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10. April 1898 �Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 82 Seite 9 Sie betrochtete bei diesen Worten den Schlüssel, welcher von so eigenartiger Form und so besonders schöner Arbeit war, daſs sie beschlo's, ihn der Kuriosität halber aufzubewahren und damit zugleich eine greifbare Eciunerung an ihre alte Heimat. Vera sprach dann noch über Dieses und Jenes mit der Kastellanin, meist drehte sich das Gespräch um ihren Großvater und die so jung dahinge- schiedene Mutter. Der Familie des neuen Besitzers von Rakow that sie nicht Erwähnung Vera hielt es nicht für richtig, Menschen, welche nicht die gleiche Bildungsftufe mit ihr theilten, waren sie slist in langjährigen Diensten getreu erfunden, auszufragen, und Frau Garne hatte so viel zu erzählen von jnen vergangenen Zeiten, daſs sie gar nicht an die neuen Schlossbewohner mehr dachte. Ihre Mission war erfüllt. Sie hatte, voller Interesse für ihren Liebling Vera, in der langen Krankheit die Familienchronik durchstudiert, mit mehr Interesse, als sie die Familienmitglieder einer n'uen Z-uperiode den alten mystischen Ge- schichten entgegenbrachten, und — als sie pensionirt wurde und mit butrem Wehmuthsschmerz Fremde in das Schloss einziehen sah — den Schlüsse! heimlich mitgenommen, da sie steif und fest den Glauben hegte, ihr Fräulein Vera erlange durch denselben einst ihr Glück. „Wie lange bleiben die jungen Damen denn noch hier?“ frage sie schließlich, und machte Miene, sich zum Gehen zu rüsten. „Das wissen wir selbst noch nicht. Eine Woche war überhaupt nur für unsern hiesigen Aufentbalt bestimmt, und vier Tage sind wir nun schon hier. Am nüchsten Sonntag wollen wir uns mit meinem Schwager in Breslau treffen und zu- sammen nach Berlin fahren, aber ebenso gut kann uns ein Telegramm seine schnelle Ankunft melden, dann reisen wir früher.“ „Ach, aber so schnell!“ Die alte Frau schüttelte verwundert den Kopf, — „das ist viel zu kurze Zeit für die alten Erinnerungen.“ „Jn, Mutter Garne, es geht doch nun einmal nicht anders, und ist für Ruth auch besser so, ich finde mich leichter in jede Veränderung.“ Die Alte schütlelte den Kopf, das war der einzige Fehler bei ihrem Liebling wie sie meinte, daſs sie so viel weniger an Rakow hing, obwohl gerade sie äußerlich eine echte Tochter des Ge- schlechtes war. „Ich komme aber in kurzer Zeit wieder,“ fügte Vera nach einer kleinen Pause hinzu, und zauberte durch diese Worte einen Freudenschein auf das faltige Antlitz der Kastellanin, „im Augun kehre ich nach Rakow zurück, indeß unsere Ver- wandten ein Bad besuchen. In die junge Häus- lichkeit von Ruth mag ich denn noch nicht, die müssen sich erst allein einleben.“ „Sie haben Recht, Herzchen, ganz Recht,“ be- stätigte die Alte, kommen Sie nur wieder hierher, Frau Pastor ist so glückselig, wenn Sie da sind! — Ader nun will ich gehen. Bewahren Sie den Schlüssel gut, Fräulein Vera, verlieren Sie ihn nicht und zeigen Sie ihn Niemand, auch Fräulein Ruth nicht. Es soll nicht gut sein, e Andern wissen, man hält sein Glück in die Händen.“ Die Alte gieng, das junge Mädchen blickte auf den Schlüssel, als erwache sie aus einem Traume. „Ich halte mein Glück in Händen“, wiederholte sie, als spräche sie im Schlafe, „was ist eigentlich Glück und wie wird das meine einst sein.“ Sie gedachte einer Unterredung, welche sie mit Ruth gehabt, diese meinte, Jeder glaubte in der Jugend, ihm müsse ein unendlich großes, sagenhaftes Glück be- stimmt sein. Nein, solche Jdusionen hatte sie eigentlich niemals gebegt. Sie hatte das Leben nie schwer genommen. Es hatte ihr auch leid gethan, die traute, liebgewordene Heimat aufzugeben und zu fast unbekannten Verwandten zu gehen, aber sie hatte immer verstanden, Allem die beste Seite ab- zugewinnen und ein besonderes Glück für sich eigentlich nie erwartet. Erst jetzt trat ihr der Ge- danke nah: Was wäre für Dich — Glück? — Eine Heirat, wie es Elsbeth und Ruth beschieden! Sie konnte sich das Leben viel netter ohne Gatten denken, besonders wenn es wie — Alfred Lehmann aussehen sollte. Vera musste unwillkürlch lachen. Ein Mann, der nichts geleistet hatte, der von früh an mit seinem Tagewerk fertig war. Sie sah ihn ordentlich vor sich, wenn der blasierte, ergraute junge Mann von einem Sofa auf's andere tau- melte, Eigaretten rauchte und gähnte. Dann würde er das Gemälde der Ahnfrau beschauen. — Welche Bewandtnis es mit der Erscheinung wohl hatte! — War es möglich, daſs sie er gesehen!! — Bei dieser Frage durchkreuzte ein neuer Ge- danke Vera's Gehirn. Sie könnte sich ja, wenn sie nur wollte, jetzt das Vergnügen bereiten, selbst das Ahnenbild zu spielen. Mittelst des Schlüssels konnte sie ja bis zu dem Bilde gelangen, und falls nichts an dem alten Rahmen geändert war, durch eine bestimmte Stelle, die von der Vorderseite kaum zu finden, an der Rückwand des Bildes leicht sicht- bar sein sollte, in das Zimmer blicken. Es musste ein Hauptspaß werden, den jungen Mann in seiner Furcht zu beobachten. Vera über- legte nicht, ob es recht oder passend sei, sie war stets leicht zu übermüthigen Streichen aufgelegt gewesen und so beschloß sie ihr Vorhaben auszu- führen, ohne einem Andern sich anzuvertrauen. Ruth würde es unpassend und Elsbeth zum min- destens gewagt gefunden haben. Das schadete nichts. Sie wurde ja nicht gesehen und konnte unbemerft in das Schloss hinein und hinaus gelangen. Mit vergnügtem Lächeln betrachtete sie den Schlüssel, der ihr den Weg zu dem Thurm erschließen sollte. Achtes Kapitel. Vera hatte sich einen dunklen Mantel über- worfen und den Weg zum Schlosse eingeschlagen. Unbemerkt war sie an die verwilderte Stelle des Parkes gekommen, an die der alte Thurm des Schlosses stieß. Sie steckte den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn herum. Ein leichtes Ge- räusch, die Thür öffnete sich, und Vera sah eine dunkle Treppe, die nach oben führte. Ihr Herz begann rasch und heftig zu pochen: Es durchrieselte sie, trotz ihrer Kühnheit und ihres Muthes, mit kaltem Schauer. Alle Sagen fielen ihr plötzlich ein, welche mit alten Schlössern in Verbindung ge- bracht werden. — „Wenn es nun Wahrheit wäre, und mir selbst die richtige Ahnfrau erschiene!“ dachte sie mit Baugen und hemmte unwillkürlich ihren Schritt. — „Thorheit“, überlegte sie im nächsten Augen- blick. Pastor Beyrich sogte ja auch, wie unrecht es sei, an dergleichen Märchen zu glauben! — Sie stieg, wieder beherzter geworden, die Wendeltreppe hinan und gelangte an eine eiserne Thür, welche halb offen stand. Vera fließ sie gonz auf und betrat ein Gemach, dessen Tapeten in Fetzen hernieder hingen. Das Mondlicht schien matt durch zwei halverblindete Fenster und gewährte einen unh seelichen Anblick und der leichte Luftzug, welcher durch eine zerbrochene Scheibe Einlass fand, bewegte die verschlossenen Vorhänge, deren Gewebe von Staub und Alter zerfressen waren und wir- belte leichten Staub vom Boden empor. Veras Zähne schlugen vor Frost und Auf- regung aufeinander. Am liebsten wäre sie doch umgekehrt. Ihr Unternehmen war eigentlich gar zu abenteuerlich. Was musste man von ihr denken, wenn man ihre Anwesenheit hier entdeckte, — besser war es, sie geng nicht weiter. Schon wollte sie den Fuß zurücklenken, als sie in einiger Entfernung einen Lichtstreif entdeckte. Sie war am Ziele. An der Wand gegenüber sah sie eine Eichenguirlande en haute relief geschnitzt. En matter Lichtschein drang durch dieselbe, er musste aus dem Neben- zimmer kommen. Vra bemühte sich aber ver gebens, hindurchzublicken, der Spalt war zu schmal. Wer hatte ihr denn erzählt, daſs die Stelle, durch welche man hineinsehen konnte, an der Rückwand leicht erkenntlich war. Während sie nach einer Lücke suchte, hörte sie plötzlich Stimmen. „Der Champagner ist gut Lehmann, wenn Dein Alter wüsste, daſs wir denselben austrinken.“ „Und sein Sohn sein Geld verspielt,“ tönte eine andre Stimme lachend dazwischen. „Bis jetzt habe ich es Euch noch immer abge- nommen,“ die Antwort klang etwas dampf, aber Vera konnte deutlich unterscheiden, daſs Alfred Lehmann sprach. „Dass Du aber jetzt durchgesetzt hast, daſs wir allein sind, und spielen und trinken können, soviel wir wollen, ohne daſs Deine Eltern uns ins Gebege kommen, das ist mir doch noch spanisch! „Besonders Deine Mutter, die Niemand einen Spasé gönnt! „Den Wein trinkt sie lieber selbst,“ lachte Alfred. Vera fühlte sich durch die Unterhaltung, deren Zeuge sie auf diese Art wurde, auf's Tiefſte ange- widert. Wlch liebenswürdiger, ergebener Sohn der junge Lehmann war und wie seine Kumpane seine Eltern hochstellten. „Es war auch zu eckelhaft, dass Du noch immer als dummer Junge behandelt wurdest und nichts thun und lassen konntest ohne sie; das hat Dir auch nur beim Militär geschadet, aber desto erstaunter war ich daſs, als Du uns heute vor- schlugst, eine Cigarre in Deinem Zimmer zu rauchen, die Alten nicht mitkamen.“ „Ich auch!“ „Ich auch!“ tönte es durcheinander. „Es war ja sehr liebenswürdig von Deinem Alten, uns bei sich eine Cigarre zu gestatten, aber doch sonderbar, daſs er nicht wie bei unserm ersten Hiersein, und wie es immer in Rheinbect der Fall war, mit in Deine Stube kam.“ „Und Deine Alte, die immer aufpasste, wie- viel man trank.“ „Soll ich Euch das Geheimnis verrathen? Ihr werdet staunen“ antwortete Alfced Lehmann. Bei diesen Worten hemmte Vera, welche schon das Zimmer unverrichteter Weise verlassen wollte, ihren Schritt; sie wollte sehen, ob die Ahnung, welche sich ihr bei den Gesprächen der jungen Leute aufgedrängt hatte, sich bewahrheitete. „Ich ertrug die ewige Bevormundung nicht mehr und so fasste ich die Eltern bei einer empfind- lichen Stelle. Seht Euch mal das Bild daan.“ „Famoses Weib! — Schöne Person,“ klang es dazwischen. „Das ist die Ahnfrau des Hauses Ellerstein; die Sage sagt, sie träte ab und zu aus dem Rahmen“ — meine Alten hatten natürlich eine Riesenangst, daſs das mal geschehen könne und wollten das Zimmer unbenutzt lassen Da bat ich es mir aus. Estens stößt es nur an mein Schlafzimmer, ist also vollständig ungestört, und dann hatte ich sofort einen Plan gefaſst, den ich langsam ausgeführt habe.“ „Du hast gesagt, es gienge um, — ausge- zeichnet, ausgezeichnet?“ Ein brüllendes Gelächter erklang, dazwischen Klirren der Gläser. „Prost, Alte, da oben, das hast Du gut ge- macht, daſs Du uns einen ungestörten lustigen Abend verschafftest.“ „Der Zufall kam mir zu Hilfe“, fuhr Alfred fort. „Meine Alten haben den Wahlspruch, „leben aber nicht leben lassen“, denn wenn ich mal mehr Geld verbrauche, als sie für gut halten, dann ist gleich der Teufel los. Ich kam also vor einigen Wochen etwas angeheitert nach Rakow und meine Alte sagte mir den nächsten Tag auf den Kopf zu, daſs ich einen Kater habe, — da sagte ich ihr, sie würde auch so aussehen, wenn sie das erlebt, was ich erlebt hätte, die Ahnfrau habe sich mir gezeigt! Das Gesicht von der Alten! — Am Nachmittage wuſsten es Alle, Jedem hatte sie es voller Entsetzen mitgetheilt. Nach drei Wochen erzählte ich es wieder, um es glaubwürdiger zu machen, und vor- gestern habe ich es wieder spuken lassen, um sicher zu sein, dass die Alten uns hier nicht überraschen.“ „über daſs sie Dich in dem Zimmer lassen“; warf eine Baſsstimme ein. „Das wollen sie auch nicht, ich fürchte, ich habe es etwas zu schlimm gemacht und prahle deshalb mit meinem Muth.“ „Den er nämlich nicht be sitzt.“ „Na, ob es Euch so gleichgiltig wäre, wenn das Bild plötzlich lebte“, „Ich würde die Schönheit an mein Herz drücken und ihr die Lust verleiden zu spuken.“ „Ich glaube, wir ergriffen Alle das Hasen- panier.“ Wieder erscholl Ge- „Vor einem Bilde?“ — lächter bis zu Vera, welche athemlos dem Gespräch lauschte.— 65. Fortsetzung.) Das Ahnenbild. Roman von Anna Maria Witte. [Nachdruck verboten.] (Fortsetzung folgt.)
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