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Nr. 47
Sonntag den 27. Feber 1898
XXII XXXVIII Jahrgang
Karlsbader
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im Hauft „Bellevue“, Jtefanopromennde
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Herausgeber: Ernest Franieck.
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Zwischen Wien und Pest.“
[O-G.] Wien, 25. Feber.
Die gleichzeitige Reise der Minister Gautsch
und Goluchowski soll zwar nach den officiösen
Noten lediglich den Zweck haben, mit der unga-
rischen Regierung über die diesjährige Delegations-
session Rücksprache zu nehmen; man wird aber nicht
fehl gehen, wenn man etwas mehr dahinter sucht.
Die Anwesenheit des Kaisers in Budapest gibt dazu
genügend Anlass. Man weiß auf allen Hinter-
treppen daſs Graf Goluchowski nicht nur persona
gratissima beim Monarchen ist, man weiß auch,
daſs der eigentliche Minister des Innern ebenfalls
Herr Goluchowski ist und wenn er mit Herrn von
Gautsch zum Kaiser fährt, so wird wohl die nächste
Reichsrathssession nicht ganz unberührt dabei bleiben.
Man hat ja, wenn man das auch nicht zuge-
stehen will, große Hoffnungen in Bezug auf die
neue Session. Man hofft einmal, die Session werde
sich ruhiger anlassen als die frühere. Warum man
das hofft, weiß man eigentlich nicht, aber man hofft
es. Weiters hofft man, es werde zu einer ersprieß-
lichen Arbeit kommen. Hiefür hat man einen
Grund. Es ist nämlich auf dem parlamentarischen
Boden eine neue Leuchte erstanden, der Salonan-
tisemit Dr. Pattai, der nicht nur Auspicien auf
einen Ministersessel haben will, sondern auch als
Präsident — zweiter oder dritter natürlich — die
Gemüther berühigen zu können glaubt. Ob Herr
Wolf vor Herrn Pattai mehr Respect haben wird
als vor Abrahamowicz, bleibe dahingestellt; auf
keinen Fall werden die Deutschen über diesem
„deutschen“ Präsidenten ihre Ansprüche vergessen.
Wenn auch Dr. Pattei bei den Christlich-Socialen
soviel Ansehen genießt, daſs ein Machtwort Dr.
Luegers ihn auf den Präsidentenstuhl des Hauses
hinaufbringt, den Deutschen wird er schwerlich im-
ponieren, obzwar er sich seit langer Zeit das An-
sehen eines „Zukunftsmannes“ gibt und mit Mä-
ßigung seine staatsmännische Befähigung bekunden
will.
Was der Regierung hauptsächlich Hoffnungs-
freudigkeit verleiht, ist das Verhältnis der beiden
Führer der deutschnationalen Fraction, Schönerer
und Wolf. Der Kampf zwischen Jro und Hofer,
respective zwischen dem Einfluss Wolfs und dem
Starrsinn Schönerers ist nicht unbemerkt geblieben
und aus den ziemlich unverblümten Angriffen im
Organe des Herrn Schönerer schöpft man die
Hoffnung, dass sich die Kluft zwischen den beiden
Führern erbreitern wird. Ob man sich darin nicht
täuscht, muss abgewartet werden. Auf jeden Fall
täuscht man sich über die Folgen eines solchen Zer-
würfnisses, beziehungsweise über den Einfluss eines
solchen auf die Haltung der deutschen Abgeordneten.
Bei aller Anerkennung des Auftretens und Wirkens
der beiden Abgeordneten muss doch bedacht werden,
daſs ihr Einfluss auf die Abgeordneten der anderen
Fractionen keineswegs ein unbedingter ist. Die
Obstruction ließ nicht nach, als Schönerer und
Wolf nicht im Hause waren; das ist wohl der beste
Beweis dafür, daſs es bei den Obstructionsparteien
keines Leithammels bedarf. Aber zudem dürften auch
die Macher der Regierung fehl gehen, wenn sie an-
nehmen, daſs Abg. Wolf über das kleine Schar-
mützel mit Herrn Schönerer die große deutsche Sache
außeracht lassen wird.
Wenn also der augenblickliche Macher der inner-
österreichischen Politik, Graf Goluchowski, mit be-
sonderen Hoffnungen nach Budapest gereist ist, wird
er wohl nach kurzer Zeit revocieren müssen. Es
kann sein, daſs die Deutschen ebenso ruhig, wie das
vorigemal in die neue Session eintreten, es kann
aber nicht sein, daſs sie sich die Sprachenverord-
nungen jetzt gefallen lassen. Wenn man glaubt,
sie mit der Aussicht auf Versprechungen von dem
schneidigen Verhalten in der letzten Session ab-
bringen zu körnen, irrt man sich eben. Das wird
Niemand zuwege bringen, auch Graf Thun nicht,
der mit seinen Erfolgen von der Prager Statt-
halterei her einen Einfluss auf die Deutschen zu
haben glaubt. Die Deutschen mögen dem Grafen
Thun ganz unbefangen gegenüber gestanden haben,
so lange er Privatmann war; die Krönungsrede ist
ihm deshalb nicht vergessen worden und wenn er
als Ministerpräsident wiederkehren sollte, wird man
ihm gegenüber doppelt vorsichtig sein. Dasselbe
Verhalten wird gegenüber dem Baron Gautsch be-
obachtet werden und Jedem gegenüber, der mit
den Deutschen in Verhandlungen treten will. Sie
sind der Ansicht — daſs, wenn der Kladderadatsch
nun einmal kommen soll, er je eher desto besser
kommmt und darum werden sie sich von „höheren
Rücksichten“ nicht leiten lassen, denn Zurück gibt
es nicht mehr, das steht bei allen Deutschen fest!
Was nun?
Die Geschworenen, der Gerichtshof, die Deputierten-
kammer, die Presse der gesammten Welt haben das Ur-
theil über Zola gefällt. Es kann sich danach Jeder leicht
aussuchen, welches Urtheil dem seinigen am meisten
conform ist.
Man hat das Urtheil des Pariser Schwurgerichts
dielfach hart angefochten. Uns scheint nicht ganz mit
Von der Woche.
Der Aschermittwoch drückte dieser Woche die
Stimmung auf: die Signatur des Tages porträtierte
sich in einem großen Katzenjammer und selbst die
vielen Häringsschmäuse, doch sonst sehr probate
Medicamente für diese Art Leiden, erwiesen sich
diesmal nicht recht wirksam, denn der Jammer ist
bei Vielen mehr psychischer, denn physischer Natur.
Es war für unsere Karlsbader Welt ein fataler
Zufall, daſs die Carnevalswoche in eine so innige
Umarmung mit der Wahlwoche kam, man hatte
dadurch, aufrichtig gesagt, wirklich große Schwierig-
keit herauszufinden, auf wessen Conto so manche
der vielen Narrheiten und Dummheiten zu buchen
sei und manche ernste Wahlangelegenheit erhielt
durch diesen Zufall einen possenhaften, carnevalisti-
schen Austrich.
Den Grundton zu diesem Anstrich gab die be-
kannte Wählerversammlung im Kurhause. Sie ge-
hört heute zwar schon zu den Todten und von
Todten soll man nur Gutes reden, doch die weit-
spürigen Nekrologe, welche dieser Versammlung von
einigen Localblättern gewidmet werden, machen sie
immer wieder lebendig und so kommt es, daſs
mitten durch Kränzchen, Bälle, Redouten und
Mummenschanz sich immer wieder, gleich einem
drolligen Carnevalsscherz, diese Versammlung hin-
durchzieht, deren letzter Redner, der bekannte „schöne“
Berthold, derselben so recht derb den Faschings-
stempel aufprägte und die ganze Versammlung vom
Conto der ernsten Wahlwoche auf das Conto aller
Narretheien degradierte. Der Bürgermeister gab
die seriöse Introduction — Bertholdchen aber das
lächerliche Finale: ergo: lagen sich Wahlwoche und
Faschingswoche in trauter Umarmung. Das Da-
zwischenliegende besteht lediglich aus drei Substan-
tiven: Nationalismus, Wahlmanöver und Antise-
mitismus.
Schon das Mätzchen, wie sich dieses Berthold-
chen in diese Wählerversammlung hineinzubugsieren
verstand, lieferte ein köstliches Pendant zu den be-
kannten Manipulationen à là „Feigenbaum“ und ent-
behrt nicht der Couleur eines gelungenen Fastnachts-
scherzes. Dieser Adonis war rämlich nicht geladen,
denn einmal ist er kein Wähler dieser Wahlkörper,
das anderemal aber ignotiert man seine jouruali-
stischen Tricks vollständig. Aber solche Sorte weiß
sich zu helfen. Er verschaffte sich eine Vollmacht,
das heißt er borgte sich dieselbe von einer Wählerin
am Schlossberge aus, wobei er sein Wort gab,
pünktlich am anderen Tage um 9 Uhr die Voll-
macht wieder zu retournieren, unter der Conditio
daſs er auf keinen Fall sprechen darf. Wie er sein
Wort gehalten, weiß jeder Besucher dieser Ver-
sammlung und dass er aber gesprochen, ist zum
großen Theil die Ursache, daſs man sich zwischen
Wahl und Carne—val nicht mehr zurechtfindet, denn
es gibt keinen größeren Hohn als diesen Mann als
Verfechter des Judenthums zu hören. Schön Bert-
hold gabe diese Woche auch eine Faschingsbeilage
heraus — dieselbe krankt jedoch an dem Mangel
der Unvollständigkeit, denn es fehlt ihr eine der
actuellsten Spottnummern der heurigen Wahl-
periode: der glorreiche Abgang des letzten
Redners in der Wählersammlung im Kur-
hause und zwar gerade des Herausgebers dieser
Faschingsnummer. Das war einmal ein Begräbnis
allererster Classe, an dem sich trotz seiner schwung-
vollen Tiraden über den Antisemitismus in Karlsbad
Juden und Christen in unvereinbarter Einigkeit be-
theiligten. Keine mitleidige Hand rührte sich, um
diesem strammen Verfechter des Schlagwortes
„Antisemitismus in Karlsbad“ eine Scholle Erde,
d. h. eine Hand voll Beifall nachzusenden und der
einzige, der dies gethan hätte, der Rabbi Bloch
aus Wien, war leider nicht zugegen! Bitter,
aber verdient! Requiescat in paco!
Und mit ihm starb auch sein antisemitisches
Phantom selbst — Geheimrath Dr. Jacques
Mayer kam also gerade à tempo aus Berlin, um
die Grabrede zu halten, sein Mene tekel upharsin
aber war vollständig überflüssig, denn beruhigt mag
er wieder „dorthin ziehen, von wannen er ver-
schrieben,“ um allen seinen „Kurgastdamen“ die
Kunde zu bringen: Meine Mission als Heil-
kundiger war nicht nothwendig, das Leiden an dem
Název souboru:
karlsbader-badeblatt-1898-02-27-n47_2055.jp2