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29. December 1900
„KarlsbaderBadeblatt“ Nr. 295
Sette 3
(Zur Geschäftsschädigung in den
Kurorten.) Aus Marienbad wird dem „Kauf-
mann“ geschrieben: „Allbekannt und schon unzählige
Male erörtert ist die Thatsache, daſs heute der
Fabrikant sowie der Großhändler, ganz besonders
viele „sogenannte“ Großhändler, sich nicht mehr
damit begnügen, nur mit Händlern zu arbeiten,
sondern mit Vorliebe die Consumenten besuchen.
Dieser Uebelſtand kann nirgends einschneidender
wirken als in den Kurorten, denn da haben viele
Private für die 4 bis 5 Sommermonate einen un-
gleich größeren Bedarf in allen möglichen Artikeln,
und dieser Umstand bringt es mit sich, daſs in den
ersten Monaten des Jahres sich immer hunderte
von Reisenden aller möglichen Branchen nach den
Kurorten begeben, um unter allen Umständen Kunden
zu sammeln. Der heimische Kaufmann ist der
großen Zahl von Reisenden gegenüber nicht auf-
nahmsfähig genug und der Reisende, der nach An-
sicht seines Chefs in einem Kurorte ein Geschäft
machen muss, geht, um doch einige Aufträge zu er-
haschen, zum Konsumenten. Zungenfertigen Reisenden
gelingt es auch bei Privaten unter allen möglichen
Zusicherungen und Kniffen ein Geschäft zu machen;
meist sogar zu hohen Preisen und der heimische
Kaufmann kommt immer weniger zur Geltung, ja
es kommt sogar wiederholt vor, daſs Private, denen
mitunter das doppelte und dreifache, was sie benellt
haben, geschickt wird, sich dann an die Kaufleute
wegen Abnahme des Ueberschusses wenden, weil viele
Artikel doch nach der Saiſon nicht mehr gebraucht
werden. Es gibt wohl schon keinen Artikel mehr,
vom Zündholz angefangen, Scheuerbürsten, Wagen-
fett ꝛc. nicht ausgenommen, der nicht auf diese Weise
an Consumenten verkauft würde. Nun soll diesem
Uebelstande durch Abänderung der §§ 59 und 60
der Gewerbeordnung abgeholfen werden, was wieder
nur ein frommer Wunsch bleiben wird, denn im
Sinne des Gesetzes über Fremdenpensionen in den
Kurorten und auf Grund der Aeußerung eines
Kammerrathes der Egerer Handelskammer erscheint
es sehr zweifelhaft für die Kaufleute in den Kur-
orten, daſs, selbst wenn die im Gewerbeausschusse
vom Abg. v. Elz beantragte Form, sowie die vom
Abg. v. Zallinger heantragte Aenderung zu den § §
59 und 60 der Gewerbeordnung, wie selbe in
Ihrem geschätzten Blatte vom 1. Jänner v. J. dar-
gethan ist, Gesetzeskraft erlangen sollte, die Sache
von Erfolg wäre, denn wenn die Agentiebewilligung
dem Agenten das Recht einräumt mit Gewerbe-
treibenden des beiderseitigen Geschäftsbetriebes in
Verbindung zu treten und Geschäfte abzuschließen,
so ist den Agenten im Sinne des Gesetzes über
Fremden-Pensionen, wo jedes Kurhaus, wie sich der
Herr Kammerrath auszudrücken beliebte, als ein
Handelsgeschäft betrachtet wird, wieder nicht unter-
sagt, Private in den Kurorten zu besuchen, außer
es würde auch dieses Gesetz abgeändert. Sie würden
alte herzogliche Schloß, woraus Kuaz von Kaufüra
ein General dem Friedrich Herzogen seine 2 Prinzen
Ernest und Albert geraubet hat, weil ihn der Her-
zog aus der türkischen Gefangenschaft nicht rancionirt
hat: in der sächsischen Geschichte ist dieser Fürsten-
raub bekannt: durch einen Kohlbrenner, der im Walde
die dahin gebrachten Prinzen bemerkte, wurde der
Raub entdeckt, und die Prinzen glücklich gerettet.
Von diesen 2 Prinzen sind die Albertinische, und
Ernestinische Linien entstanden. Unter anderen
Klöstern war hier auch ein prämonstratenser Nonnen-
kloster, wo die heil. Gertrud Abtissinn war: man
heißt itzt diese Klosterkirche die Brüderkirche, sonst
hieß sie die Trith Pempelkirche, weil sie und das
Kloster Trith Pempel mit seinen 6 Brüdern ge-
stiftet hat: oben an Frontispice der Kirche ist dieser
Namen in Stein eingehauen: das Klostergebäude
macht itzt die Wohnungen aus, wo das gymnasium
ist und die Professores wohnen. Zur ebenen Erde
sieht da der Gang noch ganz klösterlich her, die
Fenster sind oben oval nach gothischer Bauart. Wir
ließen uns die Kirche aufsperren, suchten alle Winkel
durch, fanden aber weder an Kirchenwänden, noch
an Grabmälern ein Merkzeichen eines gewesenen
Nonnenklosters: die Grabsteine sind ausgerissen, und
mit Brettern überlegt: im Presbyterio stehen nur
noch uralte stalla, wie Chorstalla.
H. Hofmann begleitete uns bis zum Gasthof;
wir zahlten da 1 Thl. 8 Gr., empfahlen uns, fuhren
um 5 Uhr abends weiter, und passirten Wucker,
wo eine schöne steinerne Brücke über den Fluß Fleißa
sich den Kaufleuten in den Kurorten jedenfalls sehr
zum Danke verpflichten, wenn Sie diesen Punkt mit
in Ihr Programm aufnehmen würden. Zunächst
muss aber im Gesetze genau ausgesprochen sein, daſs
bei Besuchen von Privaten zwischen einem Agenten
und einem Reisenden kein Unterschied besteht und
die unverständliche Klausel von Agentiebewilligungen ꝛc.
wegfalle.
(Reichsraths-Wahlkalender.) Außer
den Wahlmännerwahlen in der 4. und 5 Curie sind
im Monate December bereits folgende Wahlen vor-
genommen worden: Am 12. December: Allgemeine
Curie in der Bukowina und in Krain (je 1 Mandat.)
Am 13.: Allgemeine Curie in Galizien (15 M.)
17.: Allgemeine Curie in Dalmatien (2 M.) 18.:
Landgemeinden Bukowina (3 M.) und Landgemeinden
Krain (5 M.) 20.: Städtecurie Galizien (13 M.)
— Nach den Feiertagen beginnen am 3. Januar die
Wahlen u. zw. wählen an diesen Tagen: Die all-
gemeine Curie in Böhmen (18 M.), Overösterreich
(3 M.), Salzburg (1 M.), Steiermark (4 M.),
Mähren (7 M.). Schlesien (2 M.), Tirol (3 M.),
Vorarlberg (1 M.), Niederösterreich (3 M.), Istrien
(1 M.), Görz und Gradiska (1 M.) und Triest
(1 M.); dann die Städte in Dalmatien (1 M.),
Bukowina (2 M.) und Krain (5 M) — Am 5.;
Die allgemeine Curie in Kärnten (1 M.) — 7.:
Der Großgrundbesitz in Kärnten (2 M.) — 8.:
Die Landgemeinden in Böhmen (30 M.), Ober-
österreich (7 M.), Steiermark (9 M.), Tirol (8 M.)
und Vorarlberg (2 M.) — 9.: Die Landgemeinden
in Salzburg (2 M), Schlesien (3 M), Nieder-
österreich (8 M.), Istrien, Görz-Gradiska und Triest
(je 1 M.) —10: Die Städte in Böhmen (32 M.)
und Kärnten (4 M.), Handelskammer in Bukow na
(1 M.), Großgrundbesit in Dalmatien (1 M.) und
Handelskammern in Galizien (3 M.) — 11.: Die
Städte in Oberösterreich (6 M.), Salzburg (2 M),
Steiermark (8 M.), Schlesien (4 M.), Tirol (5 M.),
Vorarlberg, Istrien und Görz-Gradiska (je 1 M.);
dann der 2 Wahlkörper in Triest (1 M.) und der
Großgrundbesitz in der Bukowina (3 M.) — 12.:
Die Städte in Kärnten (3 M.) und die Handels-
kammern in Böhmen (7 M.) — 13.: 1. Wahl-
körper in Triest (1 M.) — 14.: Die Städte in
Niederösterreich (19 M.), Handelskammern in Steier-
mark (2 M), Oberösterreich und Kärnten (je 1 M.),
der Großgrundbesitz in Schlesien (3 M.), Tirol
(4 M.), Istrien und Görz-Gradiska (je 1 M.) —
15.: Der Großgrundbesitz in Böhmen (23 M.),
Oberösterreich (3 M), Steiermark (4 M.), Salz-
burg und Kärnten (je 1 M.) — 17.: Die Han-
delskammern in Niederösterreich (2 M.) — 18.:
Der Großgrundbesitz in Niederösterreich (8 M.)
(Die Armenpflege in den größeren
Städten Böhmens.) In den 44 größeren
Städten Böhmens beträgt der Aufwand für die
Armenpflege die Summe von 2,911.071 K, u. zw.
führt, Zehma, Lehmin, und kamen um 8 Uhr nach
Geßnitz das letzte Städtchen in Sachsengotha. Von
Altenburg bis daher ist chaussée. Wir kehrten in
einem Gasthause ein, wo wir in ein sauberes ge-
maltes Zimmer logirten: es waren sehr viele Fuhr-
und Handelsleute da, daß wir kaum unsere Pferde
noch unterbringen konnten. Zum Soupé hatten wir
eine elende Suppe, 2 geschmacklose Bratwürste, alte
stinkende Butter und Käs, von welchen allen wir
nichts essen konnten. Vor Hunger also mußten wir
uns um 9 Uhr zu Bette legen.
Den 7 Octob. stunden wir um halb 6 Uhr
auf, tranken elenden schwachen Coffé, zahlten 1 Tol.
15 Gr., gaben dem Hausknechte 2 Gr., und fuhren
um 6 Uhr weiter. Wir passirten wieder im kur-
fürstl. Sachsen Mosel, Hainsdorf, Rudenbach, Zwickau
(eine Stadt, wo 4 Compagnies Militair, und eine
von der Artillerie liegen, und ein Zuchthaus ist).
Vor der Stadt exercirte das Militair; in der
Stadt auf dem Platze die Artillerie mit 2 Stücken.
Ohne uns hier aufzuhalten reiseten wir weiter, und
kamen auf Schedowitz, wo wir über eine Brücke
die Molda passirten, und 1 Gr. Bruckengeld zahlten,
Buckau, und auf Silberstrasse zum Mittagmahl. In
dieser Gegend hatten wir schon das große Gebirg
vor unser, auch sind die Dörfer elend gebaut, und
heißt hier mit Recht das arme Sachsen. In dem
silberstraßner Gasthause war es wieder miserable
für uns: es war gerade Donnerstag, und kein Bissen
Fleisch zu bekommen. Wir ordinirten Erdäpfel
mit Butter, und daraufgesetzten Eyern uns zuzu-
in Prag 1,570.700, Pilsen 130.342, Reichenberg
107.744, Teplitz 79.248, Budweis 70.774, Kutten-
berg 63.868, Karlsbad 62.884, Eger 62.750 K
ꝛc. In der Aufwandssumme nimmt somit Karls-
bad den siebenten Rang unter den 44 Städten
ein. Im Verhältnis zu den gesammten reellen Ein-
nahmen dieser Städte beträgt der Aufwand in Per-
centen; in Landskron 34, Prag 12·8, Karlsbad
blos 2 % und hier steht Karlsbad wieder an vor-
letzter Stelle. Von den gesammten reellen Ein-
nahmen pr. 33,953.696 K dieser genannten Städte
leisten diese 8·9 Percent an Aufwand für die Armen-
pflege. Diesen Percentsatz erreichen nur 20 Städte,
während 24 unter demselben stehen.
(Ha-zi!) Au die Stelle freundlicher, mäßig kalter
Winterwitterung ist ein nebelgraues Herbstwetter mit
nasskalten Niederschlägen getreten und fastscheint es so, als
ob diese unfreundliche Stimmung in der Natur anhalten
wollte. Der gewöhnliche Tribut, den solche Tage von
uns fordern, ist ein Katarrh der Athmungsorgane, vulgo
Schnupfen. Wohin man kommt, überall ertönt es da
bald zarter, bald kräftiger „ha-zi!“ „ha-zi!“, worauf zu-
weilen „Wohllein“ oder „Helf Gott“ als Bestätigung er-
folgt. Wohl Niemand, der mit dem frommen Wunsche
einem Niesenden antwortet, gedenkt seines Ursprungs.
Als im grauen Mittelalter der furchtbare Würgengel,
die Pest, auch der schwarze Tod genannt, die europäischen
Länder verwüstete, sollen die ersten Anfänge der furcht-
baren Krankheit sich in heftiger Erkältung, besonders in
vielem Niesen geäußert haben. „Helfe dir Gott!“, das
war der angstvolle Ruf jener Zeit, wo immer das ver-
rätherische Niesen sich hören ließ. Mögen unsere Leser
von dem oft bösactigen Uebel des Schnupfens möglichst
verschont bleiben! G sundheit ist ein unschätzbares Gut,
in seinem Besitze ertragen wir gern des Sturmes Toben
und der Nebel Brauen! „Ja“, wird man uns da viel-
leicht entgegenhalten, „das ist ein guter Wunsch, aber
was haben wir davon — wir haben, ha zi!, trotz aller
frommen Wünsche den Schnupfen, ba-zi!, und wir
werden, ha-zi! ihn gar nicht wieder los!“ Geduld, Ge-
dald! Es ist gar keine Frage, daſs der Schnupfen meist
von selbst ohne Anwendung eines Mittels zur Heilung
kommt. Aber in gar nicht seltenen Fällen besteht der
dri gende Wansch, den Verlauf eines Schnupsens soviel
wie möglich abzukürzen. Unter den vielen Mitteln, die
für solche Fälle empfohlen worden sind, haben sich folgende
noch am besten bewährt. Zunächst versuche man das ein-
fache Mittel, de Dämpfe von Kölnischem Wasser (Eau
de Cologue) durch die Nase einzuathmen. In schweren
Fällen des Schnupfens wende man folgendes Verfahren
an: Ein Theelöffel voll gepuloerten oder gestoßenen
Kamphers wird in ein tiefes Gefäß gethan, welches bis
zur Hälfte mit heißem Wasser gefüllt ist, und die Dämpfe
werden dann durch eine Papierdüte, deren Spitze abge-
rissen ist, und deren breitere Oeffnung das Gesicht des
„Verschnupften“ aufnimmt, innerhalb einer Viertelstunde
eingeathmet. Dieses wiederholt man noch ein- biszweima
richten: wir erklärten der Wirthinn wohl 10 mal
die Art dieser Zurichtung: aber sie machte aus den
Erdäpfeln und Eyern einen Brey, und gab 2 ge-
räucherte, und beinahe petrificirte Bratwürste da-
rauf, die nicht zu kauen, noch zu beißen waren.
Also konnten wir wieder nichts essen, und mußten
mit trockenen schwarzen Brod vorlieb nehmen. Es
kamen noch 2 Kutschen an mit sächsischen Kaufleuten,
Frauen und Jungfern, und diese waren so übel,
als wir daran. Sie kochten sich weiche Eyer, Karpfen-
brut, und ließen sich noch Butter, und Käs geben.
Hier zahlten wir 14 Gr. 8 Pfen., und saßen um
2 Uhr wieder auf dem Wagen. Nun giengs meistens
Berg auf, und überhaupt war weiter übler Weg.
Wir passirten Weisbach, Lindenau, Zechenhäuser (wo
wir links sehr nahe die schöne ganze Stadt Schnee-
berg übersahen, und besser gethan hätten, wenn wir
darauf zugefahren wären), Hundshübel, und kamen
auf Kleinhampel, da es schon finster wurde. Klein-
hampel ist ein Hochofen, einige Eisenhämmer, und
ein liederliches Gasthaus: es liegt mitten in einem
Walde, tief in Thal, ringsherum sind Berge. Wir
konnten in diesem Abgrunde nicht bleiben, wollten
absoluto noch bis Eibenstock. Auf unser Bitten
um einen Bothen kam die Wirthinn hinaus, und
trug uns ihren kleinen Sohn einen Knaben von 11
Jahren zum Bothen an. Weil nun Kleinhampel
schon auf Eibenstock eingepfarrt ist, waren wir noch
froh, daß wir diesen Knaben zum Wegweiser auf
eine Stunde bekamen. Wir mußten ohne Laterne
im tiefsten Walde zwischen Forcht und 1000 Aengsten
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