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3. December 1897
Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 277
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der Brutalitäten entstanden sind, welche an den
Tschechen in deutschen Städten verübt wurden und
wenn die Garantie geboten wird, daſs den Tschechen
in deutschen Gebieten die volle persönliche nationale
und politische Freiheit gewahrt ist.
Bei den Demolierungen israelitischer Geschäfte
in Weinberge wurde die Ware auf der Gasse ver-
streut, auf den Bäumen und Candelabern aufgehängt.
Auf dem Altstädter Ringe bemächtigte sich die
Menge kurz nach der Plünderung des Café „Prinz“
und die Verbrennung des Mobilars eines großen
Streifwagens, auf welchm die Firma Kunerle
Gußhürler Sauerbrunn geladen hatte, vertheilte
die Flaschen und bombardierte damit die Fenster.
— In der langen Gasse gibt es wenige ganze
Fenster, die ausgeplünderten Läden bieten einen
trostlosen Anblick.
Ueber zwei Opfer des Aufruhrs melden die
L“Franz Vosniöka aus Wyschehrad wurde
auf dem Heimweg von einem Militärcordon gestellt.
Auf das Ersuchen, ihn durchzulassen, habe ihm der
Officier mit dem Säbel einen so wuchtigen Schlag
auf den Kopf versetzt, daſs er zusammenbrach,
worauf er von den Soldaten mit den Gewehren
miſshandelt worden sei. Der Verwundete wurde
auf die Rettungsstation und sodann ins Kranken-
haus gebracht, wo er starb. Bei der Sprengung
einer Ansammlung in Weinberge sei der Taglöhner
Ant. Merz zwischen die Dragoner und die Infan-
terie gerathen. Ein Infanterist habe ihn durch
einen Kolbenschlag zu Boden gestreckt, ein zweiter
ihm einen Bajonnetstich in den Unterleib versetzt.
Die Demolirung der Ziskover Schule war
den „N. L.“ zufolge das Werk von nicht ganz einer
Viertelstunde. Die Thüren in den Schulsälen sind
aufgebrochen, Bänke, Tafeln, Kästen und andere
Lehrbehelfe auf Splitter zertrümmert und durch die
Fenster, von welchen auch die Holzrahmen heraus
gerissen wurden, flogen bald die Stücke der Fuß-
bodenbretter. Die Polizei fordert die Menge zum
Auseinandergehen. Die Aufforderung bleibt unbe-
achtet und wird mit Hohnrufen erwidert.
Auf Commando des Commissärs ziehen sämmt-
liche 25 Polizisten die Revolver und geben nach-
einander drei Schüsse ab. In dem entstandenen
Wirrwar, hebt eine Frau ein Kind empor und
schreit: „Unglückliches Kind, schützet das unglück-
liche Kind, es ist in die Brust geschossen!“ That-
sächlich wurde ins Rathaus ein Kind mit einer
Schufswunde gebracht. Der Commissär gab der
Wache neuerlich das Commando zum schieß n, in
dem Momente intervenitte der Bürgermeister Blah:
und ein Stadtrath und der Commissär lies das
Feuer einstellen. Stadtrath Kotland benützte einen
Rihemoment, die Menge darauf aufmerksam zu
machen, daſs die Schule Gemeindeeigenthum ist.
Durch die Revolverschüsse wurden zwei Personen
schwer verwundet. Die Polizei wollte den einen
auf das Commissariat bringen, weil er einer der
Hauvtprovocateure sei, die Menge stürzte sich auf
die Polizisten, die schließlich der Uebermacht wichen.
Aus Kladno wird der „N L.“ telephoniert,
daſs beim Hause des deutschen Notars Poche eine
Dynamitpatrone oder Bombe gelegt, welche explo-
dierte, ohne bedeutenden Schaden anzurichten.
Die Rettungsstation leistete 32 Verwundeten
erste Hilfe, darunter einem Schuhmachergehilfen,
dem bei der Salve der Infanterie in Zizkov in
beide Schenkel geschossen worden ist.
Das „Prager Abendblatt“ meldet: In der
Kundmachung des Bürgermeisters Podlypnis ist ge-
sagt, dass Se. Excellenz der Statthalter sich dahin
ausgesprochen hätte, daſs derselbe die Aufregung
des Stadtrathes über die Vorgänge in Saaz
begreife. Selbstverständlich hat Se. Excellenz nicht
unterlassen den Beisatz zu machen, daſs in diesen
und ähnlichen Ereignissen eine Rechtfertigung irgend
welcher Art der hiesigen Excesse niemals gelegen
sein kann und daſs mit vollster Strenge die Her-
stellung der Ordnung und Schutz des bedrohten
deutschen Besitzes erfolgen werde.
Die Plünderungen in Weinberge haben bereits
wieder begonnen
In Weinberge und auf der oberen Neustadt
werden von den Geschäftsleuten alle deutschen Auf-
schriften übertüncht oder mit Papier überklebt.
Die Straßen, in welchen gestern geplündert
wurde, sehen aus wie nach einer Belagerung. Die
Lage schien sich früh noch bedrohlicher zu gestalten.
„N.
Während der ganzen Nacht bis zum frühen Morgen
wurde in verschiedenen Theilen der Stadt, insbesondere
aber in den Vororten geraubt und geplündert. In
der Altstadt drangen die Aufständischen in die
Wohnungen mehrerer Juden auch in höheren Stock-
werken und vernichteten die Einrichtung. Das
Militär, welches um 6 Uhr früh in die Kasernen
abrückte, wurde rasch wieder in die Stadt comman-
dirt. Bei dem Zusammenstoße in Zizkow wurden
gestern abendss 8 Soldaten durch Steinwürfe ver-
wundet, ein Civilist durch einen Schufs in die Hand
verwundet, 27 Personen wurden verhaftet, 2 Schulen,
9 Läden und 2 Fabriken wurden bombardirt, die
Schulen und die meisten Läden ausgeraubt und
demolirt. In Smichow wurden Fenster zertrümmert,
in der Porzellanniederlage Krowski und Trinks,
im deutschen Spar- und Creditverein und insbesondere
in der Canditenfabrik der Firma Kluge & Co. Die
auf die Straße geworfenen Trümmer des demolir-
ten Ladens auf dem Tylplatze begannen um 1 Uhr
nachts zu brennen und kaum war die Feuerwehr
vom Löschen dieses Brandes zurückgekehrt, wurden
sie zu einem neuerlichen Brande gerufen, der in
einem Laden in der Palackygasse ausgebrochen war.
In Prag wurden gestern 151 Personen ver-
haftet, darunter 16 wegen Steinwürfen, 21 wegen
Steinigung der Wache, 19 wegen demonstrativen
Verhaltens, 13 wegen Wachebeleidigung, 12 wegen
Nichtfolgeleistung zum Auseinandergehen, Diebstahl,
öffentlicher Gewalt ꝛc.
Vormittag war bereits die gesammte Garnison
wieder aufgeboten. Außerdem kamen Infanterie-
Regimenter aus Theresienstadt und Josefstadt an.
Einen grässlichen Anblick boten die Weinberge.
Auf den Straßen liegen Unmassen von Papier,
Stroh, Getreide, Steine, Bettfedern und Trümmer
der zerschlagenen Einrichtungsstücke. Eine Schnaps-
schänke ist vollständig verwistet. Das Feuer welches
heute Nacht den Laden des Kaufmanns Fried zer-
störte, soll nach der Nar. dadurch entstanden sein,
daſs auf der Gasse mit Petroleum und Branntwein
begossenes Stroh angezündet wurde, wovon die
Flammen in den Laden schlugen, dessen Thüren
schon abends zertrümmert worden waren. In dem-
selben Hause sind die Localitäten der Weinberger
Schulvereinsschule, dessen Fenster schon vorher bis
zum dritten Stock zertrümmert worden waren.
Aus einem dieser Fenster weht heute eine
weißrothe Fahne. Um 8 Uhr früh begann
in Weinberge neuerlich die Devastation jüdischer Läden,
aus welchen die Waren herausgeschleppt werden.
Wache war nicht am Platze. Nach 9 Uhr sprengte
berittene Wache herbei, welche sich jedoch zu schwach
erwies, den Demolierungen Einhalt zu thun. Nach
10 Uhr rückte Militär an, welches energisch ein-
schritt. Vor einem Laden in der Havlicekgasse wurde
ein Haufen Schachteln, Geschäftsbücher und Rech-
nungen in Brand gesteckt, den die Wache löschte.
Das Frühblatt der „Nar. Listy“ wurde con-
fisciert.
Ueber die vormittägigen Plünderungen wird
berichtet: Nach 1/29 Uhr vormittags rotteten sich
auf dem Tylplatze in Weinberge eine große Menge
zusammen, vertheilte sich in die umliegenden Strassen
und begann sämmtliche deutsche und jüdische Läden
mit Steinen zu vombardiren und zu plündern. Die
Polizei vermochte die Aufständischen nicht zu zer-
streuen. Bevor das Militär anrückte, kam es auf
dem Puckhelplatz zu einem heftigen Zusammenstoß
zwischen den Massen und der berittenen Polizei.
Die Polizisten wurden gesteinigt, gaben Revolver-
schüsse ab, wobei einige Personen verwundet wurden.
Danu wurden die Läden in der Richtung gegen den
Tylplatz geplündert.
Um dieselbe Zeit erreignete sich im Hause 31
in der Liemtegasse eine aufregende Scene. Eben
zog eine große Menschenmasse vorüber als behauptet
wurde, es sei aus diesem Hause ein großes Eisenstück
herabgeworfen, die Menge stürzte in das Haus und
in die Wohnung des jüdischen Kaufmannes Ohnes,
aus welcher nach Behauptung der Menge der Wurf
geschehen sein soll. Ohnes weilte mit Weib und
3 Kindern in der Wohnung. Er betheuerte, daſs
aus seiner Wohnung nichts geworfen wurde, und
die Menge ließ wohl von der Demolirung ab,
plünderte dagegen den in derselben Gasse gelegeneu Laden
des Ohnes, dem über Bitte polizeilicher Schutz ge-
währt wurde. Alle Kaufleute in der Brenntegasse
nahmen die deutschen Tafeln ab. Dr. Cernohorsky
wirkte auf die Menge ein, daſs sie die Plünderungen
einstellte.
In Smichow wiederholten sich nachmittags die
Plünderungen der Deutschen und Juden gehörigen
Läden. Um 1 Uhr zog die Bande in die bereits
gestern hart mitgenommene Fabrik von Kluge, welche
fürchterlich verwüstet wurde, dann die jüdische Syna-
goge, in welcher, nachdem alle Fenster mit Steinen
eingeworfen, im Innern total demolirt wurde. Eben
schickte sich die Menge an gegen das Etablissement
von Alex. Richter vorzudringen, als Militär ein-
rückte und die Massen zersprengte. Smichow ist
von Militär besetzt und seither ist Ruhe.
Dr. Schlesinger, Dr. Kiemann und Lippert
sind nach Wien gereist, um beim Ministerpräsidenten
Gautsch gegen die hiesigen maßgebenden politischen
Persönlichkeiten Beschwerde zu führen.
Die Vertrauensmänner der Deutschen in Böh-
men haben an den Statthalter ein Schreiben ge-
richtet, worin sie energisch gegen das Verhalten des
Statthalters protestieren.
Telegramme.
Wien, 2. Dez. Die „Wiener Ztg.“ publizirt
eine Verordnung, wodurch die Benützung der Post-
sparkassa zur Steuer- und Gebürenzahlung auf
alle österreichischen Steuerämter ausgedehnt wird.
Kaiserslautern, 2. Dec. Bei der Explosion
in der Grube Frankenholz wurden der „Pfälzischen
Presse“ zufolge dreißig Mann getödtet und vierzig
verwundet.
London, 2. Dec. „Reuer's Office“ erfährt,
daſs die Meldung der Blätter, England stehe mit
China wegen der Erwerbung eines Landstriches bei
Hongkoag in Unterhandlung, jeder Begründung
e tbehre.
London, 3. Dec. Die „Times“ melden aus
Montevideo: En ehemaliger Polizist versuchte gestern
nachmittags den Präsidenten Collsta zu erstechen,
wurde jedoch daran verhindert. In der Stadt ist
Alles ruhig.
Paris, 2. Dec. Dem „Echo de Paris“ zufolge
wird G neral Pellieux heute vormittags dem Gou-
verneur von Paris, General Saussier, den Bericht
über die von ihm in der Affaire Dreyfus geführte
Untersuchung überreichen. Die Schluſsforgerung
des Berichtes gehe dahin, daſs eine Revision des
Processes Dreyfus nicht stattzufinden habe und das
Verfahren gegen Wilsin-Esterhazy in diesem Punkte
einzustellen sei. Die Journale „Figaro“ und
„Aurore“ protestiren in scharfer Weise gegen die
Art der vom General Pellieux geführten Enquete,
der weder das die Grundlage der Untersuchung
bildende Borderau, noch irgend welche Acten des
Pocesses Dreyfus in Händen gehibt habe. Wie
„Figaro“ meldet, warte Senator Schanrar-Kaztner
nur das Ende der Untersuchung ab, um diesbe-
züglich im Senate zu int rpelliren.
Petersburg, 2. Dez. Die Russische Tele-
grafen Agentur meldet: Infolge eines vom Minister
des Janern erstatteten Berichtes ertheilte der Kaiser
die Ermächtigung zur Veranstaltung einer allge-
meinen Subscription in ganz Rußland zugunsten
der gesammten norbleidenden Bevölkerung auf der
Insel Kreta ohne Unterschied der Nationalität.
Angekommene Kurgäste.
Herr Rudolf Lang, Steinmetzmeister aus Brünnlitz
[Hotel Erzherzog Karl.)
Herr Nicolas von Raschewsky, Proprietäre
[Hotel Glattauer.]
Herr Kasimir von Wiktor, Gutsbesitzer mitG
[Marktbrunn.
aus Zarbyn
Herr Albert Polto aus Breslau
(Erzherzog von Oesterrreich.]
„Schule und Haus“. Inhalt der Nr. 11: Das
Frühaufstehen kleiner Kinder. Von Karl Kumpert. —
Wie die Alten sungen... Von Alb. Malden — Ueber
Kinderpsychose . Von Anton Vrbka. — Aus der Kinder-
welt: Kinderworte. — Gesetzliche Bestimmungen: Reli-
gionswechsel der Kinder. — Beurtheilungen: Kundschafter-
leben im siebenjährigen Kriege. Von Franz Czekansky.
Unter Radetzkys Fahnen. Von Franz Czekansty. —
Der Freimüthige. Von Eduard Breier. — Da Franzel
in da' Fremd. Von Koloman Kaiser. — Sprechhalle:
Mittheilungen und Auskünfte. — Allerlei Wissenswertes.
Erzählungen: Das Eine. Von A. Bogner. — Den
Großen für die Kleinen: Häslein im Klee. Von W.
Flachsmann. — Das Füchslein. Von Hoffmann v. F.
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