oppoſition wirken. Sie braucht' darüber nicht im mindesten zu erschrecken; es heißt jedoch für sie bereit sein, wenn die Regierung wirklich zu solchen Wagnissen vorschreiten sollte, ihr mit den äußersten Mitteln zu begegnen. Wenn dann noch verlautet, dass die angekündigten neuen Verhandlungen be- züglich der Sprachenfrage, welche nach früheren Nachrichten noch im Juni in Angriff genommen werden sollten, so wundert man sich nicht wenig darüber, daſs die Regierung, nachdem sie bereits dreiviertel Jahre verloren hat, auch jetzt noch sehr viel Zeit zu verlieren haben scheint. Freilich, wenn sie in dreiviertel Jahren keinen Ausweg gefunden hat, wird es ihr sehr schwierig, jetzt schon in vier- zehn Tagen dazu zu gelangen. Es ist unglaub- lich und deutet darauf hin, daſs die Regierung wirklich nur einen einzigen Gedanken hat, über das Jubiläumsjahr hinwegzukommen. Die Kundgebung der Großgrundbesitzer konnte natürlich nicht jene entschiedene, gepfefferte Sprache aufbringen, welche in den Kundgebungen der deutschen Volksparteien herrscht. In diesen wird mit aller Entschiedenheit die Aufhebung der Sprachenver- ordnungen gefordert, jeder Verfassungsbruch, jede Verfassungswidrigkeit verdammt und das Festhalten an der Gemeinbürgschaft betheuert. Auch die Groß- grundbesitzer halten es für unbedingt geboten, „daſs von den Deutschen in Oesterreich der schwer empfundene Druck nationaler Beeinträchtigung hin- weggenommen werde; die Regierung wird erinnert, daſs sie selbst den Deutschen Abhilfe zugesagt, daſs sie die Möglichkeit einer Aufhebung der Sprachen- verordnungen nicht geleugnet habe. Nun wird ver- langt, daſs sich die Regierung noch weiter entschließe, da die Aufrechterhaltung der Sprachenverordnungen in keinem Verhältnis zu den Uebeln stehe, welche dadurch herbeigeführt werden. Das ist allerdings eine etwas umständliche Art, die Aufhebung der Sprachenverordnungen zu verlangen, es ist aber doch nichts anderes. Ganz ohne Umschweife kehrt sich der Großgrundbesitz gegen jede Verfassungs- widrigkeit, wie bereits erwähnt wurde. Noch größere Entschiedenheit entwickelt der Großgrundbesitz in der Verwerfung dessen, was er das „Auftreten einer radikalen Gruppe“ nennt; er erkennt auch, daſs nur durch ein rechtzeitiges und loyales Entgegenkommen für die Deutschen dem weiteren Ausbreiten des Radikalismus entgegengewirkt werden kann. Die Kundgebung der Großgrundbesitzer-Partei muss übrigens im Zusammenhange mit der Kund- gebung der Clubobmänner der oppositionellen deutschen Parteien betrachtet werden. Der Obmann der Großgrundbesitzerpartei des Abgeordnetenhauses hot in voller Uebereinstimmung mit den anderen Obmännern ein einmüthiges Zusammenwirken mit ihnen gelobt. Die Forderung der Aufhebung der Sprachenverordnungen erhoben und den Entschluss ausgesprochen, die Verfassung gegen jeden Eingriff zu vertheidigen. Zwischen der Kundgebung der Gesammtpartei und dem Vorgehen des Cluhob- mannes besteht nicht der geringste Widerspruch. Es ist auch nicht entfernt daran zu denken, daſs der verfassungstreue Großgrundbesitz sich aus der innigen Verbindung mit den deutschen Volk parteien los- lösen könnte, am allerwenigsten dann, wenn die Regierung sich eben anschickte, die Befürchtungen des Großgrundbesitzes wahr zu machen. Die Deutschen stehn also — und das ist die Hauptsache — von den Großgrundbesitzern angefangen bis hinüber zur deutschen Volkspartei in einer geschlosse- nen Schlachtlinie zur Durchsetzung ihrer Haupt- forderungen und zur entschiedenen Abwehr jedes Eingriffes in die Verfassung. Allerdings versucht es der Großgrundbesitz noch immer, mit der soge- nannten sauften Tonart und die jetzige Kundgebung bleibt hinter der Entschiedenheit, welche Dr.Bärn- reither in den letzten Novembertagen gegen Badeni aufgebracht hatte, nicht wenig zurück. Auch ist ja das Verbleiben Bärnreithers in der Regie- rung, trotzdem die Wiederherstellung des „eisernen Ringes“ ohne Zweifel das Werk des Grafen Thun ist, ein Beweis, daſs der verfassungstreue Groß- grundbesitz noch immer die Brücke zu der Regie- rung nicht völlig abbrechen möchte. Das wird aber freilich geschehen müssen, wenn sich die Politik Thuns in der Art, wie er Dipauli zur Majorität zurückgeführt hat, weiter entwickelt. Mit der sanften Tonart haben es ja die Deutschen durch lange Jahre versucht und sie haben damit nichts erreicht Die Deutschen waren mehr als bloß sanft; sie waren nachgiebig, vergaben und vergaßen rasch; sie ließen mit einem volksthümlichen Worte „Holz auf sich hacken“ und verschlimmerten dadurch ihre Lage nur noch mehr. Heute gilt es: Durch! Stadtpark. Abend-Concert der Kur-Kapelle. Anfang halb 8 Uhr. (Original-Beitrag.) Lord Beaconsfield, der viele Länder und Städte gesehen und einen besonders entwickelten Sinn für Pracht und Eleganz hatte, sagte im Jahre 1878 während seines Aufenthaltes in Berlin als erster Vertreter Englands an dem Berliner Congresse, Berlin sei die schönste Stadt der Welt. In diesen Tagen sagte Kaiser Wilhelm, der bekanntlich auch viel gereist ist und gesehen hat, Berlin werde noch einmal die schönste Stadt der Welt sein. Der Unterschied in den beiden Aussprüchen, ein Unter- schied zwischen Gegenwart und Zukunft, ist nicht so groß, wie er scheint. Ein Kaiser, und zumal ein Kaiser mit hervorragendem Kunstsinn stellt eben noch größere Ansprüche als ein Mann, der von einem aus vergleichsweise kleinen Verhältnissen hervorge- gangenen Schriftsteller zum Lord und Premier- miuister geworden ist. Außerdem hat der englische Staatsmann nur ein Urtheil abgegeben, der Kaiser will, indem er das Urtheil abgiebt, gleichzeitig an- spornen. Daſs es sich bei dem Ausspruche des Kaisers nicht um eine bloße Artigkeit handelte, die er dem Oberbürgermeister erweisen wollte, nicht um eine im Augenblick entstandene und darum nicht besonders ernst gemeinte Ansicht handelt, geht daraus hervor, daſs ich schon einige Tage vorher gehört habe, daſs der Kaiser sich ganz entzückt über die Schönheit seiner Hauptstadt im Frühling geäußert hat und sogar hinzugefügt, er werde jetzt im Frühling mehr in Berkin bleiben. Seit 1879 aber hat sich Berlin noch unendlich mehr verschönert als es an Ausdehnung und Ein- wohnerzahl gewachsen ist, und dieses quantitative Wachsthum schon ist bekanntlich erstaunlich. Zahl- reiche Villen in den vornehmeren Stadttheilen und in einigen Vororten sind architectonische Meister- und Musterleistungen, wie man sie so prächtig und in solcher Zahl wohl in keiner Stadt der Welt findet. Dabei verschwindet das alte Berlin, das auch nicht sehr alt ist, immer mehr, und es wird nicht lange dauern, so wird Berlin in allen seinen Theilen die moderéste Großstadt der Welt sein und selbst die amerikanischen Städte wie New York, Chicago, Philadelphia übertreffen ohne deren Extra- vaganzen und Gegensätze. Aber auch der modernen Stadt hängt das Zöpfchen hinten. Auch in dem modernen Berlin mit seinen aufgeklärten Leuten, die so gern ihre Stadt die Metropole der Intelligenz oder Spree- Athen nennen, herrscht noch gewaltig viel unmoderner Aberglaube. Oder ist der Aberglaube eine modernste Wieder Errungenschaft? Sonnabend und Dienstag gelten bekanntlich als Glückstage, und Freitag ist, wie jedenfalls noch bekannter ist, als Unglückstag verrufen. Demgemäß finden in jeder Woche die meisten Eheschließungen in Berlin am Dienstag und Sonnabends statt. Allerdings kann da die That- sache mit von Einfluss sein, daſs die meisten Leute zu gebunden sind, um sich an einem anderen Wochen- tage als am Sonnabend für's Leben verbinden zu lassen. Aber während des Dienstags noch vierzig Paare heiraten, wagen am Freitag nur neun von den 300 neuen Ehepaaren, die in jeder Woche in Berlin die Ehe schließen, den so wichtigen Act vor- zunehmen. Es sind eben auch die aberwitzigen Berliner nicht frei von Aberglauben, was auch das Blühen und Gedeihen der zahlreichen klugen Leute beweist, die durch Wahrsagen aus den verschiedensten prosaischen Dingen, wie Spielkarten, Kaffeesatz, Ei- weiß u. dgl. einen schönen Batzen herauszuschlagen verstehen. Die zweite Stadt der Erde. Udo Brachvogel schildert in einem amerikanischen Briefe der „Frankf. Ztg.“ Groß-New York als die zweitgrößte Stadt der Erde. Was die Ausdehnung betrifft — 318 engl. Quadratmeilen so steht New- York sogar vor London, welches 305 zählt. „Man darf die Einwohnerzahl von New Yort“ also schreibt Brachvogel — „zur Zeit getrost auf drei- undein Drittel Millionen berechnen. Als Stadt- bevölkerung steht sie damit allerdings hinter der von London noch immer um eine gute Million und Be- mehr zurück. Umsomehr ist sie dafür als Berliner Plauderei.
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karlsbader-badeblatt-1898-06-19-n138_6750.jp2