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Vermischtes. Die spukende Orgel. Ein Geisterspuk eigener Art versetzte Leipzig zu Anfang vorigen Jahr- hunderts in nicht geringe Aufregung: Die Orgel der Paulinerkirche zeigte sich behext. Des Nachts vernahmen die Wächter dumpfen Orgel- klang, als ob einzelne Pfeisen angeschlagen würden, dann brauste und summte es im Gehäuse, ein- zelne Töne drangen schrill hindurch und manchmal klang es wie Seufzen und Heulen. Trotz der Heiligkeit des Ortes hielt man schließlich, nach- dem mehrere Orgelbauer vergeblich an dem Werke herumgekünstelt hatten, die beiden größten Orgelpfeisen, im Principal 14 Fuß, vom Teufel besessen. Als endlich, nach eifriger Bemühung eines Orgelkünstlers, ein gelinder Laut aus diesen beiden besessenen Pfeisen vernehmlich wurde, glaubte man, der Teufel habe dem Lobe Gottes wenigstens etwas Raum geben müssen. So blieb der Orgelspuk bis 1710, wo der Orgel- bauer Scheibe, erbittert über des Teufels Un- verschämtheit, nach vorheriger geistlicher Stärkung, an eine Untersuchung des Werkes ging. Da fand er nun, daß die Mönche, als sie um 1543 das Kloster verlassen, Pergamentblätter mit un- verständlichen Worten und allerhand Charakteren in die beiden renitenten Pfeifen gestopft hatten. Hiermit war der Spuk erklärt und nach vielen erlittenen Schicksalen wurde die Kirche dem all- gemeinen Gottesdienste wieder zurückgegeben. Einen Eisenbahnzug abfechten zu können, dazu dürfte sich wohl nicht immer den Handwerksbur- schen Gelegenheit bieten. Dies Curiosum hat sich dieser Tage auf der Strecke Gera Zeitz abgespielt. Der von Gera 7·05 abends abgehende und in Zeitz 7·49 ankommende Zug konnte aus irgend einem Grunde auf der Station nicht einfahren, sondern mußte auf der Strecke liegen bleiben, an der sich eine Böschung mit am Fuße entlang führender Straße hinzieht. Diese Straße wandelte zur Zeit des Wartens des Zuges ein „Bruder Straubinger.“ Die Gelegenheit benutzend, zog er seinen Hut vom Kopfe und bat Wagen für Wagen um ein Zehrgeld, das ihm auch vom Publicum aus den Fenstern in reichlicher Menge zugeworfen wurde, da man sich über die Findig- keit des Burschen freute. Noch ehe der Zug davonfuhr, war er „abgekläppert,“ und fröhlich zog unser fechtender Handwerksbursche seines Weges weiter. Eine dichtende Küchenfee. Man schreibt den „Münch. N. N.“ aus London: Ada Wilton ist Köchin und Poetin dazu. Auch Dichterinnen müssen essen, und Ada sah sich gezwungen, einer prosaischen Mrs. Stallbraß in Shoreditsch zu dienen, während sie ihr großes Werk „die Rache des Biscount“ schrieb, ein Werk, für das sie be- reits einen Verleger hat, „und mit dem sie einen andern großen Geist, Miß Marie Corelli, in Schatten stellen will“.“ Was kommen mußte, kam. Im kleinbürgerlichen Haushalt ist die Poesie ein Stiefkind, und weil die stolze Dichterin sich dieser Auffassung nicht anbequemte, wurde sie über Knall und Fall entlassen. Sie klagte nun auf einen Monat Lohn und erhielt ihn, und mit Recht. Denn was Mrs. Stallbraß vorbringen konnte, bewies nur, das Ada wirklich eine Dichterin ist. Sie klagte z. B., eines Tages habe sie Ada befohlen, ein Beefsteak für die Kinder zu machen; Ada habe die Pfanne auf's Feuer gesetzt aber kein Beefsteak hineingethan, und wie sie in die Küche gekommen, sei die Pfanne glühend roth gewesen, und das Beefsteak habe kalt wie zuvor in der Speisekammer ge- legen. Hat die gute Dame noch nie von der traumgleichen Insichselbstversunkenheit des Dichters gehört? Ein anderes Mal habe Ada sich im Speisezimmer plötzlich hingesetzt und etwas niedergeschrieben und dabei die Tinte umgeworfen. Adas Erklärung: „Ich kann mir Ideen nicht entgehen lassen)“ hätte genügen sollen. Und dann ihr dritter Grund, ihre Dichterköchin habe sie beständig wegen ihrer Sprache ausgelacht, sie gebeten, „Englisch zu sprechen, da sie Whitechapel nicht verstehe“, und ihr erklärt, sie könne eine Frau nicht ausstehen, die ihre „H“ nicht aus- spreche?“ Ja, du lieber Gott, es ist wohl etwas unangenehm, von der Köchin gesprach- meistert zu werden, aber Ada ist eben eine literarische Puristin, und darauf hätte die gute Mrs. Stollbraß wirklich Rücksicht nehmen müssen. Ada hat jetzt Geld, um ihr Werk in Muße zu vollenden, und „dann“, wie sie sagt, „keine Häubchen und Schürzen mehr für mich,“ wozu alle Londoner Hausfrauen Amen sagen werden! Monumente aus Glas. Eine Gesellschaft für Glasfabrikation in Amerika hat, wie wir einer Mittheilung des Patentbureaus' J. Fischer in Wien entnehmen, vor kurzer Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit durch die Mittheilung erregt, daß aus gewöhnlichem Tafelglas ein dauerhafteres Monument herzustellen ist, als aus dem härtesten Marmor oder Granit, da das Glas thatsächlich unzerstörbar ist. Wind, Regen, Hitze und Kälte werden nach und nach die härtesten Felsen zer- stören, und eine Inschrift auf einem Grabstein, der 50 Jahre lang den Elementen ausgesetzt ist, ist kaum mehr lesbar. Ein Glasmonument würde jedoch nach Jahrhunderten genau so aussehen, wie am Tage der Errichtung und die Inschrift kann unauslöschlich gemacht werden. Daß die Dauerhaftigkeit des Glases eine sehr große ist, dafür und die dicken Glasplatten, die als Fenster überseeischer Schiffe dienen, ein Beweis; sie trotzen den ärgsten Stürmen und sind nahezu un- zerbrechlich. Eine mißglückte Prophezeiung, die von dem Collegium der bayerischen Aerzte im Jahre 1835 ausging, befindet sich in den Archiven der Nürn- bergFürther Eisenbahn. Die Geschichte ist zwar alt, aber so amüsant, daß sie eine Auffrischung verdient. Als vorgeschlagen wurde, die genannte Linie (bekanntlich die erste deutsche Eisenbahn, eröffnet am 7. Dezember 1835) zu bauen, kamen die Aerzte des Landes zusammen und erhoben einen förmlichen Protest dagegen. „Ortsver- änderung vermittelst irgend einer Art von Dampf- maschine“, erklärten sie, „solle im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei den Passa- gieren die geistige Unruhe, „delirium furiosum“ genannt, hervorzurufen.“ „Selbst zugegeben,“ hieß es in dem Protest, „daß Reisende sich frei- willig dieser Gefahr aussetzen, muß der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen; denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnellig- keit dahinrast, genügt, diese schreckliche Krankheit zu erzeugen. Es ist daher unumgänglich nöthig, daß eine Schranke, wenigstens 6 Fuß hoch, auf beiden Seiten errichtet werde.“ Waldidylle. An jenem düsteren Gehänge, zu meinen Füßen den tiefblauen Waldsee, umringt von taufenden himmelhoher Baumkronen, in der Ferne stolzes burgengekröntes Tannengehügel, auf noch ferneren Bergeswipfeln hoch in den Lüften die weißen Firne, wie oft schon träumte ich dort von Glück, Zufriedenheit und Allem, was menschliches Sehnen umfassen mag; und jedesmal, wenn des Lebens Kampf und Noth mir nimmer behagen mag, flüchte ich mich hinaus zu jenem lauschigen Plätzchen um am moosbe- grenzten Busen des Waldes mir Tröstung zu holen, die mir nimmer versagt blieb. Am Abend, freundlicher Leser, mußt du hingehen, in den Stunden des Mondesaufganges, wo jedes Pflänzchen, jedes Blatt, jeder Baum, ja selbst der sonst stumme Waldsee mit dir zu sprechen beginnen, erst von Ferne, kosend und sachte, dann traulicher sich nähernd, immer mehr, bis du ver- meinst, mit wirklichen Lebewesen zu sprechen. Und das beseligende Zwiegespräch, was verräth es dir nicht Alles! Da erzählt eine alte knorrige Eiche vom stolzen Ritterstamme, der einst hier haufte, von stolzen Edelfräuleins, von fremden schönen Edelknappen, von Liebeleien und was da sonst vor sich gegangen; dann kamen Zeiten wilder Kämpfe, das Streitschwert erklang an dieser und jener Stelle, um bald anderen Ereignissen Platz zu machen. Auch das, was ihre Eltern, eben- falls tausendjährige Eichen, ihr hinterließen, theilt sie dir mit: wie stolze Germanenscharen zu Kampf und Streit dem fernen Südenmeere zuzogen, Alemannen, Vandalen, Gothen und wie sie heißen mögen, sie wird dir alle nennen: auch der Opfer, die gefallenen Helden zu Ehren, dem Beherrscher Wallhalls Odin mit Namen, gebracht wurden, erwähnt' sie. — Und du lauscht, ein- samer Weltflüchtling, du lauscht fort jenem Ge- flüster, das dich hineinversetzt in jene Zeit ger- manischer Großthaten, bis endlich ein blaues Waldblümchen dir in süß einschmeichelndem Tone seine Erlebnisse zu erzählen beginnt: „Wie wochen-, monatelang zu bestimmter Stunde ein blonder Jüngling mit einem blassen Mädchen hier zusammenkam, wie sie treuherzig kosten, in seligem Liebesgeflüster vergessend, daß auch die Blumen des Waldes einst ihr Geheimnis ver- dann eines Tages dast rathen könnten; wie Mädchen, blasser als sonst, ihm die Mittheilung machte, daß sie gezwungen würde, einem Manne anzugehören, für den ihr Herz kalt bliebe; und wie dann, in heiligem Liebesfeuer entbrennend, der Jüngling schwur, treu bis in den Tod zu bleiben, mögen des Schicksals finstre Mächte auch Schlimmeres noch verhängen. Andern Tags kam er allein, hier saß er, wo du jetzt weilst, und weinte, weinte bitterlich um das verlorene Lieb', die heiße Stirn am kühlen Moose labend, bis wir ihm Trost einflüsterten; seltener kam er, sein Antlitz trug die Spuren tiefen Herze- leides, bis wir endlich die Glocken des nahen Dorfkirchleins läuten hörten, als man ihn hinaus- trug, wo man euch Menschen alle bettet; leid that' es uns Allen um ihn, denn er liebte uns auch so sehr, wie du; auch dir, wenn du wirst einst zur Ruhe gehen, werden wir Blumen des Waldes unsere Thränen nachweinen, denn wir lieben alle Menschen, die uns und unserem Heim, dem stillen Walde, gut sind. Doch jetzt, da du von uns so vieles gehört, erzähle auch du uns, was dein Inneres bewegt und warum gerade du uns so oft in unserem Heim aufsuchst.“ Und nun erzählst du, wie eine sturmbewegte, drang- salvolle Jugend dich früh zum Manne gemacht, wie heiß du geliebt, wie du so oft im Leben Enttäuschung schon erlebtest und vieles Andere mehr; doch auch der Stunden des Glückes, die dich eben den Wald und seine Bewohner lieben lernten, vergissest du nicht; du erzählst, wie du in tiefernster Stunde das erste mal versuchtest im Walde Vergessen zu finden, wie dir auf dem einsamen Waldwege ein Mädchen, schön wie ein Frühlingsmorgen, begegnete, deren Haare blond und deren Augensterne denen des Rehes glichen, wie du zufällig mit ihr sprachst und wie es von dieser Stunde an um dich geschehen, wie du sie öfter sahest, wie mit jedem Male du mehr und mehr den Drang in dir fühltest, diesen Engel dein Eigen zu nennen. Du erzählst, wie du mit ihr von der Schönheit des Waldes, die sie be- geistert pries, und von der Güte der Menschen, denen der Wald Heimat ist, gesprochen, wie sie dir dann sagte, daß auch sie sich zu jenen von dir Bevorzugten zählen dürfe, da sie ja sogar im Walde, als Försterstochter geboren sei — — lauschest einen Augenblick, still alles rings- um; — nur die Waldblümlein und die viel- blättrigen Farren stecken die Köpfchen zusammen, was mögen wohl die sich zu sagen haben? Doch nun erzähle weiter — ; du erzählst ihr, wie du dich glücklich fühltest, gerade mit ihr in dieser Ansicht übereinzustimmen, was sie mit dem er- widerte, daß sie dich ja schon einige Zeit als guten Menschen kenne, wie du dann, ermuthigt, sie frugst, ob ein guter Mensch auch werth sei, von anderen Menschen geliebt zu werden, worauf nach ihrer bejahenden Antwort das entscheidende Wort von deinen Lippen fließt, erst zurückhaltend, dann weniger zaghaft, und schließlich feurig, wie das Abendroth, das die Wipfel der Berge all- abendlich umsäumet: „Und nun, holde Waldfee, könntest du auch dem gut sein, der seit dem erstenmale, wo er dich sah, um deinen Besitz zu sterben im Stande wäre, der dich so heiß, so wahr liebt, wie ein Mann nur lieben kann?“ Das beseligende „Ja“, es kam von ihren Lippen, die schon lange, lange seither der Tod als Er- löser aus langem Leiden geküßt. — Da nahen sie dir, deine Zuhörer, sie laden dich mit trost- reichem Geflüster, sie kosen mit dir, der du so viel Leid und so viel Glück im Leben schon ge- nossen; ermattet lehnst du dich zur Seite, um stillen Träumen nachzuhängen. Schon entsteigen sie den Fluten des Waldsees, die Nymphen, die sich dir dann schüchtern nähern, um zu kosen mit dir, dem irdischen Menschen und von den Blumen des Waldes zu hören, was du erzähltest. — Nun führen sie rund um dich, den stillen Träumer, die nächtlichen Reigen auf, erst lang- sam, dann immer wilder und wilder, bis sie dir zurufen: „Komm mit und erzähle uns“, was dich aus deinen Träumen weckt. Und wenn du um' dich schaust, steht der bleiche Mond schon hoch am Himmel, was dich bewegt, dein Heim aufzusuchen mit der inneren Ueberzeugung, dem- nächst dem geliebten Walde wieder einen Besuch Anton Kern. abzustatten. Heitere Ecke. Ein Vorsichtiger. „Warum kommst Du denn nicht mehr zum Lindenwirth auf ein Glas Wein? — „O, der hat seinen Sohn Chemie studieren lassen, und der ist jetzt zu Hause.“
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