Text na stránkách 2

Text: 
Seite 2 Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 139 19. Juni 1896 Nochmals die Dienstespragmatik. Seit länger als zwanzig Jahren wird seitens der Beamtenschaft die allgemein als billig und ge- recht anerkannte Forderung nach endlicher Regelung ihrer Rechtsverhältnisse erhoben. Die erste Auf- forderung an die Regierung, sie möge eine Dienstes- pragmatik erlassen, stammt, wie erinnerlich, aus dem Jahre 1873 und im folgenden Jahre wurde über Anregung des Dr. Promber ein eigener Ausschuss niedergesetzt, der sich mit der Angelegenheit fort- laufend beschäftigte. Allein irgend ein greifbares Resultat kam trotz aller Urgenzen, trotz aller Be- mühungen der Abgeordneten Promber und Schar- schmid, die mit Eiser und Fleiß sich dieser Sache gewidmet hatten, nicht zustande, freilich in aller- erster Linie infolge des Widerstandes des Mini- steriums. Umso freudiger war die Beamtenschaft überrascht, als endlich vor Kurzem Graf Badeni ein Gesetz auf den Tisch des Hauses niederlegte, von welchem allgemein angenommen wurde, daſs es die in tausenden und abertausenden Petitionen erbetene Dienstespragmatik darstelle. Leider dauerte die Freude nicht allzulange. Schon bei oberfläch- licher Durchsicht des Regierungselaborates erkannte man, daſs dieses wohl harte Disciplinarvorschriften enthalte, der eigentlichen Wünsche der Beamten- schaft nach Regelung ihrer Rechtsverhältnisse eigent- lich nicht Rechnung trage. Auf die Freude des ersten Augenblickes folgte eine nachhaltige Ent- täuschung. Heute steht es trotz der letzten Rede des Grafen Badeni außer Zweifel, daſs die Dis- ciplinarvorlage allein und in der ihr von der Regierung gegebenen Fassung kaum Gesetzeskraft erlangen wird. Mehr als ein rein academischer Wert kommt dieser Vorlage nicht zu. Sie wird wertvolles Material für die legislative Behandlung einer wahren Dienstespragmatik bilden, die nicht allein Disciplinarvorschriften enthält, sondern auch genaue Normen über die rechtliche Stellung der Beamten, wie dies der Abgeordnete Baron Schar- schmid in vortrefflicher Weise dargelegt hat. Die Schaffung einer solchen Dienstpragmatik wird eine der ersten und vornehmsten Aufgaben des künftigen Abgeordnetenhauses sein. Die Frage steht nun einmal auf der Tagesordnung und sie wird nicht mehr verschwinden, bis sie ihre gerechte Lösung gefunden haben wird. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind unhaltbar. Die Bevorzugung des Adels, das leidige Protectionswesen müssen ein Ende haben, soll nicht der Staat und der Verwaltungs- dienst dauernd Schaden leiden. Mit der veralteten Anschauung, daſs nur der Aristokrat den Staat in höheren Aemtern würdig repräsentieren könne, muss gründlich aufgeräumt werden. Bei Besetzungen darf nur die Befähigung, die Verwendbarkeit, die Ehrenhaftigkeit maßgebend sein, aber nicht der Stammbaum oder die Einflüsse von hochstehenden Vettern oder Basen. Von berufener Seite werden als Grundlagen einer Dienstpragmatik vorgeschlagen: 1. Feste Normen über die zeitliche und bleibende Anstellung; 2. Darlegung des Pflichtenkreises; 3. Behandlung der Pflichtverletzungen (Disciplinar- vorschriften); 4. Die während der Dienstleistung den Beamten zukommenden Rechte; 5. Normen über Beförderung, Vorrückung und Versetzung auf andere Posten oder in den zeitlichen Ruhestand; 6. Normen über die Aufhebung des Dienstverbandes, daneben der Vorbehalt und die Zusicherung beson- derer aus dem Wesen der Dienstleistung sich er- gebende Pflichten und Rechte durch besondere Dienstesinstructionen zu regeln. Die Beseitigung der geheimen Qualificationstabellen, die Ausschreibung erledigter Stellen, der allgemeine Grundsatz, daſs bei der Beförderung die größere Befähigung und bessere Verwendung den Vorrang verleiht, daſs bei gleicher Voraussetzung dieser Eigenschaften das Dienstalter maßgebend sei, das sind Forderungen, die in der auszuarbeitenden Dienstpragmatik Auf- nahme finden müssen. Graf Badeni hat sich zwar über die Erlassung eines die Rechte der Beamten schützenden Gesetzes zemlich reserviert ausgesprochen; allein es liegen Anzeichen und Anhaltspunkte vor, wornach er feine ursprünglichen Anschauungen in dieser Frage einiger- maßen modificiert hat. Es wäre ernstlich zu wünschen, daſs eine Dienstpragmatik in dem von uns angedeuteten Sinne recht bald zustande käme. socal-Nachrichten. (Hoher Besuch) Herzogin Max von Württemberg trifft heute nachmittags zum Besuche der zur Kur hier weilenden Fürstin-Mutter zu Schaumburg-Lippe hier ein und wird im Haufe „Zwei Deutsche Monarchen“ absteigen. Die hohe Frau wird acht Tage in Karlsbad verweilen. (Personalien.) Herr Dr. Heinrich Ritter von Halban, k. k. Hofrath und Kanzleidirector des Abgeordnetenhauses, sowie der berühmte Violin- virtuofe Herr Franz Ondricek, k. k. Kammer- virtuose sind aus Wien zum Kurgebrauche hier eingetroffen. (Symphonie-Concert der Kur- kapelle.) Heute nachmittags findet im Casé Posthof ein Symphonie-Concert der Karkapelle statt, worauf wir Freunde classischer Musik besonders aufmerksam machen. Das Programm ist im Ver- gnügungsanzeiger unseres Blattes enthalten. (Militärkurhaus vom Weißen Kreuze.) Der Benützungsconsens für das im Westend erbaute Miluärkurhaus vom Weißen Kreuze ist bereits erflossen und wurde gestern das neue stattliche Haus von der Verwaltung bezogen. Die eigentliche Eröffnung erfolgt jedoch erst am 12. Juli und am 13. Jali nimmt die erste Kur- periode ihren Anfang. (Bezirksvertretung Karlsbad). Donners- tag den 25. Juni Vormittags 10 Uhr findet im Sitzungssaale des städt. Neubades zu Karlsbad eine Sitzung der Bezirksvertretung Karlsbads statt, der folgendes Progamm zu Grunde liegt: Mittheilungen des Bezirksausschusses. Ansuchen der Stadtgemeinde Karlsbad und der Firma A. C. Anger in Aich um Abschreibung der Straßenconservationsbeiträge. Ent- scheidung des hohen Landesausschusses des König- reiches Böhmen betreffend den Amtssitz des Districts- arztes für den Sanitätsdistrict mit Vorstellungen der Gemeinden Rodisfort, Schömitz, Zwetbau, Ran- zengrün, Hartmannsgrün, Unterlomit. Oberlomitz, Eichenhof, Altdorf, Mühldorf und Satteles, Ein- gabe der Gemeinde Welchau und Ansuchen des Districtsarztes um definitive Anstellung. Gemeinden Lichtenstadt und Altrohlau um Erwirkung der hoch- ortigen Bewilligung zur Einhebung der Getränke- umlage auf die weitere Dauer von 6 Jahren. Stadt- gemeinde Karlsbad um Genehmigung zur außer- licitatorischen Verpachtung des Fischereirechtes im Eger- und Teplflusse, dann zur außerlicitatorischen Verpachtung der städt. Schwimmschule. Pläne und Kostenvoranschlag über die project. Bezirksstraße von Donawitz gegen Schneidmühl zum Anschlusse an die Bezirksstraße Schneidmühl-Gabhorn. Ansuchen der Karlsbader Caolin-Industrie=Gesellschaft um Unterstützung des Bahnprojectes Karlsbad-Lichten- stadt-Merkelsgrün durch Zeichnung eines Betrages in Stammactien. — Petition der Stadtgemeinde Engelhaus um Ermöglichung der Einbeziehung der Stadt Engelhaus in das Straßennetz. Brauindustrie- Verein für Böhmen um Unterstützung einer Petition an das Abgeordnetenhaus des Reichsrathes gegen die Erhöhung der Biersteuer. Gemeinde Aich um Erwirkung der hochortigen Bewilligung zur Er- höhung der Fleischbeschau- und zur Einhebung von Grabstellengebüren. Vorlage der Bezirksſonds- rechnung für das Verwaltungsjahr 1895. Stadtge- meinde Karlsbad um Genehmigung der Erklärung zur grundbücherlichen Ordnungsherstellung bezüglich des Kaiserbades und der Regulierung der Kreuzgasse. Stadtrath Elbogen um Erwägung einer Straßen- verbindung von Aich längs des Egerflusses über Hans Heiling nach Elbogen. Ansuchen um Ge- nehmigung vonGrundtransactionen der Gemeinden Schlackenwerth, Unterlomitz, Donitz, Altrohlau. Zwet- bau und Karlsbad. Erlass des hoben Candesaus- schusses des Königreiches Böhmen wegen Begut- achtung des Ansuchens um Erhebung der Gemeinde Altrohlau zum Markte. Ansuchen des österr.-ung. Hilfsvereines in Hamburg um Gewährung eines Jahresbeitrages. (Zum staatsanwaltschaftlichen Functionärstellvertreter) beim hiesigen k. k. Bezirksgerichte wurde Herr Josef Tanzer, k. k. Grundbuchsführer im Ruhestande, ernannt. Fenilleton. Berliner Plauderei. (Original-Beitrag.) Nun haben die National- und Tugendbolde, die aber merkwürdig oft wegen gröblichster Un- tugenden die Bekanntschaft mit den Gerichten, Ge- fängnissen und Zuchthäusern machen müssen, die Herren Antisemiten, die Affaire, von welcher ich in meinem letzten Briefe plauderte, richtig in Gestalt einer Interpellation an den Reichstag gebracht. Die Tugendbolde wollen den eigentlich nicht sowohl christlichen als — semitischen Standpunkt wahren, daſs der Schuldige bestraft werde, und nicht daſs er glimpflich behandelt, daſs ihm verziehen werde. Ich will nichts gegen den semitischen starrrechtlichen Standpunkt sagen; er muss mitunter im öffentlichen Leben eingenommen, es muss mitunter ein Exempel statuirt werden. Daſs es aber just die Antisemiten sind, die darauf dringen, das gehört zu den Leistun- gen feiner Ironie, die manchmal der Lauf der Dinge zustande bringt. Dass der Schuldige gar ein Ausländer ist, das ist für die Teutonen ein be- besonderer Grund, ihn zu züchtigen. Wäre Herr Barkford, was er zu seinem und des Volkes Israel Glück nicht ist — ein Jude, dann müsste er min- destens verbrannt, ganz Israel aber sofort nach Palästina oder nach dem Nordpol, selbstverständlich unter Zurücklassung aller Wertsachen befördert werden. — Herr Barkford hatte Unrecht, sich gegenüber einem Beamten im Dienste zu Beschimpfungen und gar thätlichen Beleidigungen hinreißen zu lassen. Käme die Sache zur Cognition des Gerichts, dann würde es ihm sicher übel ergehen, denn das Ge- richt urtheilt nach dem Gesetz und kann höchstens auf das Mindestmaß erkennen. Exceptionelle Fälle kennt das Gesetz, kennt der Richter nicht. Es han- delt sich um einen cxceptionellen Fall aber, u. zw. um einen, den weniger die betreffenden Personen als die Einrichtungen verschulden. Es ist seit einer Woche kaum ein Tag vorübergegangen, an dem ich nicht von Telegraphenbeamten über den Fall inter- pelliert worden wäre. Es dürfte auch Wenige geben, die so in dieser Frage ein Urtheil abzugeben competent sind, weil ich seit Jahrzehnten täglich mit Telegraphenbeamten wiederholt zu thun habe. Der eine Fehler ist, daſs das Beamtenpersonal allzuhäufig wechselt, der andere, daſs die an sich richtigen Instructionen betreffs des Zählens, Be- förderns, Bezahlens ꝛc. auch mechanisch Herren gegenüber angewandt werden, von denen doch selbst noch so wenig geistig begabte Beamten nach einer Ueberlegung von ein, zwei Sekunden sich sagen müssen, daſs die Instructionen hier nicht stichhaltig sind. Ich habe in all den Jahren noch nicht ein- mal Krakehl mit älteren Beamten gehabt. Ich habe noch jedesmal jedem neuen und namentlich jungen Beamten gedroht, daſs, wenn er lange nachzählen wolle, ich ihn hinnen drei Tagen — ver- rückt machen und daſs außerdem der Schalter von sich anstauendem Publikum gestürmt werden würde. Noch nie habe ich mein Mittel drei Tage anzu- wenden gebraucht. Die jüngsten Beamten waren am zweiten Tage vernünftig genug, einzusehen, daſs sie im eigenen, im Interesse der Postverwaltung und im Interesse des Publikums handeln, wenn sie Chablone, Instruction und Beamtenwürde auf einige Minuten bei Seite lassen, weil Zeitungs- berichterstatter und Zeitungstelegramme anders sind und anders behandelt werden müssen, als die ge- wöhnlichen Telegramme und das telegraphierende große Publikum. Wir sind allzumal Sünder. Ich weiß, dass ich öfter hätte gerichtlich verurtheilt werden müssen, wenn meine Rencontres mit den Herren Telegraphen- beamten zur Cognition des Gerichtes gekommen wären. Ich weiß auch, daſs die einsichtigeren vor- gesetzten Behörden in rechter Würdigung der Um- stände, sogar ohne jedes Hinzuthun meinerseits, die Streitfälle beigelegt und die übereifrigen, auto- matischen, in ihrer Würde gekränkten Herrchen ohne jede Kur beruhigt haben. Dass Staatssecretär Stephan in Person eingeschritten ist zu Gunsten eines Ausländers, macht die Sache nicht interpel- lationsreifer. Aber die Nationalbolde wollen zeigen, daſs sie die deutsche Würde, die Ehre des deutschen Beamten einem Engländer gegenüber wahrzunehmen wissen, mehr als selbst Excellenz Stephan, die Tugendbolde, daſs sie daraufsehen, daſs das Unrecht — Anderer gesühnt werde.
Název souboru: 
karlsbader-badeblatt-1896-06-19-n139_6380.jp2