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bare Uebereinkommen mit der Nordbahn die Re- gierung vorzulegen gedenke. Noch gewandter war der zweite Schritt, den sie diesem ersten folgen ließen; sie überließen es dem Abg. Dr. Herbst, die Wünsche des Hauses zu formulieren, und wählten den Führer der Opposition zum Obmanne des Subcomités, welches die ersten Vorschläge zu ent- werfen beauftragt ist. Es ist dies ein ganz ge- schickter Schachzug; denn da alles besonnene und klare, alle billigen, gerecht abwägenden Entwürfe den Straßenpolitikern sofort Anlaß zu verläum- derischen Anwürfen geben werden, da die Herren Lueger und Schönerer nur auf eine Aeußerung Herbsts warten, um ihn gleichfalls der Corruption zu zeihen, so befindet sich Herbst auf dem gefähr- desten Posten. So mag es denn kommen, daß in nicht ferner Zeit auch gegen ihn der Ruf ergehen wird: Auch er ist ein Knecht Rothschild's und der Nordbahn! Mit dem Schlagworte „Verstaatlichung“ allein ist es nicht gethan; denn sonst könnte es zu irgend einem Kampfe der Nordbahn kommen, der abträg- licher für die Staatsfinanzen ist als ein billiges Uebereinkommen; ja wenn die Dinge so fortgehen und kein klares Bild entworfen wird, wie theuer man das Eigenthum der Nordbahn ablösen wolle, so könnte ihre Verwaltung von der unklaren Situa- tion Nutzen ziehen und eines Tages selbst dem Reichsrathe ein Schriftstück überreichen: „Petition der Ferdinands-Nordbahn um Verstaatlichung ihrer eigenen Strecken.“ Ja, wohl eingeweihte Leute wollen sogar wissen, daß die Direktoren der Gesell- schaft nicht abgeneigt sind, einen solchen Schritt kurzerhand zu machen. Welch' enormen Werth aber diese Bahn vor- stellt, erhellt aus einem einfachen Vergleiche. Man weiß, mit welch' außerordentlicher Energie die ungarische Regierung die Erweiterung des Staats- bahnnetzes betreibt; sie leitet jetzt ein Unternehmen von 2967 Kilometer. Das Gesammt-Anlagekapital desselben belief sich auf 277 Millionen Gulden. Dagegen muß der commercielle Werth der Nord- bahn— fünf Percent für die Verzinsung und ein Perceut für die Amortisation gerechnet — auf 273 Millionen Gulden veranschlagt werden. Dabei aber verzinsen sich sämmtliche ungarische Staats- bahulinien blos mit 21/2 Percent. Hier aber liegt der außerordentliche und schwer zu verbessernde Fehler in der Anlegung des österreichischen Bahn- netzes; die ertragreichen Strecken wurden zuvör- derst an Private vergeben oder alsbald — wie die 1855 verkauften Staatsbahnen — um einen Pap- penstiel verhandelt; späterhin mußte der Staat die Linien zweiten Ranges mit kostspieligen Subven- tionen ausstatten und dieselben als fast ertraglose Staatsbahnen übernehmen. Es wäre geradezu ein Verbrechen, wenn der Staat nicht bei dem Ablaufe des ersten Privilegiums der Nordbahn Hand auf diese glänzendste Transportunternehmung Mittel- Europas legte; mindestens aber muß er dafür sor- gen, daß nach dem Muster des französischen Ge- setzes von 1859 ein Theil der Superdividenden des älteren, ertragreichen Netzes zur Verzinsung des jüngeren verwendet werden müsse. Nur so kann der Mißstand ausgeglichen werden, den das bis- herige finanzielle System erzeugte. Es ward da nach dem Grundsatze vorgegangen: „Wer da hat, dem wird gegeben“; und so kam es, daß in Oester- reich, auf Kosten dieses armen Staates, die größten Vermögen erworben wurden. Wien besitzt weit mehr Millionäre unter den Bankiers und Börsen- männern als Berlin; die Stadt Friedrichs des Großen, des Monarchen, dessen Haushalt jährlich mit 220.000 Thalern bestritten wurde, nährt nicht so viele parasitische wirthschaftliche Organismen. Man bedenke nur, daß bei der letzten großen euro- päischen Krise, als Graf Andrassy vor dem Ber- liner Kongresse einen Kredit von 60 Mill. Gulden von der Delegation heischte, diese Summe durch eine Anleihe beschafft werden mußte, welche die Gruppe Rothschild-Kreditanstalt zu dem entsetzlich niedrigen Course von 56 übernahm, worauf sie die Rente zu steigenden Coursen bis zu 70 Prozent absetzte. Ein netter Gewinn fürwahr! Würde das Privileg der Nordbahn nicht im Jahre 1886 ablaufen, so müßte der Staat, falls er ihre Linien kaufen wollte, ungefähr den jetzigen Ertragswerth, der etwa 273 Millionen Gulden beträgt, ablösen. Aber das Privileg erlischt eben in Bälde und schon bei den bisherigen Unterhand- lungen erklärte sich die Gesellschaft bereit, als Kauf- preis für eine neue Konzession 10 Millionen Gul- den zu bezahlen, für 25 Millionen Gulden neue Bahnen zu bauen, die Tarife herabzusetzen und dem Staate das Peagerecht einzuräumen. Es ist überaus charatteristisch, daß diese Zu- geständnisse sich in dem Courswerthe der Aktien ziemlich genau äußern; derselbe beträgt etwa 223 Millionen Gulden; in der Differenz von 50 Mill. Gulden gegenüber dem Ertragswerth drücken sich eben die Zugeständnisse der Bahn aus. In der gerechten Schätzung desjenigen, was den Aktionären als Kaufpreis zu bieten wäre, liegt die Hauptschwierigkeit der Frage und selbst ent- schlossene Vertreter der Staatshoheit halten dieselbe für so groß, daß sie deshalb vor der Verstaat- lichung zurückschrecken. In der Versammlung in der Volksfesthalle hat Dr. Lueger in ziemlich kon- fuser Weise zuerst davon gesprochen, daß der Staat bloß die „Zugehörungen“ der Bahn, also etwa 54 Millionen Gulden ablösen müsse, gleich darauf aber behauptet, daß der Staat den Bilanzwerth der Bahn im Betrage von 106.8 Millionen Gulden zu bezahlen habe. Außer diesen Aktiven aber besitzt die Bahn noch viel Vermögen, das überhaupt nicht durch das im Jahre 1886 erlöschende Privileg be- dingt ist, sondern als ihr volles freies Eigenthum betrachtet werden muß. Es sind dies Bergwerke, Materialvorräthe ꝛc. Dies wären also die nach einer radikalen und nicht gerade rücksichtsvollen Auffassung vom Staate zu bezahlenden Summen. Dem gegenüber deutete Herbst in der letzten Sitzung des Eisenbahnausschusses an, daß es nicht anginge, bloß den Bilanzwerth für die Bahn zu bieten, man müsse abschätzen, wie hoch jetzt — also nicht zur Zeit der Anschaffung — das In- ventar der Bahn im Preise stehe. In drastischer Weise hat dies ein Mitglied der Wiener Handels- kammer jüngst ausgedrückt, als es sagte: Wenn Jemand im Jahre 1836 ein Haus auf dem Ste- fansplatz gebaut habe, so kann man ihm dasselbe nicht im Jahre 1886 zu dem Preise von 1836 ab- lösen. Alles in Allem dürfte also im Falle der Verstaatlichung bloß die radikalere Ansicht Lueger's und die den Aktionären etwas günstigere Dr. Herbst's gegenüberstehen. Wägt man das Recht des Staa- tes und der Aktionäre mit voller Schärfe und Un- befangenheit ab, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß der durchdringende Verstand Herbst's das Richtige getroffen habe; da selbst die größten Gegner der Mißwirthschaft der bisherigen Gesell- schaft kein Unrecht auf Kosten der Aktionäre üben wollen, so wird eben konstatirt werden müssen, welchen Schätzungswerth die Nordbahn jetzt reprä- sentirt; eine Renke, welche diesem Betrage entspricht, bliebe dann den Aktionären gesichert. Damit würde der Staat sich vorerst eine jähr- liche Reute von mehreren Millionen Gulden er- schließen, da er die Bahn weit unter ihrem Er- tragswerthe erhielte. Sodann aber hätte er die Hoheit und das Verfügungsrecht über einen mäch- tigen, für den Handel Besterreichs hochwichtigen Bahnkörper. Die jüngste Differenz mit Ungarn, betreffend den Preßburger Markt, hat deutlich ge- zeigt, wo sich der Staat wappnen und rüsten müsse, um nicht ruhmlos in einem großen Interessenstreite zu erliegen. Dieser große Gesichtspunkt wird sich wieder mit voller Deutlichkeit bei dem nächsten Ausgleiche mit Ungarn erweisen. Es ist Zeit, daß man ihn bereits jetzt im Auge behält. Hoffentlich befestigt sich nun die Stimmung für die Verstaat- lichung der Nordbahn; jedenfalls wird der Aus- gang dieser schwierigen Verhandlung neben dem unglücklichen Jahre 1811, neben der Gründung der Nationalbank im Jahre 1848, neben dem Verkaufe der Staatsbahnen 1855 und neben dem ersten be- friedigenden Budget des Finanzministers Brestel zu den Marksteinen in der Entwicklung der österreichi- schen Finanzen gehören. Ob im guten oder bösen Sinne — das wird der Ausgang lehren. Lokal- und Bäder-Nachrichten. (Militärkonzert) Heute Nachmittags findet im Freundschaftssaale das erste diesjährige Militär-Konzert und zwar ausgeführt von der Kapelle des Regiments Philippovic Nr. 35, statt. (Die Eröffnung des Sommertheaters.) erfolgt wie wir erfahren am 24. d. M. u. zw. mit der Operette „Eine Nacht in Venedig“. — Darnach läßt sich schließen, daß im Stadttheater für die nächste Zeit keine Operetten-Novität in Aussicht steht. (Berichtigung.) In der in unserer gestrigen Nummer mitgetheilten Depesche über den Zwischenfall im Wiener Abgeordnetenhause hat sich in einem Theile der (Prinz Leopold Coburg.) Die Besserung in dem Befinden des Prinzen Leopold von Coburg hält an, so daß, wenn nicht unvorhergesehene Zwischenfälle ein- treten, mit Sicherheit auf die Wiedergenesung des Pa- tienten gerechnet werden kann. (Ein Lebensüberdrüssiger.) Gestern am frü- hen Nachmittage erschien ein Kurgast im Café Kaiservark und entfernte sich nach kurzer Zeit wieder, nachdem er Kaffee getrunken und eine Cigarre angebraunt hatte, in der Richtung nach dem Plobenweg. — Kurze Zeit darauf vernahm an in der Nähe einen Schuß und Herbeieilende fanden auf einer Bank vis-awvis dem Freundschaftssaal den erwähnten Kurgast, mit durchschossener Schläfe, schwer verletzt, jedoch noch am Leben. Nach vom Promenoden- aufseher rasch erstatteter Meldung wurde der Verwundete ins allgemeine Krankenhaus überführt. — Als Schuß- waffe diente ein kleiner Revolver. (Scheibenschießen. ) Heute Nachmittags wird das von der hiesigen Scheibenschützen-Gesellschaft auf der neuen Schießstätte zu Gunsten des Fahnen-Fondes des Turn- Vereines arrangirte Bestschießen beeudet. Die Betheiligung an demselben am Eröffnungstage (Sonntag) war eine über- aus rege und wird voraussichtlich auch heute eine lebhafte sein, so daß zu erwarten ist, es werde für den beabsichtigten Zweck ein erfreulicher Ueberschußsich erübrigen. An diesem Schießen können sich auch Schützen-Gäste betheiligen, wo- rauf wir unter dem Kurpublikum etwa weilende Freunde des Scheibenschießens mit dem Bedeuten aufmerksam machen, daß Gewehre und Munition gegen billige Ver- gütung auf der Schießstätte bereit gehalten werden. (Die drei Fazi.) Sie sind vorbei — nicht etwa die schönen Tage von Aranjuez — sondern die drei Ge- fürchteten, „Pankraz, Servaz und Bonifaz“, die drei Eis- männer, die uns in verflossener Saison so bitterböses Wetter brachten. Sie waren heuer höchst liebenswürdig und obwohl der Letzte, Herr Bonifaz, Mittwoch Nachmit- tags uns mit einem schwachen Gewitter—versuch bedrohte, so hatte derselbe keine andere Wirkung, als uns durch ein angenehmes abkühlendes Lüftchen die herrschende Hitze des Tages weniger empfindlich zu machen. Wiener Börse vom 15. Mai 1884. Einheitliche Staatsschuld in Noten .. Einheitliche Staatsschuld in Silber Oesterr, Goldrente Noten-Rente Aktien der österr.=ungar. Bank Kreditaktien Londn -.......... 20-Francs-Stücke K. d. Münz-Ducaten. Deutsche Reichsbanknoten . 80.70 81.30 101.55 96.15 854 319.40 121.70 9.66 5.73 5955 (Eingeseudet.) Mit Bezug auf die in der gestrigen Nummer Ihres geschätzten Blattes enthaltenen Winke für die Reise-Saison erlaube ich mir darauf aufmerksam zu machen, daß in Be- treff des Besuches der Bayreuther Bühnenfestspiele, welche in diesem Jahre vom 21. Juli bis 8. August stattfinden werden, nach jeder der zehn Aufführungen ein Nachtzug von Bayreuth nach Eger eingerichtet werden wird, um Früh 5 Uhr 15 Min. von Eger abgehenden und um 6 Uhr 35 Min. in Karlsbad ankommenden Zug benützen zu können. Karlsbad, 14. Mai 1884. Alois Janetschekt. Obmann des Wagner-Vereines. ONT'S und Curort GIESSHUBL-PUCHSTEIN bellebtester Ausflugsort der Kurgäste in reizender Lago. Gute Restauration. täglich zweimal vom „Gld. Schild“ Omnihus (Postburean.) Auflage ein Druckfehler eingeschlichen, den die Leser wohl leicht als solchen erkannt haben dürften und den wie hier richtigstellen. Es soll nämlich heißen: „Präsident Smolka eröffnete die Sitzung in Abwesenheit) der Linken“, nicht wie es dort irrthümlich heißt in Anwesenheit. Wir lenken die Aufmerksamkeit unserer verehrten Leser auf die Annonce der wohlrenommirten Firma Vatentin &a; Co., Samburg, die Hamburger Geld-Lotterie betreffend, welche zweifelsohne das Interesse des Publikums in An- spruch nehmen muß und Jedem Gelegenheit bietet, für eine geringe Ausgabe sein Glück zu versuchen.
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1884-05-16-n14_0330.jp2