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Nr. 44.
Sonnabend, 30. Mai 1896.
33. Jahrgang.
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vormals
Der Fall Riedling.
Die Vorwoche brachte einen lehrreichen Schwur-
gerichtsprozeß vor die Wiener Geschworenen.
Herr „Bankier“ Riedling saß auf der Anklage-
bank und vertheidigte mit Gewandtheit das Recht
des „Commissionärs“, seine gewinnlüsternen
Clienten „abzukrageln“. Und als Opfer ließ der
Staatsanwalt in bunter Reihe Stubenmädchen,
Rabbiner, Kanzleidiener, Private, Briefträger,
ja sogar Pfründner aufmarschieren, die alle vom
Spielteufel besessen, dem Angeklagten ihre Er-
sparnisse anvertraut hatten, Tausende und
Hunderttausende umsetzten, ohne auch nur die
leiseste Ahnung von der Börse zu haben. Herr
Riedling aber vertheidigt sich damit, die Geschäfte
„in sich“ gemacht und nichts anderes gethan zu
haben, als die großen Banken, und die verdäch-
tige Sympathie, mit welcher die Wiener Presse
den Angeklagten begleitet, die Beisallskundgebungen,
welche die Zuhörerschaft den entlastenden Augen-
blicken des Beweisverfahrens spendet, läßt beinahe
glauben, daß Herr Riedling mit seiner Berufung
auf die Großbank nicht so ganz im Unrechte ist.
Wenn Herr Riedling verurtheilt wird, wird
er eben nur einen Beleg für das alte Wahrwort
von den kleinen Hallunken bilden, die man hängt,
während man die großen Hallunken laufen läßt.
Was ist der kleine Riedling gegen den großen
Baron Hirsch, was ist er gegen den Herrn von
Taussig — was kann er dafür, daß er blos
seine unmittelbaren Klientel rupfen durfte, wäh-
rend jenen erleuchteten Häuptern die Rupfung
ganzer Völker möglich war.
Darum kann ein Prozeß, wie der Prozeß
Riedling, zwar eine vorübergehende Genug-
thuung gewähren, aber er kann nicht befriedigen.
Er ist so unbefriedigend, wie es ein Strafgesetz
wäre, das Diebstähle von Beträgen unter hundert-
tausend Gulden strafen, und solche über hundert-
tausend Gulden straffrei erklären wollte.
Aber selbst größere Strenge des Strafgesetzes
wäre nicht genügend, Wandel in der Aus-
beutungsthätigkeit der Börse zu schaffen. Es
thut noth, das Uebel an der Wurzel zu fassen.
Die Wurzel ist aber nicht blos die Gewandtheit
des Betrügers, der leichtgläubigen Menge den
sauer erworbenen Sparpfennig zu entreißen —
vor welcher Gewandtheit wohl der strafende Arm
der Gerechtigkeit schützen mag — die Wurzel ist
auch der instinctive Drang von Tausenden, an
der Gewinnung neuer Werthe theilzunehmen.
Dieser Drang ist ein rein menschlicher — aber
ihn zu befriedigen, bietet sich im Zeitalter der
Vereinskommission kaum ein anderes Mittel dar,
als das am wenigsten geeignete, am wenigsten
gesunde: jenes der Spekulation, d. i. des bloßen
Spielens und Wettens auf den Eintritt von
Coursbewegungen, welche der Spekulant nicht
beurtheilen kann. Und je niedriger der Zinsfuß
der Sparkassen wird, desto reichlichere Opfer
fordert daher der Spielteufel.
So führt uns der Strasprozeß der Vorwoche
zu dem Gedanken, auch dem kleinen Kapitale
eine Möglichkeit zu gewähren, unabhängig
von Leuten — wie Herr Riedling — fern vom
bloßen Spiele — an jenen Gewinnen theilzu-
nehmen, welche heute der Großbank vorbehalten
sind, jener Großbank, die sich auf der einen
Seite des billigen Zinses ihrer Leihgelder freut,
und auf der andern Seite die Gewinne der von
ihr befruchteten Industrien einsackt, die Gesell-
schaften mit beschränkter Hastung — ein Mittel-
ding zwischen Aktiengesellscht und Genossenschaft
— weiche die deutsche
gesetzgebung schuf,
dieser Richtung
geben uns das Bil-
unternommenen V
wie der Fall
diesen Ver-
Riedling, werde.
such zu würdigen.
Moskau.
Die Krönung
Unter ungeheurem Pomp und einem äußerst
umständlichen und mannigfaltigen Zeremoniell hat
sich am 26. d. M. Zar Nikolaus die russische
Krone nach Vorschrift selbst auf das Haupt ge-
setzt und berührte mit derselben auch das Haupt
der Kaiserin, welcher er dann ihre eigene kleine
Diamantenkrone aufsetzte. Mit Purpurmantel
und Szepter legte dann Zar Nikolaus das ortho-
doxe Glaubensbekenntniß und das Krönungsge-
löbniß ab und betete dann mit lauter Stimme
das herkömmliche Zarengebet um eine gottge-
segnete glückliche Regierung. Ein Heer von
Deputationen in allen Trachten, Uniformen und
geistlichen Prunkgewändern, das Blinken zahl-
loser Waffen, Schmuckstücke und Ehrungszeichen,
das Wallen der Weihrauchwolken, der ununter-
brochene Klang der Glocken, das Donnern der
Geschütze zwischenhinein in das Spiel der Musik-
chöre und in die Gesänge zahlloser Gruppen der
angesammelten Volksmassen: Alles zusammen
ein betäubendes, überwältigendes Bild, welches
die geschichtliche und thatsächliche Stellung und
Bedeutung des Zarenthums zur Anschauung bringt.
Abschied.
Ein Bild aus dem Volksleben meiner Heimath.
Von Th. Ebner.
Ja, nun war es wirklicher und wahrhaftiger Ernst
geworden. Er wollte heute Abend Abschied nehmen.
Als die alte Stasi diese Botschaft heute
Morgen im Auftrage des Seppl Hieronimy der
schwarzen Marga überbrachte, war diese in die
Seele hinein erschrocken.
Also fort wollte er, fort in die Welt und sie
sollte allein zurückbleiben in dem Dorfe, wo nun
alles mit Fingern auf sie zeigen würde.
Sie war ein wildes und leidenschaftliches
Ding, die Marga, und sie hat ihr ganzes Herz
an den hübschen Sepp gehängt.
„Unsinn!“, hatte sie sich tausendmal gesagt,
„was will er von dir! Ein Sündkind bist und
bleibst du, und er ist ehrlicher Leute Sohn —“
Aber wenn er des Abends an ihrer Hütte
vorbeiging, da stand sie am Zaune, und ihre
Augen glänzten, und sie lachte ihm von weitem
entgegen —
Sie wußte, daß sie schön war, die Marga.
Ob die Schönheit ein Erbstück von Vaters oder
Mutters Seite her war, das freilich konnte sie
nicht sagen. Gekannt hatte sie keines von Beiden.
Man hatte das arme Würmchen mit den dunklen
Augen eines Tages draußen auf der Landstraße
gefunden. Etliche Stunden zuvor war eine
Gauklerbande auf elendem Karren des Weges
gezogen — die Gemeinde hatte sich des verlas-
senen Kindes erbarmt, man hatte es aufgefüttert
recht und schlecht — und eines Tages hatte man
entdeckt, daß der arme Balg bei dieser elenden
Kost zu
einer wilden Schönheit emporgewachsen
war, die kein Bursche des Dorfes ansehen konnte,
ohne daß ihm das Herz schlug.
Wer das Gerücht aufgebracht hatte, wußte
niemand, aber bald ging es flüsternd von
Mund zu Mund, die Marga sei eigentlich
gar kein leibhaftiges Menschenkind, sie sei ein
Vampyr, der sich nur von warmem Menschen-
blut nähre, und etliche behaupteten steif und fest,
sie haben sie schon des Nachts aus ihrer Hütte
fliegen sehen. — — Die alten Weiber schlugen
ein Kreuz vor ihr, wenn sie ihr begegneten, die
jungen Mädchen gingen ihr scheu aus dem Wege,
und selbst der alte Pfarrherr konnte sich eines leisen
Grauens nicht erwehren, wenn die wilde Marga auf
der Gasse nach seiner Hand haschte, diese zu küssen.
Und sie that das doch nur, weil sie ihm ihr
Leben verdankte. Das war damals gewesen, als
der Steiner Lorenz, ein tollkühner Bursche, eines
Morgens todt aufgefunden worden war, gerade
vor der Hütte der Marga. Blutiger Schaum
war ihm vor dem Mund gestanden, und zwischen
seinen krampfhaft zusammengeballten Fingern hielt
er ein Büschel schwarzer Haare, just so schwarz,
wie die des Sündkindes, der Marga. In hellen
Haufen waren sie damals vor ihre Hütte gezogen
— Steine flogen gegen die Fenster, „Heraus mit
der Hexe!“ schrieen etliche, und als zwei tolle
Burschen in die Hütte drangen und die Marga
herauszerrten, daß sie niederknieen solle an des
Lorenz Leiche und sich schuldig bekennen seines
Todes, da wäre es wohl um sie geschehen ge-
wesen, wenn nicht just der Pfarrherr den Weges
gekommen und zwischen sie und den wilden Haufen
getreten wäre.
Ihm hatte sie es ja damals auch gestanden,
wie es gekommen war. Der Lorenz hatte sie
schon lange mit seinen schändlichen Anträgen ver-
folgt, sie hatte ihm mehr als einmal die Zähne
gezeigt und ihn etliche Male mit zerschundenem
Gesicht gar unsanft vor die Thür gesetzt. Die
wilde Katze verstand das Beißen und Kratzen —
und sie wehrte sich schonungslos gegen seine rohe
Kraft. Aber er hatte sich's geschworen mit einem
gotteslästerlichen Fluch, sie zu bewältigen, und
was er sich schwur, der Steiner Lorenz, daran
hielt er fest. Wie ein Dieb hatte er sich in einer
dunklen Nacht eingeschlichen in ihre Hütte —
aber die Marga hatte sich gewehrt, Leib gegen
Leib hatte sie mit ihm gerungen, ihre Kräfte
wollten erlahmen — noch einmal raffte sie sich
zusammen — die Thür, an die sie ihn
schleuderte, krachte unter der Macht seines
Körpers zusammen — über die Steintreppen
hinunter fiel er — dann ein harter Schlag
— ein kurzes Stöhnen noch eine Zeit lang —
dann war es still. Die Todesangst hatte die
wilde Marga in eine Ecke getrieben. Dort harrte
sie des Morgens. Dort vernahm sie die Stimmen
derer, die den Lorenz gefunden — kalt und starr
— und als sich viele Hände nach ihr ausstreckten,
sie aus ihrem Versteck herauszuzerren, da ließ
sie sich willenlos fortschleppen zu der Leiche des
wilden Burschen.
Sie war vor Gericht gestanden und freige-
sprochen worden — aber seitdem sie eines Nachts
heimgekommen aus der Kreisstadt, lebte sie wie
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