Text auf der Seite 2
Text:
Karlsbode: Radeblatt Nr. 55 am 3. Juli 1891.
Budapest, 2. Juli. Es verlautet bestimmt,
daß es dem Staatssekretär Stephan gelungen ist,
mit den Handelsministern Baros und Baquehem
bezüglich eines einheitlichen Telegraphentarifs auch
im internationalen Verkehre zwischen Deutschland
und Oesterreich-Ungarn ein Uebereinkommen zu
treffen. Die wesentlichen Bestimmungen desselben
sind, der Wegfall der Grundtaxe und Erhöhung der
Worttaxe auf 3 Kreuzer, mit einem Minimum von
30 Kreuzern.
Brünn, 2. Juli Der heutige Auspacktag des
Altbrünner Marktes hatte nur geringe Zufuhren
und weuige Käufer aufzuweisen, weswegen sich nur
ein flaues unbedeutendes Geschäft entwickelte. Die
Fernkundschaft fehlt fast vollständig.
London, 2. Juli. Die „Datly News“ ver-
öffentlichen einen Leitartikel über die Erneuerung
des Dreibundes, in welchem bemerkt wird, die
Reise des deutschen Kaisers nach England gewinne
dadurch an Bedeutung ohne jedoch eine Quadrupel-
allianz zur Folge zu haben. England könne nicht
die Interessen der Mächte, welche es nicht theile,
vertheidigen. Die Mission Englands sei es, den
Frieden und die guten Beziehungen zu allen
Mächten aufrecht zu erhalten. Die Zusammenkunft
der Königin mit ihrem Enkel könne nur ein sehr
gutes Resultat zur Folge haben. — „Standard“
sagt, der Empfang des deutschen Kaiserpaares in
Amsterdam sei eine natürliche und gerechte Ehrung
der beständigen Loyalität in den Beziehungen
Deutschlands zu den kleineren Nachbaren.
Wien, 2. Juli. Wetterprognose der meteoro-
logischen Central-Anstalt: „Unbestimmte Windrich-
tung, vorwiegend heiter, Gewitter, wahrscheinlich
sehr warm.“
Politische Tages-Chronik.
Im Besitze des Vatikans befindet sich der weit aus-
gedehnte Acker Campo Morta, der einen Theil der Agro
Romano bildet. Auf diesem sollen vom Papste direkt her-
rührende Pläne einer neu gearteten Ackerbau-Colonie ver-
wirklicht werden. In nicht zu ferner Zeit sollen schon
Schritte geschehen, um für das zu vertheilende Gebiet tüch-
tige und dem Papste ergebene Colonisten zu gewinnen.
Durch diesen Plan will der Vatikan neben der Absicht, den
Beweis zu erbringen für die Ausführbarkeit der in der
Encyclica verfachtenen Ideen darthun, daß er es besser ver-
stehe, als die italienische Regierung, welcher es seit zwanzig
Jahren am Herzen liegen sollte, die brennendste Frage für
die römische Bevölkerung, die Cultivirung der Agro Ro-
mano, einer praktischen Lösung entgegenzuführen.
In Kopenhagen wird mit allem Eifer gearbeitet,
um noch vor Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals, die
1895 zu erwarten sein dürfte, den Betrieb im Freihafen
eröffnen zu können. Für den Hafen ist eine Tiefe von
26 Fuß in Aussicht genommen, so daß er für Schiffe von
sehr großem Tiefgang zugänglich sein wird. Der Betrieb
im Freihafengebiet ruht für den Zeitraum von 80 Jahren
in den Händen einer Aktiengesellschaft an deren Spitze die
dänische Landmannsbank steht und die mit einem Ak-
tien-Kapital von 4 Millionen Kronen die nöthigen Ge-
bäude, die Krähne, Geleise u. s. w. herstellt. Der Vorstand
dieser Gesellschaft befindet sich schon seit längerer Zeit auf
einer Informationsreise, um die Verhältnisse in verschiedenen
Häfen, namentlich Bremens. Hamburgs und Antwerpens
zu studieren.
Die Gouverneure von Kiew, Podolien und Wol-
hynien theilten, wie aus Odessa gemeldet wird, den fremden
Colonisten mit, daß sie entweder in einer bestimmten Frist
russische Unterthanen werden, oder Rußland verlassen
müßten. Diese Maßregel wird als direkt gegen die zahl-
reichen deutschen Colonisten bezeichnet.
Anläßlich des Besuches des deutschen Kaiserpaares
in Holland schreibt der „Nieuwe Amsterdam'sche Courant“.
unter Anderem: „Jeder Mann von ernstem Nachdenken
und unparteiischem Urtheil wird mit uns einig sein,
daß es die Pflicht der ganzen Bevölkerung Amster-
dams ist, dem Empfang und Aufenthalt dieses durch-
lauchtigsten Fürstenpaares allen Glanz zu verleihen,
Was dieser Kaiser für die Ruhe und den Frieden
der Welt vermag, ist genugsam Jedem bewußt, der die
Geschichte unserer Zeit und unserer Tage kennt. Daß dieser
hochmächtige Mann seine Hand nur zum Guten ausstreckt,
keine Herrschsucht offenbart, und bei den ihm zu Diensten
stehenden, bei allen übrigen Nationen wohl geachteten und
gefürchteten Herren keine eroberungssüchtigen Neigungen
durchblicken läßt und durch sein Verhalten den Frieden der
Welt sichert, muß von jedem wohldenkenden, ehrlichen und
unpartetischen Mann hoch geschätzt werden.
Tokal- und Bäder-Nachrichten.
(Der Bau des neuen Fremden-
hospitales) unterhalb Café Imperial wird
nun unverweilt in Angriff genommen werden, nach-
dem gestern das Stadtverordneten-Collegium der
Ertheilung des Bau-Consenses zustimmte und der
Stadtrath das Offert des Baumeisters Herrn
Waldert auf Ausführung des Baues um die
Summe von 75.000 fl. acceptirte. — Das neue
Hospital muß bis zum Beginne der nächstjährigen
Saison seiner Benützung übergeben werden.
(Die Eckbaustelle in der Parkstraße)
welche als Eigenthum der Stadtgemeinde, eben
zum Verkaufe ausgeschrieben war, wurde gestern
nach Beschluß des Stadtverordneten-Collegiums
dem Herrn S. Neubauer zugesprochen, dessen Kaufs-
offert per 30.500 fl. als das Höchste acceptirt
wurde. Es lagen im Ganzen drei Offerte vor.
(Im Stadttheater) beginnt heute Georg
Engels sein mehrabendliches Gastspiel als Major
Muzell in dem Lustspiele „Die Kinder der Ex-
zellenz“. — Dem Gastspiele dieses Berliner Künst-
lers sieht man mit vielem Interesse entgegen. —
Morgen tritt der Gast in dem Lustspiele „Gold-
fische“ auf.
(Das heutige Symfonie-Konzert)
der Kurkapelle wird auf die vielen Musikfreunde
ob seines interessanten Programmes wieder von be-
sonders anziehender Wirkung sein und dieselben
insgesammt zum Rendezvous im Posthof-Garten
veranlassen.
(Der humoristische Vortrags-Abend)
der gestern im Kurhause stattfand und von den
Herren Rezitator Fried und Gesangshumorist
Schwarzmaier unter Mitwirkung der Sängerin
Fräulein d'Elmar veranstaltet war, muß als ein
wirklich heiterer Abend bezeichnet werden in dem
für das Amusement des Publikums bestens gesorgt
war und Herr Schwarzmaier an trefflichen Humor
es nicht fehlen ließ. — Das Publikum das leider
nicht allzu zahlreich erschienen war, amasirte sich
sichtlich.
(Im Theater Varieté) trat gestern zum
ersten Male der Gesangskomiker Maxstadt anf
und errang sofort den stürmischesten Applans von
Seite des zahlreich anwesenden Publikums. Bei
Maxstadt hat man es mit einem schauspielerisch
gebildeten, weit über dem Niveau der sonstigen
Varieté-Komiker stehenden Talente zu thun, das
über ein reiches Repertoir der besten und wirk-
samsten Vortrags-Nummern verfügt. Gleich der
erste Abend hat dieß erkennen lassen — mehr als
zehn Mal wurde er dafür stürmisch gerufen. —
Neben diesem erregten wie allabendlich die Familie
Lars-Larsen mit ihren geradezu staunenswerthen
Produktionen auch gestern wieder sensationelles
Aufseben. — Erstaunliches leistet auch der Fisch-
Mensch Kolling-Müller, der länger als zweieinhalb
Minuten unter Wasser aushält, und auch sonst
allerlei Produktionen ausführt. — Heute treten die
Schwestern „Edelweis“, zwei Sängerinnen, das
Beste ihres Genres, zum ersten Male auf — das
Programm
der neuen Serie ist also wieder ein
reiches und besonders interessantes.
Georg Engels.,
Von R. Löwenfeld.
Mit dem Aufschwung des gesammten Theaterlebens
in Berlin und den neuen Bestrebungen der dramatischen
Dichtung bereitet sich auch in der Kunst der Darstellung
ein Umschwung vor, an dem nahezu alle bedeutenderen
Kräfte der deutschen Bühne theilnehmen. Wer könnte sich
auch der immer stürmischer gestellten Forderung nach Wahr-
heit entziehen? Keine Kunst hat reichere Mittel, die Wirk-
lichkeit des Lebens wiederzuspiegeln, als die schauspielerische,
keine darum mehr die Pflicht, die Wahrheit in dem edelen
Sinne einer geläuterten Kunstwahrheit anzustreben
Ein halbes Jahrhundert — länger als die deutsche
Dichtung — stand die Schauspielkunst unter den mächtigen
Einflüssen der Schiller-Goethe-Zeit. Der große Dichter, der
in Weimar die Bühne allmächtig leiten durfte, hatte in die
Schauspielkunst den pathetischen Stil eingeführt, der wohl
der idealistischen Welt seiner Iphygenie, nicht aber der an-
schaulichen Wirklichkeit der Volksscenen im „Egmont“ ent-
sprach, der dem Schwunge der romantischen Welt einer
„Jungfrau von Orleans“, nicht aber in gleichem Grade
der leidenschaftlichen Gluth von „Kabale und Liebe“ Aus-
druck geben konnte.
Aber die große Autorität des Namens gab dem Kunst-
prinzip eine überlange Lebensdauer. Erst als auch die
dramatische Dichtung, dem Zuge der Zeit folgend, bewußt-
voll neue Wege betrat, war auch ihr Interpret auf der
Bühne gezwungen, neue Mittel der Darstellung zu suchen.
Das glückliche Zusammentreffen großer politischer und
tiefgreifender, literarischer Ereignisse, die in einem engen
inneren Zusammenhang stehen, förderte den neuen Stil in
Dichtung und Darstellung.
Berlin hatte vor der Begründung des Deutschen Reiches
neben dem Königlichen Schauspielhause keine hervorragende
Bühne, die der edleren Richtung des Dramas diente. Das
neue Leben, welches die Reichshauptstadt in dem Jahrzehnt
nach dem großen Kriege erfüllt hat, die Zunahme an wohl-
habender Bevölkerung und die Zuversicht, die auf allen Ge-
bieten neue Unternehmungen beseelte, hat auch den Umschwung
im Theaterleben hervorgerufen. Neben das Königliche
Schauspielhaus traten mit gleichen Zielen und uneinge-
schränkt von den Rücksichten, die dem Königlichen Hauſe
auferlegt sind, das „Deutsche Theater“ und einige Jahre
später, als der Erfolg dieses trefflich geleiteten Instituts
zur Nachahmung herausforderte, das „Lessing-Theater“ und
das „Berliner Theater.“ Vier große Bühnen, dem klassi-
schen und dem modernen Drama ernster Richtung geweiht,
boten den Talenten, die aus ganz Deutschland nach der
Hauptstadt des Reiches strebten, ein Feld zu neuer Be-
thätigung. Es ist kaum noch wahr, daß das Wiener Burg-
theater ohne Nebenbuhlerschaft dasteht. Was die hundert-
jährige Ueberlieferung geschaffen und geheiligt, ist nicht in
Jahren aufzubauen; aber das frische, fröhliche Vorwärts-
streben ist werthvoller und zukunftsreicher als das Zurück-
blicken auf den Ruhm, den die Vorfahren erworben, und
auf die alten Verdienste, denen sich neue nicht anzureihen
scheinen.
Dem „Deutschen Theater“ als dem ältesten und immer
noch vornehmsten der neuen Kunstinstitute gebührt in erster
Linie das Verdienst an dem Fortschritt. Es hat in dem
ersten Jahre seines Bestehens eine Anzahl erster Schau-
spieler zu einem Zusammenwirken vereinigt, wie man es
bis dahin in Berlin nicht gekannt hatte, und von Jahr zu
Jahr glückt es ihm, ältere und jüngere Kräfte heranzu-
ziehen, die, in seiner vorzüglichen Schule unausgebildete
oder noch nicht erprobte Seiten ihres Talentes der er-
staunten Zuhörerschaft darbieten.
Wer hätte je daran gedacht, daß der Liebling des
Wallnertheater-Publikums und der unzertrennliche Partner
Ernestine Wegners auf der Bühne des Deutschen Theaters
in Molières „Tartuffe“ und in Wildenbruch's „Hauben-
lerche“ Triumphe feiern dürfte? Wer hätte ihm überhaupt
die gewichtigen Leistungen eines Charakterdarstellers zu-
gewiesen? Georg Engels schien mit der Wallnerbühne
und der Posse so eng vereinigt, daß nur der geübte Blick
eines findigen Theaterleiters ihn dieser Sphäre entziehen
konnte.
Engels gehört nun zwanzig Jahre der Bühne an. Er
ist in Altona geboren und hat dort das Gymnasium be-
sucht. Er wandte sich später technischen Studien zu und
bildete sich zum Maler aus. Als Maler kam Engels an
das „Thalia-Theater“ in Hamburg. Es ist immer die
alte Geschichte: Wer dem Bühnenteufel einen Finger ge-
reicht hat, der kommt nicht mehr von ihm los. Engels
war gerade in Hildesheim damit beschäftigt, Dekorationen
für ein neues Stück zu malen. Es war nichts Seltenes
auf den kleinen Bühnen Deutschlands, daß plötzlich einmal
ein Mitglied der Schauspielertruppe bei Nacht und Nebel
durchbrannte. Dießmal war es der Vaterspieler, und theils
um der Noth des armen Direktors abzuhelfen, theils aus
Scherz übernahm Georg Engels die Rolle des Flüchtlings.
So ward der Theatermaler zum Schanspieler. Von Hildes-
heim ging's kreuz und quer durch die Städtchen Schleswig-
Holsteins, Mecklenburgs, dann nach Memel, Hamburg und
Bremen. Im Herbste 1870, im Alter von dreiundzwanzig
Jahren, mitten in der unruhevollen Zeit des französischen
Krieges kam Engels nach Berlin. Damal war das Wolters-
dorf-Theater nach einem durchgreifenden Umbau mit eine
Feuilleton.
Ueber den heute am hiesigen Stadttheater ein mehrere Abende
umfassendes Gastspiel beginnenden Künstler lesen wir Nachseen?
esilriteZeir
Die Red.
Dateiname:
karlsbader-badeblatt-1891-07-03-n55_1100.jp2