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Nr. 93. Mittwoch, 20. November 1895. 32. Jahrgang. eitur vormals Gemeinde=Zeitung für Asch und Umgegend. Tagesneuigkeiten. Die russische Kaiserin ist am 15. November von einem Mädchen entbunden worden. Zur Verhaftung des Panamalumpen Arton wird aus London gemeldet: Arton wohnte seit mehr als acht Monaten in einer der südlichen Vorstädte Londons, woselbst er ein Geschäft be- trieb. Seine Tochter wohnte bei ihm. Bald nach seiner Ankunft hier wurde der Verdacht gegen ihn rege, weil er oft große Summen französischer Geldnoten gegen englische umtauschte. Zahlreiche französische Polizeiagenten kamen nach London und eine lebhafte Korrespondenz entwickelte sich zwischen der Pariser und Londoner Polizei. Samstag bewachten englische Detektives in Begleitung eines französischen den Laden Artons. Nachmittags sprach ein Detektiv Arton an. Dieser nannte sich zuerst Henry Newmann, unter welchem Namen er hier lebte. Allein der Detektiv sagte zu ihm: „Ihr Name ist Arton, ich bin Polizist, und hier ist ein fran- zösischer Polizist, der Sie erkannt hat. Ich ver- hafte Sie wegen betrügerischen Bankerotts und wegen Theilnahme bei Herauslockung von Geld unter falschen Vorspiegelungen.“ Arton ant- wortete sofort: „Mein Name ist wirklich Arton; ich bitte Sie um Himmelswillen, machen Sie keine Szene, wir wollen ein Cab nehmen.“ Alle stiegen in ein Tab, wo der Detektiv den Ver- haftungsbefehl gegen Arton vorlas. Arton er- klärte, er brauche hier nicht zu antworten. Lynchjustiz auf dem Friedhofe. Ein häßlicher Auftritt ist, wie erst jetzt bekannt wird, am Sonntag auf dem Schöneberger Friedhose in Berlin bei der Beerdigung des Zimmermanns Buch- holz vorgekommen. Die Frau des Verstorbenen war vor 4 Jahren mit einem Bauarbeiter nach Amerika durchgegangen und Beide kehrten vor 6 Monaten nach Berlin zurück. Von Seiten des in Schöne- berg lebenden Buchholz wurde nun sofort die Ehescheidungsklage gegen die Ehebrecherin einge- leitet, doch starb der Gatte, bevor die Angelegen- heit gerichtlich ausgetragen war. Hieraus wollte die Frau Vortheil ziehen und sich aus der Sterbe- kasse die Witwengelder zahlen lassen. Sie er- zählte cynisch ihren Bekannten: „Wenn nur erst der Klimbim auf dem Kirchhof vorbei ist und ich mein Geld hab, dann gebe ich mit Freuden ein Faß Bier zum Besten!“ Diese Aeußerung war bekannt geworden und hatte es wohl auch hauptsächlich veranlaßt, daß sehr viele Arbeiter- frauen den Kirchhof aufgesucht hatten. Die Buch- holz erschien auch wirklich auf dem Kirchhof und brachte ihren Liebhaber mit. Als der Geistliche in seiner Rede auf die eigenthümlichen Verhält- nisse anspielte und sagte, daß doch Alle, die ein Unrecht gethan, dies hier an der ernsten, geweihten Stätte Angesichts des Todes bereuen und die begangenen Fehler wieder gut machen sollten, da trat auch Frau Buchholz an die offene Gruft, sank auf die Knie und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Die anwesenden Frauen hielten dies für Heuchelei. Als der Geistliche sich entfernt hatte, stürzten wie auf ein gegebenes Signal die Frauen auf die Buchholz los, entrissen ihr den Kranz, warfen ihr denselben über den Kopf, und versuchten sie in das Grab zu zerren. Die Ueberfallene wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung, sie wäre aber doch wohl von den außer sich gerathenen Frauen in das Grab ge- stoßen worden, wenn ihr nicht ihr Geliebter im Augenblick der höchsten Gefahr beigesprungen wäre. Der Mann wurde zwar so energisch zurückgeschlagen, daß er sich in die Leichenhalle flüchten mußte, aber immerhin hatte er doch er- reicht, daß die Buchholz ihre Angreifer aus der gefährlichen Nähe des offenen Grabes drängen konnte. Die Buchholz wurde nun übel zuge- richtet, man spie ihr ins Gesicht, schlug und stieß von allen Seiten nach ihr, Hut und Haare wurden ihr zerzaust, das Jacket zerrissen und keiner der anwesenden Männer beschützte die Miß- handelte. So wurde sie aus dem Kirchhof hinaus- gestoßen. Auf der Straße rettete sie sich in eine der bereitstehenden Trauerkutschen. Die Menge gönnte ihr aber die Zuflucht nicht und riß sie aus dem Wagen. Damit war die Sache beendet; die Strafe war erfolgt und nun ließ man die Frau laufen. Die Wirkung der kleinkalibrigen Gewehre. Der Afrikareisende Eugen Wolff, der die fran- zösische Madagaskar-Expedition begleitet, schildert die Hinrichtung von vier Eingeborenen durch Er- schießen und berichtet dabei über die Schußwirkung des kleinkalibrigen Lebelgewehrs folgende Be- obachtungen: Man war der Ansicht, daß die Lebelkugel eine furchtbare stern- oder vielmehr strahlenförmig auseinanderklaffende Ausschuß- öffnung verursache, und daß der Körper durch den einzelnen Schuß ganz entstellt werde. Dies scheint jedoch nur dann der Fall zu sein, wenn die Kugel vorher auf Widerstand, das heißt auf einen sehr harten Gegenstand, etwa einen Metall- knopf, eine Uniformschnalle, eine Uhr oder auf einen Knochen gestoßen ist. Blutspuren waren auf der Brust und auf dem Rücken der Uniform- stücke, als ich die Blousen aufknöpfte, kaum zu sehen. Die Einschußöffnungen waren so klein, so fest geschlossen, daß man die meisten erst suchen mußte; nicht ein Blutstropfen zeigte die Ein- schußöffnung an, nur ein kleiner, runder, grau- blauer Punkt; die Haut am Einschußloche schloß sich sofort wieder, wenn man sie auseinander- breitete. Ein Gleiches fand ich an der Ausschuß- öffnung auf dem Rücken der Todten; auch hier dieselbe Erscheinung, kein Blutaustritt, das Aus- schußloch fest geschlossen, kaum sichtbar in einem grünlich-grau braunen Fleck, daher innere Ver- blutung. Ich habe keinen der Leichname geöffnet, was ich zuerst vorhatte; doch da sich keiner der anwesenden Aerzte für den inneren Befund zu interessiren schien, stand auch ich davon ab. Was nun den Knochenschuß betrifft, so habe ich mich überzeugt, daß da, wo die Lebelkugel auf Knochen trifft, sie eine furchtbare, melinitartige Zerstörung anrichtet, das heißt, alle auf ihrem Wege be- findlichen Knochen etwa nicht wie ein abgeschossener Bohrer spiralförmig durchsaust und ein glattes Loch in der Masse der Kugel hinter sich läßt, sondern daß sie ganz entsetzlich wirkt. Von den Schädeln blieben (infolge des Gnadenschusses, der noch nach Abgabe der Exekutionssalve gegen jeden der Einzelnen der aus allernächster Nähe durch das Ohr ins Gehirn Erschossenen abgefeuert wurde) nur Bruchstücke übrig; bei einem der Er- schossenen konnte ich vom Schädel überhaupt nichts mehr vorfinden, die weiche, schwammige, weiße, warme, rauchende Gehirnmasse lag dem Exekutirten im Schooße. Salamonisches Urtheil. Ein siamesischer Richter hat sich kürzlich als ein neuer „Salomon der Weise“ bethätigt. Zwei Brüder in Bangkok übergaben einen Sack mit Gold einer alten Frau und schärften ihr ein, ihn nur beiden auf gemeinsames Verlangen wieder auszufolgen. Schon am nächsten Tage fand einer der Brüder sich bei der alten Frau ein und redete ihr so angelegentlich zu, daß sich sich bewegen ließ, ihm den Sack zu überliefern. Der hierdurch ge- schädigte Bruder trat klagbar auf, und der Richter, dem die Entscheidung zufiel, urtheilte also: „Das Gold ist im Namen zweier Personen deponirt worden. Ich kann den Fall nur dann zum Austrage bringen, wenn auch die Klage gegen die alte Frau im Namen derselben zweif Personen vorgebracht wird.“ Es wird etwas schwer sein, dem Verlangen des Richters zu entsprechen! Eine Million Frauen und Mädchen gibt es nach den auf Grund der Berufs- und Gewerbe- zählung erfolgten neuesten Zusammenstellungen des Statistischen Amtes in Deutschland mehr als Männer. Die genauen Zahlen lauten: 26,352.430 gegen 25,405.934. In der Stadt Berlin wurden 845.180 Personen weiblichen Geschlechts gegenüber 769.902 Männern gezählt — sie sind also um etwa 75.000 im Uebergewicht. Und ähnlich, wenn auch schwankend in dem Prozentsatz, steht das Verhältnis in den meisten deutschen Bundes- staaten. Nur Schaumburg=Lippe und Elsaß- Lothringen machen eine Ausnahme, denn dort gibt es 202, hier sogar 22.000 Männer mehr als Frauen, die aber bei Elsaß-Lothringen allein auf das Konto der starken Garnisonen zu setzen sind. — Auch in fast allen preußischen Provinzen überwiegt das weibliche Geschlecht, nur Schleswig- Holstein, Hannover und Westphalen zeigen kleine männliche Majoritäten. Die Holzrechtler. Roman aus dem Fichtelgebirge von G. Schätzler-Perasini. (Nachdruck verboten.) Derselbe hatte sich vor langen Jahren ein- mal im Schlosse aufgehalten und hatte gern mit den Dörflern verkehrt, besonders mit einer von den Töchtern der Bauern. Dann war er bald darauf verreist — um nie mehr für längeren Aufenthalt hierherzukommen. Der Förster blieb bei diesem Gedanken unter den Tannen stehen und murmelte einen Namen. „Monika Lechner! Wenn hier der wunde Punkt wäre, wo ich bei dem neuem Herrn mich so festsetzen könnte, wie bei dem alten?“ Aber er mußte wohl selbst daran zweifeln, denn er schüttelte heftig den Kopf und rannte weiter. Wenn der neue Herr, der eine bevor- zugte Stellung in der Residenz, ja sogar bei Hofe erreicht hatte, mit denselben Ansichten, wie er sie vor langen Jahren von den Bauern des Dorfes hegte, hierherkam — dann war der Förster Waldner lahmgelegt. Diese Gedanken versetzten den bis dahin all- mächtigen Mann in wahre Wuth, so daß er wie toll durch den dunkeln Forst lief. Was kümmerte ihn die Nacht, die drohenden Wolken am Himmel, durch welche nur selten der Mondstrahl fiel und einen fahlen Schimmer auf die Lichtungen warf, was das deutlicher werdende Donnergrollen aus der Ferne, das Aechzen und Stöhnen der von Sturm niedergedrückten Bäume! Das war ein Wetter, wie es gerade für sein empörtes Innere paßte! Er achtete nicht einmal auf die Richtung, welche er nahm, so daß er gar nicht bemerkte, daß er in einem Bogen wieder gegen das Dorf zugekommen war. Plötzlich stutzte er. Aus dichtem Gebüsch tretend, befand er sich auf einer Waldlichtung, über welche der Mond, durch einen Wolkenriß schauend, einen grellen Lichtschein warf. Waldner blieb stehen. Der Athem drang ihm keuchend aus der Brust. Er mied diesen Ort �am Tage, wenn es irgendwie möglich war, in der Nacht aber kam er erst recht nicht mehr hierher. Nicht mehr! Denn einmal stand er hier, in der Nacht von Mariä Geburt vor fünfzehn Jahren. Was damals geschah, das lag als Ge- heimnis im tiefsten Grunde seiner Bruft gebettet. Hier hatte er einen Gegner todt vor sich liegen sehen, das brechende Auge zum Nacht- himmel emporgerichtet, der damals klar wie ein Riesenzelt, geschmückt mit tausend funkelnden Sternen sich über die Welt spannte. Wie sich die Sache damals verhielt, dies wußte unter allen Lebenden nur der Förster Waldner — und noch Einer. Angenehm war die Erinnerung nicht, denn der Förster knirschte hörbar mit den Zähnen. „Muß mich der Teufel gerade hierher führen!“ stieß er durch die Lippen. Der heftige Wind hatte vorhin eine schwarze Wolke über den Mond gejagt, so daß Waldner eine Weile im Dunkeln stand. Jetzt fuhr von Neuem ein Windstoß über den Forst, rüttelte die Baumkronen, daß sie ächzten und brach splitternd die Aeste. 2. Beilage.
Dateiname: 
soap-ch_knihovna_ascher-zeitung-1895-11-20-n93_4185.jp2