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beit hat und hungern und verhungern müßte, es soll Jedem, ohne Unterschied des Alters, Standes, Geschlechts, Glau- bens u. s. w. das Recht zustehen, sich an den Staat zu wenden, der dem Hungernden sofort Speise und Trank und Unterkunft gewährt, dafür aber freilich, theils um die Un- terstützung besser, theils um sie würdiger in den Arbeits- losen weniger beschämenden Weise gewähren zu können, von dem Applikanten die Verrichtung irgend einer von dem Staate gerade in Angriff genommenen Arbeit verlangt. Herr Windthorst, der „Justizminister gelernt“ hat, würde, falls er beschäftigungslos wäre und sich an den Staat um Be- schäftigung wandte, nur das Recht haben, gleich einem brodlosen Schneider an irgend einem Kanalbau oder einer sonstigen Kulturarbeit beschäftigt zu werden, damit er nicht vor Hunger umkomme. Natürlich wird Herr Windthorst, nicht weil er jetzt zufällig vermögend oder sehr tüchtig ist, sondern weil er mit Recht sehr viele Verehrer und Freunde hat, die ihm im Nothfalle schon beispringen würden, nie- mals in die Lage kommen, von dem Recht auf Arbeit, d. h. dem Recht auf das Arbeitshaus Gebrauch zu machen. Aber wer den Lauf der Welt kennt, weiß gar wohl, daß weder augenblicklicher Besitz noch selbst Kenntnisse und Tüch- tigkeit immer für das ganze Leben Sicherheit gegen Noth gewähren. Das „Recht auf das Arbeitshaus“ geht daher nur sehr wenige Menschen nicht an, und nicht nur die Humanität, sondern das eigene Interesse eines Jeden müssen und werden die bei Weitem überwiegende Majorität der Bevölkerung zu Freunden des Kanzlers in diesem Bestreben machen. Fürst Bismarck mochte sich gesagt haben, daß alle seine bisherigen Sozialreformen ohne diese nur Stückwerk sind. Warum nur die „Arbeiter“ gegen dies und jenes versichern und nicht den übrigen auch arbeitenden und nur nicht „Arbeiter“ genannten Theil der Bevölkerung? Und selbst die Arbeiter konnten sagen: Man versichert uns und mehr oder weniger doch auf unsere Kosten gegen Krankheit, Unfälle für die Zeit des Alters. Was aber sollen wir machen, wenn wir in der Fülle der Kraft keine Arbeit haben und darum hungern müssen? Darauf hat Fürst Bismarck jetzt die richtige Antwort ertheilt. Daß er das zu Mißverständnissen herausfordernde und auch wirklich mißverstandene sozialistische Schlagwort benutzt hat, daß er sich, wie der frühere Minister Hobrecht auf dem national- liberalen Parteitage gesagt, „sprachlich vergriffen“, ist frei- lich zu bedauern, sowohl weil es von leichtsinnigen konser- vativen Agitatoren zu Wahlzwecken mißbraucht werden, als auch weil es in sozialistischen Kreisen absichtlich oder unab- sichtlich falsch gedeutet werden wird. Einige Abhilfe ist ja schon durch den Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ verschafft worden, der beste Weg aber, allen Flunkereien ein Ende zu machen, wäre, die nicht-sozialistische aber darum doch sehr wichtige Sozialreform schnell in Angriff zu nehmen. In einem zivilisirten Staate darf Niemand verhungern müssen. Das Verhungern -Wollen freilich wie jeden andern Selbstmord kann kein Staat verhüten. Im Lande des „Arbeitshauses“, in England, sterben jährlich Hunderte Hungers, weil ein falsches Schamgefühl sie verhindert, vor- übergehend in einem solchen Arbeitshause Unterkommen und Beschäftigung zu suchen. Aber Niemand vermag zu be- rechnen, wie viele Tausende Menschen jährlich diese Ein- richtung, der der deutsche Reichskanzler in wahrscheinlich verbesserter Form, weil auf erweiterter Basis, in Deutsch- land einführen will, davor bewahrt, den Weg des Verbre- chens zu betreten oder Selbstmord zu begehen. — Nur eines muß festgehalten werden: die geplante Institution darf nur ein Aeußerstes bieten um ein Alleräußerstes zu verhüten. Wenn sie in Wirklichkeit ihren Zweck erfüllen soll, dann wird Niemand in der Noth Anstand nehmen dürfen, von der Einrichtung Gebrauch zu machen, die Ar- beit aber so wenig lohnend, die Verpflegung so wenig ein- ladend sein, daß Jeder möglichst schnell wieder eine ihm zu- sagendere Beschäftigung zu finden sich bemühen wird. Lokal- und Bäder-Nachrichten. (Der Aussichtsthurm auf dem Abergl, der im diesjährigen Frühling um sechs Meter erhöht wurde, ist bereits vollendet und seine oberste Plattform wieder zu- gänglich, von wo aus man nun eine entzückende Rundsicht genießt. — Wenn auch durch die Erhöhung des Thurmes der Gesichtskreis kein weiterer geworden ist, so wurde aber damit die Plattform bedeutend höher über den unmittelbar angrenzenden Wald gehoben und so der Ausblick über die nähere Umgebung, welcher früher behindert war, wieder er- möglicht. (Erste Reunion.) Morgen, Samstag den 24. d. M. findet die erste Tanz-Reunion dieser Saison, im Kurhause statt. (Frequenz der Kurorte.) Bis zum Beginn dieser Woche lagen folgende Frequenzlisten vor: Karlsbad wurde von 5800 Personen besucht, ferner Franzensbad von 106 Gräfenberg von 126 Gleichenberg von 205 Krapina-Teplitz von 5 Marienbad von 688 Maria-Wörth von Reichenhall von Reinerz von Rohitsch von Romerbad von Teplitz=Schönau von511 Vöslau von 640 Personen. r- (Bad Kissingen), 19. Mai. Der hiesige ärzt- liche Bezirksverein hat in einer Sitzung, zu welcher alle Aerzte Kissingens eingeladen waren, beschlossen, gegen jene Hotelters und Restaurateurs vorzugehen, welche kurwidrige Speisen und Getränke an Kurgäste verabfolgen; außerdem soll den Hoteliers zur Pflicht gemacht werden, die Zahl der Gänge bei der Table d'höte zu reduziren. — Die Königin von Hannover ist zum Kurgebrauche hier eingetroffen. S (Frau Kolemine.) Aus Stockholm wird den „Hamb. Nachr.“ über die frühere Frau des russischen Ge- sandtschaftssekretärs Kolemine und nunmehr der nach kurzer morganatischer Ehe geschiedenen Gemalin des Großherzogs von Hessen geschrieben: Gegen Ende der sechziger Jahre traf in Stockholm mit einem neuernannten österreichischen Gesandten eine polnische Gräfin Czapska nebst zwei in der ersten Jugendblüte stehenden anmuthigen Töchtern ein. Die Gräfin machte im Gesandtschaftshotel, wo die Hausfrau fehlte, die Honneurs und wurde als eine zur Diplomatie gehörige Frau in die Kreise der haute volée eingeführt, deren Salons sich ihr indeß nur widerstrebend geöffnet haben sollen. Die Frau verstand es, ihre Stellung in der Gesellschaft zu befestigen, und wußte sogar ihre Vorstellung am Hofe Karls XV. durchzusetzen. Tagtäglich erschienen Madame de Czapska, oder wie der Volksmund sie einfach nannte, „die polnische Gräfin“ und ihre Töchter, gefolgt von einem Schwarm Herren, meistens Diplomaten, auf der Promenade im Königsgarten; das Trio, die etwas korpulente Mutter und die schlankgewachsenen, dunkel- äugigen Nädchen wurden bald zu typischen Figuren, die Jedermann von Ansehen kannte. Die älteste Tochter, Com- tesse Marie, beiweitem die Schönere der Schwestern, machte in Stockholm eine glänzende Partie, sie vermählte sich mit einem der österreichischen Gesandschaft beigegebenen Fürsten Wrede, starb aber nach kaum einjähriger Ehe 1873 in einer südeuropäischen Hauytstadt. Mama Czapska und ihre jüngere Tochter Alexandrine waren inzwischen ebenfalls vom Stockholmer Horizonte verschwunden und so ziemlich in Vergessenheit gerathen, bis die Tochter i. J. 1878 als Frau des russischen Gesandschaftssekretärs Hrn. v. Kolemine wieder auftauchte und in Stockholm aufs Neue einige Jahre verlebte. Es hieß, die Gatten hätten sich, nachdem sie längere Zeit getrennt gelebt, erst bei der Uebersiedlung nach Stockholm wieder vereinigt. Daß die Ehe keine glückliche war, konnte Niemandem entgehen. Ueber die Ursachen des Unfriedens liefen mancherloi Gerüchte, es kam zwischen beiden Gatten mitunter zu äußerst stürmischen Auftritten, wobei sich das feurige Polenblut der jungen Frau in eklatanter Weise geltend gemacht haben soll. Man bedauerte den prächtigen Knaben des Ehepaares, Zeuge dieser Szenen sein zu müssen. Als Herr v. Kolemine 1881 nach Darmstadt versetzt wurde, riß die Abreise der Herrschaften keine fühlbare Lücke in die Gesellschaft.“ (Die Dividende der Gotthardbahn) für das letzte Betriebsjahr soll 21/2 Prozent betragen. (Triest.) Die heutige Generalversammlung des östr.- ung. Lloyd konstatirte pro 1883 einen Reingewinn von fl. 1,578.610 und beschloß die Auszahlung einer Dividende von fl. 21 per Aktie. (Paris.) Zu Ehren des deutschen Reichtagsabge- ordneten Liebknecht wurde eine Versammlung abgehalten, welcher circa 200 Personen anwohnten. Liebknecht ist darauf nach Zürich abgereist, man sagt er habe die Weisung er- halten Paris zu verlassen und die für Samstag den 94. Mai ihm zu Ehren abzuhaltende Versammlung wurde be- hördlich verboten. (Berlin.) Die außerordentliche Generalversammlung der Lichterfelder Land- und Baugesellschaft findet am 27. d. Nachmittags statt. Es soll sich dabei um herbeizuführende Liquidation des Unternehmens handeln. — Die Dividende der Berlin-Hamburger Bahn ist auf 24 /10 Prozent festge- setzt worden. und Curort GXESSHUBL-PUCHSTEIN bellebtester Ausflugsort der Kurgäste in relzender Lage. Gute Restauration. täglich zweimal vom „Gld. Schild“ Omnibus (Postbureaü.) MATTONiS SAI willen gegen sich selbst empfinden, daß ihr nichts Anderes zu thun übrig bleibe, als sich hinzulegen und zu sterben. — Ich meine, daß der unglückliche Einfluß der Kleidertracht davon herrührt, weil er nicht zum Klima und nicht zur Lebensweise paßt. Diese Polynesier sind bekanntlich den Amphibien sehr ähnlich, und ich habe, z. B. beim Fischfange Kanaken-Mädchen während des ganzen Tages ge- sehen und zwar den einen Augenblick waren sie im Wasser, um die Netze einzuziehen, und dann wieder auf dem Lande, wo der kühle Passat-Wind das dünne, nasse Baumwollenzeug um ihre Glieder aufstreifte, als wenn es ein nasser Umschlag wäre, kaum trocken, gingen sie wieder in die Brandung hinaus, und so weiter. Es ist leicht einzusehen, daß Kokosöl hier ein gesünderer Bekleidungsstoff sein würde. Instinktmäßig suchen sie auch von ihren Kleidern los zu kommen, wenn sie deren Schnitt sehen. Der dänische Konsul hatte einige Levaleva- Familien von den mehr abseits liegenden Inseln in der Südsee nach seiner Plantage kommen lassen; sehr civilisirt waren sie nicht, aber sie waren doch getauft und hatten folglich Kleider bekommen. Am ersten Tage gingen sie auch besonders schön ins Feld, bekleidet mit ihren Röcken; gegen Nachmittag aber trat Regen ein, und als sie heimkehrten, hatten sie alle die Kleider abgelegt und sie zu dem mög- lichst kleinsten Bündel zusammengerollt, daß sie unter dem Arme trugen, um ihre Kleidungsstücke trocken zu halten. Die armen Kanaken! Die Civilisation will nicht so recht bei ihnen anbeißen, oder vielleicht besser, sie beißt sie zu hart. Diese neuen Ideen und neuen Lebensverhältnisse, welche man mit einem Worte Civilisation nennt, sind ihnen zu stark, und wenn sie nicht dahin gelangen können, ihnen aus- zuweichen, so gehen sie zu Grunde; die Natur ge- stattet keine Sprünge, auch nicht in der Entwicke- lung des Menschen, es ist ungefähr ähnlich wie mit wilden Thieren, welche man fängt und zähmt; sie gedeihen nicht. Der Naturzustand, und nament- lich hier auf diesen tropischen Inseln, wo das Klima und wo alle Lebensbedingungen so wenige Forderungen an den Menschen stellen, ist keine gute Schule in der Energie, und es ist kein Wunder, daß die Kanaken es nicht mit der weißen Race auf- nehmen können, welche durch viele Generationen, und zwar im Kampfe mit ganz anderen ungünstigen Lebensbedingungen, zähe und gehärtet worden sind. Selbst Thiere und Pflanzen scheinen auf diesen Inseln weniger Widerstandskraft zu besitzen und von den kriegsgewohnten Formen der alten Welt, die ihre Proben im Kampfe um das Dasein be- standen haben, verdrängt zu werden. Die eingeborene Vogelwelt ist beinahe ausgestorben; wenn man auf Honolulu an Land kommt, so bemerkt man sogleich lärmende Schaaren indischer Mina's, sowie die kosmopolitischen Grausperlinge, welche jeden Baum in der Stadt eingenommen haben. Kommt man außerhalb der Stadt, so vernimmt man überall einen unleidlichen Lärm von Trommeln, Schnarren und Gewehrschüssen; es sind Chinesen, welche die zahlreichen Schwärme von Reisvögeln von den Reisfeldern fern zu halten suchen und welche Nach- kommen eines einzigen Paares sind, daß einst von Indien eingeführt wurde. Wenn man in den Wäldern reitet, so hört man die Hähne krähen und man glaubt, daß man sich in der Nähe eines Hauses befinde. Darin aber wird man getäuscht, es sind wilde oder richtiger verwilderte Hühner, welche die Wälder gleichzeitig mit Truthühnern, Fasanen und Pfauen bevölkern. Von der ursprüng- lichen Vogelwelt sieht man beinahe nichts mehr. Auch die Wälder, welche früher die Berge bedeckten, verschwinden und sterben aus, meistens durch die Vernichtungen des halbwilden Hornviehes; anstatt dessen breitet sich nun meilenweit undurchdringliches Gebüsch von Guavabüschen aus, die von Ostindien eingeführt worden sind und nun den früheren Pflanzenwuchs verdrängen.
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karlsbader-badeblatt-1884-05-23-n20_0450.jp2