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einst den Anspruch auf die deutschen Kolonien
im Süden und Osten Afrikas erheben, da ja
ein „englisches Afrika zu den stolzesten, mit be-
harrlicher Zähigkeit verfolgten Träumen der
Engländer gehört?“
arum heißt es wachsam sein und vorzu-
bauen. Doch eine neue Hoffnung leuchtet aus
all den Trübnissen: Die Begeisterung, die die
deutschen Völker durchflammte, war echt und
groß, man fühlte sich eins mit dem Brudervolk
der Buren, das gleiche Art, Sitten und Sprache
mit uns verbanden. Der träge Deutsche, der
früher in stiller Selbstzufriedenheit und über-
großer Bescheidenheit dem Treiben draußen in
der Welt müßig zusah, ist gewachsen; er sitzt
nicht mehr still am Kamin, wenn die großen
Fragen der äußeren Politik die Welt beschäf-
tigen. Mitreden will er und mitkämpfen, das
hat der Burenkrieg gezeigt und die Chinawirren
haben es unzweifelhaft bewiesen. Das deutsche
Nationalbewußtsein hat sich mächtig entwickelt.
Und noch eins: Mit diesem erfreulichen An-
wachsen des deutschen Bewußtseins im Reiche,
wächst das Interesse für das Deutschthum im
Auslande.
Das Mutterland gedenkt seiner Söhne fern
der Heimat. Wo es früher vornehm zurück-
stand, zeigt es heute warme Fürsorge. Mit
Wehmuth und Stolz verfolgt man die harten
Kämpfe, die Deutsche an verschiedenen Stellen
der Erde für ihre herrliche Nationalität
kämpfen, es beginnt sich allmählich um all die
Sprossen der Mutter Germania in der weiten
Welt ein engeres Band zu schließen. Wer hätte
vor Jahresfrist gedacht, daß sich das Verhältniß
zwischen Deutschen und Vlämen so warm gestalten
würde? Es ist ein gutes Zeichen für die natio-
nale Selbstständigkeit der Deutschen, daß der
alldeutsche Gedanke so mächtig Wurzeln treibt.
Und doch ist ein vielversprechender Zweig
des wachsenden Baumes abgestorben. Wie lange
noch und die letzten Buren werden ihre Waffen
niederlegen müssen; der Verzweiflungskampf naht
seinem Ende. Der greise Vater seines Volkes,
der treue Krüger mußte Abschied nehmen von
seinem Volk und Vaterland, um das schwerste
Opfer zu bringen: bittend für seine Stammes-
genossen von Fürstenhof zu Fürstenhof, von
Reich zu Reich zu wallen. Zwei Menschenalter
hindurch lebte er für sein Vaterland, alle Kämpfe
hat er redlich mit durchgekostet, nur am Ende des
Lebens, wo Andere die Früchte ihres Strebens
ernten, muß er die Heimath verlassen, wo er
einst zu ruhen hoffte in freier Erde, um den
letzten Gang zu thun für der Buren Freiheit.
Wer weiß, ob es nicht sein letzter Gang ist auf
dieser Erde, ob er nicht fern der Heimath zur
ewigen Ruhe eingeht .... Und wenn nun in
nachtdämmernder Stunde die letzten Buren durch
die Reihen der Engländer schleichen, um ihre
Farm noch einmal zu schauen, die ihnen Ruhe-
stätte und Glück gewesen war, die Gräber
zu segnen, da das Weib ruht, das teure und
die vielgeliebten Kinder, um zum letzten
Male den heimathlichen Sternenhimmel zu
grüßen und dann dem Lande den Rücken Zu
kehren, das ihr Vaterland war vor Gott und aller
Welt mit Rechten, da mögen sie mit herbster
Bitterkeit und gottverlassener Verzweiflung
scheiden, um sich in aller Welt zu ver-
lieren, wo sie fremd sein werden und glück-
los. Denn kein Harald kommt, von König
Frode gesandt, um die letzten Buren — wie
einst die letzten Gothen nach ihrem Verzweiflungs-
kampfe am Vesuvius — heimzuholen in's nor-
dische heimathliche Land, zur Insel Thule, „die
der Treue Insel sein soll, wo noch Ehre gilt
und Eid.“ Versprengt und einzeln ziehn sie
fort, und der Feind lästert ihrer, denn er hat
keine Achtung vor einem besiegten edlen Volke.
Kein Narses wird den toten Führer mit Lor-
beer bekränzen und vor dem letzten Herrscher
seine Knie beugen; Albion ist zu klein für solche
Größe.
Aber noch ist die letzte Stunde nicht ge-
kommen. Wer weiß, was der Zeiten Lauf, die
kommenden Jahrhunderte noch bringen. Das letzte
Urtheil über diesen Krieg wird die Geschichte
fällen; wohl denen, die dann bestehen können:
denn die Weltgeschichte ist das Weltgericht.
Max Wirth.
Burenansiedlung auf deutschem
Boden.
Bekanntlich beschäftigt man sich im Deutschen
Reiche in natinalen und colonialen Kreisen leb-
haft mit der Frage, ob und unter welchen Be-
dingungen die etwa nach Norden ziehenden, oder
wie in diesem Falle der niederländische Ausdruck
lautet, trekkenden Buren, deren Freiheitssinn das
Leben unter der englischen Zwingherrschaft ver-
meiden will, in das deutsche südwestafrikanische
Siedelungsgebiet aufzunehmen und für dasselbe
nutzbar zu machen seien. Die Anregung wurde
vielfach mit Freude begrüßt und die Berl. „D. Zig.“
machte auch den Vorschlag, einen größeren Theil
der für die Buren gesammelten Gelder für diesen
Zweck zu verwenden.
Aber auch in Deutsch=Südwestafrika selbst
steht man dieser Frage wohlwollend gegenüber,
wie aus nachstehender Mittheilung der „Deutschen
Colonialzeitung“ hervorgeht.
Das genannte Blatt veröffentlicht nämlich ein
Schreiben aus Grootfontein vom 14. Juli d. J.,
wonach sich im District Grootfontein —Otavi (Nord-
bezirk von Deutsch-Südwestafrika) auf Veranlas-
sung des Herrn Oberarzt Dr. Kuhn, Leutnant
Eggers und Kaufmann Günther Fischer eine neue
Abtheilung der deutschen Colonialgesellschaft
gebildet hat. Wie es weiter in dem Schreiben
heißt, hoffen die Betheiligten bei einer etwaigen
Bureneinwanderung der deutschen Sache durch
das erfolgte Zusammenschließen der deutschen und
der niederdeutschen Elemente nützen zu können.
Sämmtliche Mitglieder der Ortsgruppe würden
eine Bureneinwanderung mit Freuden begrüßen:
die der Ortsgruppe bereits angehörenden Buren
würden ihren Einfluß auf die Ankommenden
geltend machen, um eine deutsche Gesinnung bei
ihnen zu erwecken.
In derselben Frage hat der Marinestabsarzt
Dr. Sander, der sich wiederholt jahrelang in
Südafrika aufgehalten hat, in den „Beiträgen
zur Colonialpolitik“ einen Aufsatz veröffentlicht:
„Sollen die Buren in Südwestafrika zur Ansied-
lung gelangen oder nicht.“ Dr. Sander ist ganz
für die Zulassung, ähnlich wie andere Kenner
von Südwestafrika. Dr. Sander weist nach, daß
das Urtheil über die Buren auch heute noch
völlig beeinflusst wird durch die Darstellungen
von englischer Seite, in jedem einzelnen Falle
legt er dar, daß die Schilderungen der Englän-
der über die Buren einseitige und parteiische sind,
die bei ihrer nähreren Betrachtung unhaltbar
sind. So wird dem Buren vorgeworfen, er
behandle die Eingeborenen schlecht und rufe daher
leicht Aufstände hervor. Dazu bemerkt Dr. Sander:
„Gerade in diesem Punkte spielt die von Living-
stone aufgebrachte specifisch englische Auffassung
des Buren am meisten mit. In aller Harmlo-
sigkeit und echt englischem Pharisäerthum beklagt
er, nachdem er eben erst geschildert hat, wie ge-
fährdet durch Eingeborene der einsam auf seiner
abgelegenen Farm lebende Bure sei, sich bitter
darüber, daß die Buren es als rechtmäßigen
Grund für einen regelrechten Kriegszug gegen
ein Eingeborenendorf betrachten, wenn ein engli-
scher Händler diesem „ein paar Flinten“ verkauft
hat.“
Weiter wendet sich Dr. Sander gegen die
Behauptung, der Bur sei ein ganz unbotmäßiger
Charakter; unfähig, unter geordneten Umständen
zu leben; er wolle sein eigenes Recht. That-
sächlich ist darin nur eine britische Verdrehung
des wirklichen Sachverhalts zu sehen; die Buren
haben sich der ungesetzlichen Behandlung durch
die Engländer entzogen.
Aber auch die Frage der Ansiedlung in
Preußen selbst u. zw. in der Ostmark ist in's
Rollen gekommen. So gibt der Graudenzer
„Gesellige“ folgende beachtenswerte Anregung:
Wenn wir in Preußen zur Zeit des großen
brandenburgischen Kurfürsten Friedrichs I., Fried-
rich Wilhelms I., Friedrichs des Großen lebten,
würde wahrscheinlich der preußische Staat den von
den Engländern in Südafrika gehetzten und jetzt
verdrängten Buren in der dünn bevölkerten Ost-
mark ein neues Vaterland und sich tüchtige
Colonisten verschaffen, wie einst jene preaßischen
Könige Salzburger, Bamberger, Schweizer, Böh-
bar spielen. Die Bewegungen, die die Knute
in einer so geschickten Hand macht, können aber
von einem uneingeweihten garnicht richtig bemerkt
und verfolgt werden, so rasch spielen sie sich
vor dem Auge des Zuschauers ab. Der Ge-
züchtigte schreit natürlich in beiden Fällen, so
laut er kann; nur sind die Folgen sehr ver-
schieden.
Wer dem Henker vorher etwas Geld zu-
stecken kann, der bekommt auch nur leichte
Strafe; wehe aber dem, der nicht in der Lage
ist, dem Scheusal von Henker vorher etwas an-
zubieten. Auf ihn sausen die Knutenhiebe mit
verdoppelter Wucht nieder. Früher gehörten
Verkrüppelungen und Todesfälle durch die Knute
zur Tagesordnung, sind aber in der Neuzeit
bedeutend seltener geworden. Sehr viel, selbst-
redend, hängt auch von der Person des Gefäng-
nißdirektors ab. Ist er ein irgendwie human
denkender Mensch, so läßt er natürlich keine
Grausamkeiten zu, aber wie viele denken human
an der äußersten Peripherie des russischen Reiches?
Wie viele rufen dem Henker beim Anfang der
Exekution noch zu: „Kerl! Nicht schmieren!
(d. h. zu leicht pettschen) Fester! Nicht so schnell!
Langsam und mit Wucht!“ Das brauchen sie
nicht einmal zu sagen, das liest der Henker schon
aus ihren Augen.
Ein Gefängnißchef benutzte die Exekution
zur besonderen Folter des Delinquenten
und zur eigenen sportlichen Uebung. Er steckte
sich eine Zigarrette an, ließ den Sträfling auf
den „Bock“ schnallen und legte nun die Strecke
von der einen Wand des Straflokals bis zur
gegenüberliegenden mit der Gleichmäßigkeit eines
Pendels zurück. Der Henker wußte schon, was
er zu thun hatte; sobald der Chef die eine
Wand erreicht hatte, hieß es soviel wie: „Ein!“,
kam er wieder zurück und erreichte die nächste:
„Zwei!“ u.s.w. Auf diese Weise mußten die
Hiebe langsam und wuchtig fallen.
Ein anderer Chef ließ den Sträfling auf den
Bock schnallen, sah zu, wie der Henker schlug
und nahm, sowie er mit dem einen oder andern
Hiebe unzufrieden war, dem Henker die Knute
aus der Hand und wiederholte den zu leichten
Hieb, so daß der Delinquent statt eines, immer
zwei leichtere Hiebe auf eine Nummer erhielt.
Ein dritter ließ die Exekution erst zu Ende
führen und ließ dann dem Henker die gleiche
Anzahl schwere Hiebe geben, wodurch derselbe
so verstümmelt wurde, daß er das „Gesäß“
durch Gewebsbrand total einbüßte und fortan
auf Krücken humpeln mußte.
Soviel von der Handhabung der Knute.
Beschäftigen wir uns noch ein wenig mit
der — Ruthe!
Die Knutenstrafe kann nur auf gerichtliches
Erkenntniß hin vollzogen werden. Dagegen die
Ruthenstrafe ganz ohne richterliches Urtheil und
auch ohne vorherige ärztliche Begutachtung, (ob
der Sträfling die Strafe wird aushalten können!)
wie sie vor der Vollziehung der Knutenstrafe
eingeholt werden muß. Jede Laune des Chefs
kann Ruthenhiebe hier und dort zur Folge haben
und zwar nicht mehr als 30 auf einmal; der
Herr Kreishauptmann aber darf bis auf 100
und mehr ertheilen lassen. Auch Krüppel durch
die Knute, Weiber und selbst Schwerkranke ent-
gehen der Ruthenstrafe nicht, eben weil sie solch
ein — Kinderspiel ist.
Und was bewirkt nun die Knute und die
Ruthe?
Bessert sie den Gezüchtigten?
Niemals! Im Gegentheil! Es giebt Delin-
quenten, deren Rücken 500 ja 600 Knutenhiebe
im Ganzen hat aushalten müssen und können,
der unzähligen Ruthenhiebe garnicht zu gedenken.
Und was ist der Delinquent geworden? Ein
desto verstockterer, verbissenerer, schließlich total
unverbesserlicher Lump! Die Prügelstrafe ist
also nicht im Stande Menschen zu bessern.
Was aber ist's im Stande?
Edelmuth und Liebe. Davon ein leuchtendes
Beispiel:
Der Direktor des Zuchthauses von Orkutsk,
ging in seiner Humanität so weit, daß er auf
eigene Faust und Verantwortung in seinem Amts-
bereich die Prügelstrafe verbot. Und was war
die Folge davon?
Die Disziplin im Zuchthause besserte sich
ganz auffallend. Die Vergehen und Verbrechen
verschwanden beinahe ganz von der Tagesord-
nung und Fluchtversuche, — sonst gang und
gäbe — kamen überhaupt nicht mehr vor.
Nicht einmal im Freien arbeitende Sträflinge,
die kaum überwacht würden, suchten das Weite.
Aber das Schlimme war: Der humane Di-
rektor, Sipiagin war sein Name, starb zu früh
und keiner seiner Nachfolger und Amtsgenossen
hatte den Muth und den Charakter dazu, seinem
edlen Beispiele zu folgen.
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