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Belletristische Beilage zum Karlsbader Badeblatt Nr. 39, V. Jahrgang. Mittwoch, den 14. Juni 1882. In Jesseln der Leidenschaft. Roman nach einem italienischen Motiv. Von Freiherr v. Taura. (14. Fortsetzung.) „Sie verließen die Heimat und gingen nach Italien. Aber ich hatte mich gerächt.“ Die Züge der Polin nahmen einen wilden Ausdruck an; ihre Augen sprühten einen unbe- grenzten Haß. „Als ich allein geblieben war, verließ ich Warschau und zog nach Wien;“ fuhr sie fort. „Ein polnischer Jüngling, der ebenfalls konspirirt hatte, floh ebenfalls vor der russischen Rache. Graf Siegfried war an der Cholera gestorben und sein Leichnam war verschwunden, ohne daß sich die russische Regierung dies Verschwinden erklären konnte. Die Cholera hatte meine Rache übernommen und die so vieler, gutmüthiger, tapferer Söhne Polens, die unter dem Schwerte des Tyrannen gefallen waren. Mein Reisegefährte durch Deutschland, Öesterreich und Frankreich war der junge Konspirator, mein Landsmann Wladimir Colmar.“ Bei diesem Namen erbleichte Sebastian. Wladimir Colmar hatte mit meinen Brüdern gegen die rassische Gewalt konspirirt; er war jung, von glühenden Leidenschaften beseelt, von lebhafter Einbildungskraft und begeistertem, großmüthigem Herzen. Die Knute und die Cholera hatten fast seine ganze Familie aufgelöst. Du hast ihn gekannt, jenen jungen Polen. Er war schön wie der Engel Jakobs, wie das reinste Abbild Gottes. Seine Augen hatten die Farbe des Firmaments an einem schönen, heiteren, orien- talischen Abende, und seine Sterne die Reinheit des Morgenroths am Ufer des kaspischen Meeres. Als unsere Augen zum ersten Male ineinander ruhten, schwuren wir uns jene ewige Liebe, die erst ihre Vollkommenheit im Verheirathen findet. Wir flohen zusammen aus Warschau. — Die russische Polizei und die Cholera folgten uns auf dem Fuße. Der Polizei-Direktor von Warschau, dem ich mich verkauft hatte, war an der Cholera gestorben, wie ich gesagt hatte und zwar in meinem Bette selbst. Dieser Tod erregte in der Polizei den Verdacht, ich habe den Grafen Siegfried vergiftet, um die Meinigen zu rächen, die er in die Verbannung geschickt hatte und um mein Vaterland von dem grausamen Verfolger zu befreien. Ein Verhaftsbefehl ward gegen mich erlassen, aber das Weib und das Geld' sind zwei Götter, die das menschliche Schicksal in Händen tragen. „Indem ich das Geld mit vollen Händen nach rechts und links vertheilte, gelang es mir, mich den Polizeispionen zu entziehen; ich eilte weit von Warschau in Gesellschaft Wladimirs, dessen Be- freiung ich vom Grafen Siegfried erlangt hatte. Was hätte ich nicht mit meinem Golde und meinen Küssen erreicht?“ Aber kaum hatte ich den Fuß außerhalb der polnischen Provinzen, als die moskowitische Reichs- kanzlei an die befreundeten Mächte schrieb, um mich und meinen Reisegefährten festhalten zu lassen. Ich hatte einen falschen Namen angenommen und reiste unter dem Titel Herzogin von Misma. Ich erklärte, daß ich mit meinem Bruder reise. In Frankreich Deutschland und Oesterreich mußte ich den Polizeinachstellungen trotzen. Man hatte uns in Briefen ganz genau beschrieben, wir mußten uns deßhalb gänzlich verändern. Wie uns dies gelang, ist mein Geheimniß. In Paris nannte man mich Frau Cholera, in Neapel die Dame des Todes. Ich war geboren, um die Leidenschaft in ihrer Vollgluth zu fühlen. Schon als Kind und Mädchen hatte ich mir die Liebe als die höchste irdische Glückseligkeit geträumt. Und meine erste Jugend war verflossen, indem ich mich mit Galle und Haß gleichsam berauschte. Ich hatte nie geliebt. Wladimir war meine erste Liebe; ich liebte ihn mit brennender Leidenschaft und er schien glücklich in meinen Armen. Wir gaben einander täglich die glühendsten Küsse und machten uns die feierlichsten Liebesschwüre. Seine Güter waren ihm eingezogen worden und er befand sich in vollkommenster Armuth. Um den Preis meiner Ehre hatte ich ihm Leben und Freiheit wiedergegeben. Ich lebte im heiteren Lichte seiner Augen und er berauschte sich an Wollust in meinen Armen, aber sein Herz war immer traurig, seine Stirn umwölkt. Und wenn ich ihn um den Grund der in seinem Herzen herrschenden Traurigkeit fragte, gab er mir unbestimmte, wenig befriedigende Ant- worten. Ich überredete mich, daß sein Herz noch an der Erinnerung des Todes seiner Lieben blute oder daß es ihm schwer fiele, auf meine Kosten zu leben. Eines Tages bat und beschwor ich ihn, mir zu gestehen, was sein Herz bedrücke und er sagte mir: „Naim, der Gedanke, daß Du in den Armen des grausamen Bedrückers meiner Familie, des Henkers meiner polnischen Brüder gelegen, zerreißt mir das Herz. Wenn Du mich an Deine Brust ziehst und mit Deinen göttlichen Küssen berauschest, so denke ich, daß auch jener dieses Glück genossen und meine Seele betrübt sich bis zum Tode.“ Ich that mein Möglichstes, mein Betragen damit zu entschuldigen, daß ich ihn und meine Brüder rettete. Diese Gründe erheiterten seine Stirne nicht. Ich dagegen liebte ihn stets mit der gleichen ungezügelten Leidenschaft, ja, es schien mir, daß ich ihn jeden Tag mehr liebte; ich umgab ihn mit der zärtlichsten Sorge und athmete nur für ihn und war so glücklich, diesen Engel, diese Perle ganz mein nennen zu können.“ Naim neigte das Haupt und um ihre großen Augen zog sich ein dichter Nebelschleier, durch den ein Blitz wilder Rache zuckte. Sie blieb einen Angenblick in Schweigen ver- sunken; dann begann sie abermals: „Eines Tages verließ Wladimir mein Haus, ohne wieder nach demselben zurückzukehren. Ich hörte später, daß er nach Italien abgereist sei. Mein erster Gedanke war der, mir das Leben zu nehmen, weil es mir schien, als könnte ich den Schmerz, fern von ihm zu leben, nicht überleben, aber der mächtigere Gedanke blieb der, seine Spur aufzusuchen und mich zu rächen.“ „Auf dem Paßamte erführ ich“, erzählte Naim weiter, „daß Wladimir nach Neapel abgereist sei. Ich packte meine Sachen und nach wenigen Tagen reiste ich über Marseilles nach Neapel, wo ich in den ersten Tagen des vorigen Augusts ankam. Ich wollte nicht sogleich in der Stadt wohnen und miethete ein Landhaus in dem lieblichen Dorfe Resina. Ehe ich mich in Neapel niederließ, wollte ich bestimmte Nachrichten über Wladimir“ haben, wo er wohne und welche Beziehungen er in dieser schönen, reizenden Stadt eingegangen habe. Eines Tages kam zu mir in mein Landhaus ein Mann aus feiner Familie, wie er sagte, der durch Unglücksfälle ins Elend gestürzt, mich um Hilfe bat. Aus einigen seltsamen Fragen und aus dem eigenthümlichen Ausdruck seines Gesichtes folgerte ich alsbald, daß ich einen Spion der bourbonischen Regierung vor mir hatte. Es kam mir plötzlich ein Gedanke. Sie sind ein Spion sagte ich ihm urplötzlich. Habe ich mich vielleicht getäuscht? fügte ich dann rasch hinzu.“ „Nein, Frau Herzogin“, antwortete er gut- müthig, „Sie haben es errathen.“ Ich hatte den Titel der Herzogin von Misma beibehalten. „Das Handwerk eines Spions ist wie jedes andere ehrlich, wenn man es ehrlich übt“, sagte er. „Es sind Dienste, die man der öffentlichen Sicherheit leistet.“ Ich konnte mich ob dieser bequemen Theorie eines Lächelns nicht erwehren. „Wie viel bezahlt man Ihnen für diese, der öffentlichen Sicherheit erwiesenen Dienste,“ fragte ich ihn, indem ich mich seines Ausdruckes bediente. „Die bestimmte Bezahlung ein Dukaten des Tages; aber wir bekommen außergewöhnliche Neben- verdienste, je nach der Wichtigkeit der geleisteten Dienste.“ „Welch elende Bezahlung,“ rief ich. „Spione sollte man gut bezahlen! Ein russischer Spion erhält nicht weniger als zweihundert Rubel im Monat.“ Der Mann riß die Augen erstaunt auf. „Wie heißen Sie?“ fragte ich ihn. „Peter Scherano.“ „Dieser Name empfiehlt Sie nicht sonderlich,“ sagte lich. „Gleichwohl biete ich Ihnen hundert neapolitänische Dukaten des Monats an, wenn Sie ihr Spionhandwerk fortsetzen, jedoch statt der bour- bonischen Regierung mir dienen.“ Die Augen Scheranos leuchteten bei diesem Vorschlage. „Sprechen Sie ernst, Frau Herzogin,“ fragte er mich mit glühenden Augen. „Ich habe nicht die Gewohnheit zu scherzen,“ antwortete ich. „Ich stehe zu Ihren Diensten, Frau Herzogin. Sagen Sie, worin ich Ihnen nützlich sein kann.“ „Sie werden mir jeden Tag genaue Rechen- schaft davon ablegen, was die neapolitanische Polizei in meiner Nähe treibt.“ „Sie werden Alles erfahren, Excellenz!“ „Sie werden vor Allem das Gerücht ver- breiten, daß die Herzogin von Misma einen ent- setzlichen Kopf, gleich einem Todtenkopfe habe.“ „Mein Gott, Frau Herzogin, es ist mir wirklich fast unmöglich, eine solche Lüge zu ver- breiten. Sie sind ja so wunderschön!“ „Sie werden thun, was ich Ihnen befohlen!“ „Ihr Wille geschehe, Excellenz!“ „Ferner muß ich die kleinsten Nachrichten über einen polnischen Jüngling, Namens Wladimir Colmar haben, der jetzt in Neapel ist. Ich muß erfahren, wo er wohnt, was er thut, wohin er geht und mit wem er verkehrt. Wenn es Ihnen gelingt, diese Notizen zu erhalten, bekommen Sie als eigene Belohnung hundert Dukaten.“ „Sie werden Sie haben, Excellenz, und zwar bald.“ „Hüten Sie sich jedoch, meinen Namen je auf Ihre Lippen zu nehmen!“ „Zweifeln Sie nicht, Excellenz!“ Einige Tage waren verflossen, bis Peter Scherano zu mir nach Resina zurückkehrte. Es war ihm mit wunderbarer Geschicklichkeit gelungen, zu erfahren, daß Wladimir Colmar in Neapel im Hause einer französischen Dame, Frau d'Auverney, Wohnung genommen habe, eine Dame, die er schon in Paris gekannt.“ „Die, die ihn ins Haus der Herzogin Sant' Ippolito einführte, und die, ohne es zu wollen, erste Ursache des Unglücks meiner Familie geworden,“ sagte traurig Sebastian. „Eben sie,“ antwortete Naim. „Es scheint jedoch, daß sie von Colmar den Auftrag erhalten, sich nicht als seine Wirthin vorzustellen, wie es ebenfalls scheint, daß er aus gewissen Gründen seine Wohnung geheim halten wollte. Aus diesen ersten Mittheilungen erfuhr ich den Ort, wo ich meinen undankbaren Geliebten hätte treffen können. Am nächsten Tage schon brachte mir Peter Scherano andere wichtigere Mittheilungen. Wladimir besuchte die Herzogin Sant' Ippolita am Danteplatze, und man vermuthete, daß er der Geliebte der schönen Gräfin de la Cruz, der ältesten Tochter der Herzogin sei. Bei dieser Nachricht füllte sich meine Seele mit Verachtung und ich faßte den Entschluß, mich an ihm und meiner Rivalin zu rächen. (Fortsetzung folgt.)
Dateiname: 
karlsbader-badeblatt-1882-06-14-n39_0955.jp2