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Nr. 47 Sonntag den 27. Feber 1898 XXII XXXVIII Jahrgang Karlsbader Abonnements-Preise: Für Karlsbad: Vierteljährig .... 2 fl. .. Halbjährg4fl. Wochenblatt. insHaus pro quartal 20 kr. Mit Gostversendung. Inland:“ Erscheint ganzjährig täglich mit Ausnahme nach Virteljahrig..3 fl. a6 h. Sonn- und Feiertagen. r12 h. Virtjarg..6 M. ...12„ .... 24 Ausland: Redaktion und Administration im Hauft „Bellevue“, Jtefanopromennde Telephon-Nr. 59. Inferate werden nur gegen Vorauszählung an- eenDreioderamal gespaltenen Betü- zeileGkr. Inferate, für den nächsten Tag bestimmt, werdenur dis 2Uhr Nachmiktagsin der miniſtratn und in er e„3Tämmer“,Marenegn Manuseripte werden nicht zurücktgegeden Herausgeber: Ernest Franieck. Inserate übernehmen die Annoncen-Bureaus Haasenstein & Vogler in Wien, Rudolf Mosse in Berlin und Wien und sämmtliche anderen Filialen dieser beiden Firmen. Zwischen Wien und Pest.“ [O-G.] Wien, 25. Feber. Die gleichzeitige Reise der Minister Gautsch und Goluchowski soll zwar nach den officiösen Noten lediglich den Zweck haben, mit der unga- rischen Regierung über die diesjährige Delegations- session Rücksprache zu nehmen; man wird aber nicht fehl gehen, wenn man etwas mehr dahinter sucht. Die Anwesenheit des Kaisers in Budapest gibt dazu genügend Anlass. Man weiß auf allen Hinter- treppen daſs Graf Goluchowski nicht nur persona gratissima beim Monarchen ist, man weiß auch, daſs der eigentliche Minister des Innern ebenfalls Herr Goluchowski ist und wenn er mit Herrn von Gautsch zum Kaiser fährt, so wird wohl die nächste Reichsrathssession nicht ganz unberührt dabei bleiben. Man hat ja, wenn man das auch nicht zuge- stehen will, große Hoffnungen in Bezug auf die neue Session. Man hofft einmal, die Session werde sich ruhiger anlassen als die frühere. Warum man das hofft, weiß man eigentlich nicht, aber man hofft es. Weiters hofft man, es werde zu einer ersprieß- lichen Arbeit kommen. Hiefür hat man einen Grund. Es ist nämlich auf dem parlamentarischen Boden eine neue Leuchte erstanden, der Salonan- tisemit Dr. Pattai, der nicht nur Auspicien auf einen Ministersessel haben will, sondern auch als Präsident — zweiter oder dritter natürlich — die Gemüther berühigen zu können glaubt. Ob Herr Wolf vor Herrn Pattai mehr Respect haben wird als vor Abrahamowicz, bleibe dahingestellt; auf keinen Fall werden die Deutschen über diesem „deutschen“ Präsidenten ihre Ansprüche vergessen. Wenn auch Dr. Pattei bei den Christlich-Socialen soviel Ansehen genießt, daſs ein Machtwort Dr. Luegers ihn auf den Präsidentenstuhl des Hauses hinaufbringt, den Deutschen wird er schwerlich im- ponieren, obzwar er sich seit langer Zeit das An- sehen eines „Zukunftsmannes“ gibt und mit Mä- ßigung seine staatsmännische Befähigung bekunden will. Was der Regierung hauptsächlich Hoffnungs- freudigkeit verleiht, ist das Verhältnis der beiden Führer der deutschnationalen Fraction, Schönerer und Wolf. Der Kampf zwischen Jro und Hofer, respective zwischen dem Einfluss Wolfs und dem Starrsinn Schönerers ist nicht unbemerkt geblieben und aus den ziemlich unverblümten Angriffen im Organe des Herrn Schönerer schöpft man die Hoffnung, dass sich die Kluft zwischen den beiden Führern erbreitern wird. Ob man sich darin nicht täuscht, muss abgewartet werden. Auf jeden Fall täuscht man sich über die Folgen eines solchen Zer- würfnisses, beziehungsweise über den Einfluss eines solchen auf die Haltung der deutschen Abgeordneten. Bei aller Anerkennung des Auftretens und Wirkens der beiden Abgeordneten muss doch bedacht werden, daſs ihr Einfluss auf die Abgeordneten der anderen Fractionen keineswegs ein unbedingter ist. Die Obstruction ließ nicht nach, als Schönerer und Wolf nicht im Hause waren; das ist wohl der beste Beweis dafür, daſs es bei den Obstructionsparteien keines Leithammels bedarf. Aber zudem dürften auch die Macher der Regierung fehl gehen, wenn sie an- nehmen, daſs Abg. Wolf über das kleine Schar- mützel mit Herrn Schönerer die große deutsche Sache außeracht lassen wird. Wenn also der augenblickliche Macher der inner- österreichischen Politik, Graf Goluchowski, mit be- sonderen Hoffnungen nach Budapest gereist ist, wird er wohl nach kurzer Zeit revocieren müssen. Es kann sein, daſs die Deutschen ebenso ruhig, wie das vorigemal in die neue Session eintreten, es kann aber nicht sein, daſs sie sich die Sprachenverord- nungen jetzt gefallen lassen. Wenn man glaubt, sie mit der Aussicht auf Versprechungen von dem schneidigen Verhalten in der letzten Session ab- bringen zu körnen, irrt man sich eben. Das wird Niemand zuwege bringen, auch Graf Thun nicht, der mit seinen Erfolgen von der Prager Statt- halterei her einen Einfluss auf die Deutschen zu haben glaubt. Die Deutschen mögen dem Grafen Thun ganz unbefangen gegenüber gestanden haben, so lange er Privatmann war; die Krönungsrede ist ihm deshalb nicht vergessen worden und wenn er als Ministerpräsident wiederkehren sollte, wird man ihm gegenüber doppelt vorsichtig sein. Dasselbe Verhalten wird gegenüber dem Baron Gautsch be- obachtet werden und Jedem gegenüber, der mit den Deutschen in Verhandlungen treten will. Sie sind der Ansicht — daſs, wenn der Kladderadatsch nun einmal kommen soll, er je eher desto besser kommmt und darum werden sie sich von „höheren Rücksichten“ nicht leiten lassen, denn Zurück gibt es nicht mehr, das steht bei allen Deutschen fest! Was nun? Die Geschworenen, der Gerichtshof, die Deputierten- kammer, die Presse der gesammten Welt haben das Ur- theil über Zola gefällt. Es kann sich danach Jeder leicht aussuchen, welches Urtheil dem seinigen am meisten conform ist. Man hat das Urtheil des Pariser Schwurgerichts dielfach hart angefochten. Uns scheint nicht ganz mit Von der Woche. Der Aschermittwoch drückte dieser Woche die Stimmung auf: die Signatur des Tages porträtierte sich in einem großen Katzenjammer und selbst die vielen Häringsschmäuse, doch sonst sehr probate Medicamente für diese Art Leiden, erwiesen sich diesmal nicht recht wirksam, denn der Jammer ist bei Vielen mehr psychischer, denn physischer Natur. Es war für unsere Karlsbader Welt ein fataler Zufall, daſs die Carnevalswoche in eine so innige Umarmung mit der Wahlwoche kam, man hatte dadurch, aufrichtig gesagt, wirklich große Schwierig- keit herauszufinden, auf wessen Conto so manche der vielen Narrheiten und Dummheiten zu buchen sei und manche ernste Wahlangelegenheit erhielt durch diesen Zufall einen possenhaften, carnevalisti- schen Austrich. Den Grundton zu diesem Anstrich gab die be- kannte Wählerversammlung im Kurhause. Sie ge- hört heute zwar schon zu den Todten und von Todten soll man nur Gutes reden, doch die weit- spürigen Nekrologe, welche dieser Versammlung von einigen Localblättern gewidmet werden, machen sie immer wieder lebendig und so kommt es, daſs mitten durch Kränzchen, Bälle, Redouten und Mummenschanz sich immer wieder, gleich einem drolligen Carnevalsscherz, diese Versammlung hin- durchzieht, deren letzter Redner, der bekannte „schöne“ Berthold, derselben so recht derb den Faschings- stempel aufprägte und die ganze Versammlung vom Conto der ernsten Wahlwoche auf das Conto aller Narretheien degradierte. Der Bürgermeister gab die seriöse Introduction — Bertholdchen aber das lächerliche Finale: ergo: lagen sich Wahlwoche und Faschingswoche in trauter Umarmung. Das Da- zwischenliegende besteht lediglich aus drei Substan- tiven: Nationalismus, Wahlmanöver und Antise- mitismus. Schon das Mätzchen, wie sich dieses Berthold- chen in diese Wählerversammlung hineinzubugsieren verstand, lieferte ein köstliches Pendant zu den be- kannten Manipulationen à là „Feigenbaum“ und ent- behrt nicht der Couleur eines gelungenen Fastnachts- scherzes. Dieser Adonis war rämlich nicht geladen, denn einmal ist er kein Wähler dieser Wahlkörper, das anderemal aber ignotiert man seine jouruali- stischen Tricks vollständig. Aber solche Sorte weiß sich zu helfen. Er verschaffte sich eine Vollmacht, das heißt er borgte sich dieselbe von einer Wählerin am Schlossberge aus, wobei er sein Wort gab, pünktlich am anderen Tage um 9 Uhr die Voll- macht wieder zu retournieren, unter der Conditio daſs er auf keinen Fall sprechen darf. Wie er sein Wort gehalten, weiß jeder Besucher dieser Ver- sammlung und dass er aber gesprochen, ist zum großen Theil die Ursache, daſs man sich zwischen Wahl und Carne—val nicht mehr zurechtfindet, denn es gibt keinen größeren Hohn als diesen Mann als Verfechter des Judenthums zu hören. Schön Bert- hold gabe diese Woche auch eine Faschingsbeilage heraus — dieselbe krankt jedoch an dem Mangel der Unvollständigkeit, denn es fehlt ihr eine der actuellsten Spottnummern der heurigen Wahl- periode: der glorreiche Abgang des letzten Redners in der Wählersammlung im Kur- hause und zwar gerade des Herausgebers dieser Faschingsnummer. Das war einmal ein Begräbnis allererster Classe, an dem sich trotz seiner schwung- vollen Tiraden über den Antisemitismus in Karlsbad Juden und Christen in unvereinbarter Einigkeit be- theiligten. Keine mitleidige Hand rührte sich, um diesem strammen Verfechter des Schlagwortes „Antisemitismus in Karlsbad“ eine Scholle Erde, d. h. eine Hand voll Beifall nachzusenden und der einzige, der dies gethan hätte, der Rabbi Bloch aus Wien, war leider nicht zugegen! Bitter, aber verdient! Requiescat in paco! Und mit ihm starb auch sein antisemitisches Phantom selbst — Geheimrath Dr. Jacques Mayer kam also gerade à tempo aus Berlin, um die Grabrede zu halten, sein Mene tekel upharsin aber war vollständig überflüssig, denn beruhigt mag er wieder „dorthin ziehen, von wannen er ver- schrieben,“ um allen seinen „Kurgastdamen“ die Kunde zu bringen: Meine Mission als Heil- kundiger war nicht nothwendig, das Leiden an dem
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