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1. Jänner 1898.
„Karlsbader Badeblatt und Wochenblatt“ Nr. 1
Seite 9
(Schluſs.)
„Damit Ihr begreift, oder eigentlich, damit Du,
Emil fuhr erschrocken
Mariechen, es begreifst —“
zusammen, denn er erblickte in diesen Worten eine
Strafe seiner vermeintlichen Lieblosigkeit — „denn
Emil ist ja noch ein kleiner Junge, der so etwas
nicht versteht.“ Emil beruhigte sich etwas, fand
sich aber in seiner Verstandeseitelkeit nicht wenig
gekränkt — will ich Euch erzählen, warum Vaters
Ausweisung, die ja schon an sich ein unsagbares
Unglück ist, mich doppelt und dreifach kränkt. Wenn
er jetzt einsam und trostlos sich in der Fremde ein
neues Heim aufbauen muss, so verdants er das
weniger seinen allerdings stets offen bekannten
politischen Grundsätzen, als den Umtrieben eines
Mannes, der sein und mein Jugendgespiele war.“
Emil stand leise auf und könnte das um so
unbemerkter thun, als der Mutter Aufmerksamkeit
ganz Marien zugewendet war, die ihrerseits in
gespannter Erwarkung zuhörte. Die Thür öffnete
und schloß sich leise hinter dem Kleinen, ohne daſs
die Beiden es gewährt hätten. Der Eltern Jugend-
gespiele schien Emil auf alle Fälle weniger zu
interessiren als der eifersüchtige Gedanke, der ihn
seit einigen Minuten beschäftigte.
„Dieser Mann zeichnete sich schon als Knabe
durch eine hervorragende Begabung aus, und wie-
wohl er in der kleinen Stadt, aus der wir alle
drei stammen, keiner wohlhabenden Familie ent-
sprossen war, so genügte doch seine allgemein an-
ertannte Befähigung, ihm selbst unter der Jugend
eine angesehene Stellung zu verschaffen. Dein
Vater und er waren die intimsten Freunde, und ich
glaube, die jetzige Excellenz hat erst den Keim zu
all' den trotzigen Gesinnungen in Deines Vaters
Herz gelegt.“
„Die Excellenz? fragte Marie erstaunt.
„Jawohl,“ wiederholte Frau Thürsch nicht ohne
Stolz, „der arme Knabe von damals ist heute der
Minie“ eines Nachbarstaates, und ihn, der so feurig
für Freiheit und Gleichheit aller Menschen sprach,
der Mirabeau des neunzehnten Jahrhunderts, wie
er sich gern nennen hörte, kannst Du jetzt als Hort
einer großen Partei wiederfinden, — doch das ver-
stehst Du nicht.“
„Ist das nicht die Partei, die Eurer — Eurem
Vereine am feindlichsten gegenübersteht?“
„Ganz recht Nun also, dieser Mann liebte
mich und begehrte mich zum Weibe. Ich aber
hatte mich Tags vorher Paul, Deinem Vater,
heimlich angelobt und hätte auch niemals einem
Andern angehören wollen. Seit jener Zeit ...“
„War ihre Freundschaft aus?“
„So ist es. Und Dein Vater hat schon oft
erfahren, wie mächtig ihn seines ehemaligen Freundes
Feinschaft trifft. Aber niemals so schlimm wie jetzt.
Die Ausweisung ist Rudolfs, ist das Werk der
Excellenz
„Sie thun mir Unrecht, Johanne,“ sagte eine
tiefe Stimme von der Thür her.
Frau Thürsch fuhr entsetzt empor. Der kleine
untersetzte Mann, dem sie vorher begegnet, stand
im Thürrahmen neben ihm Emil, der seltsamer
Weise seine neuen Stiefel in der Hand hielt.
„Excellenz“, stammelte Frau Thürsch ..
Mariens Auge leuchtete auf, aber sie wandte sich
ab und beschäftigte sich mit dem im Verlöschen be-
griffenen Tannenast.
„Paul lässt Sie grüßen“, sagte die Excellenz.
„Ich sprach ihn in Dresden, wo er einstweiler seine
übermüthigen Redensarten büßt.
„Die Sie doch einst so gerne hörten, Excellenz.“
„Meine liebe Johanne, ich bin für Sie keine
Excellenz, wenn ich mich aus dem unhärtigen Träu-
mer zu einem sehr reifen Parteimanne entwickelt
habe. Wie sehr Sie mir Unrecht thaten, mögen
Sie aus diesem Briefe erfahren, den Paul mir für
Sie mitgab, und in dem er mich ermächtigt, den
Knecht Ruprecht bei Ihren Kindern zu spielen.
Di ses kleine Finanzgenie“, er deutete auf den über
und über erröthenden Emil, „unterbrach ich in einem
vortheilhaften Geschäftsabschluß.“
Eine einladende Handbewegung der Frau
Thürsch veranlaſste die Excellenz, näher zu treten,
ein strenger Blick forderte Rechenschaft von
Emil.
„Ich wollte meine neuen Stiefel an Braustens
Fritzen verkaufen, um Dir auch ein Weihnachts-
geschenk machen zu können,“ heulte Emil, dem sein
Unternehmen auf einmal sehr gewagt vorkam.
„Sie verzeihen ihm wohl, Johanne,“ sagte die
gutg launte Excellenz. „Er hat es gut gemeint,
Ihr kleiner Stammhalter. Und nun zur Be-
scheerung, zu der ich mir freilich einen Gehülfen
nehmen musste, der wohl bereits auf mein Zeichen
wartet.“
Und die Excellenz klatschte laut und fröhlich in
die Hände.
Ein in Pelz vermummter Mann trat herein und
stellte eine schwere Reisetasche zu Boden.
„Der Vater!“ riefen die Kinder entzückt und
stürzten auf den Eintretenden zu.
„Paul!“ jauchzte Frau Thürsch und umarmte
den ihr plötzlich wiedergegebenen Gatten.
„Ich muss hier schon die Stelle des antiken
Chores spielen und Aufschluſs ertheilen,“ sagte
scherzhaft die Excillenz. „Obgleich ich kein Freund
der jetzigen Regierung bin und ihr schon manche
schwere Stunde bereitet habe, reichen doch meine
alten Verbindungen an maßgebender Stelle noch
so weit, daſs es mir von dort aus gelungen ist,
den hiesigen Polizeiregenten zu überzeugen, daſs
Pauls harmlose Persönlichkeit weder dem Staate,
noch seinem erhabenen Regenten jemals gefährlich
zu werden vermag, und daſs seine hier und da
mit viel mehr Ostentation als wirklicher Ueber-
zeugung ausgesprochenen socialpolitischen Ansichten
lediglich platonischer Natur sind. Der Aus-
weisungsbefehl wurde, als auf einem Irrthum ve-
ruhend zurückgenommen, aber Paul, und auch Sie,
Johanne, müsst Euch in Zukunft hüten, Eure rein
mänschliche Verbitterung in ein politisches Gewand
zu kleiden.“
„Mich haben meine Kinder geheilt,“ sagte
Frau Thürsch weich.
„Und mich der Freund!“ sagte Paul ...
Die Excellenz.
Eine Weihnachtssylhouette von Clara Steinitz.
„Hier, Fräulein Hilda, haben Sie ein kleines
Andenken an Ihr Vaterhaus, das ich Sie bitte, auf
Ihre lange Reise mitzunehmen. Wenn Ihre Augen
sich auf das liebe Forsthaus richten, dann werden
hin und wieder die Züge Ihres Freundes zwischen
alten theuren Erinnerungen vor Ihre Seele
treten.
Hilda's feuchte Augen fielen auf die freundliche
Gab“, die des Fösters Holst eigene Hand auf die
Leinwand gefesselt hatte.
„Bin ich nicht Ihr Freund, Fräulein Hilda?“
Sie reichte ihm beide Hände und schaute herz-
lich zu ihm auf.
„Warum wollen Sie von dannen ziehen?
Bleiben Sie bei meiner Frau und mir, seien Sie
unsere Schwester, unsere Freundin. Amerika liegt
so weit, so entsetzlich weit entfernt. Während Sie
auf hoher See schwimmen, mag Ihre Freundin
schon ihre letzte Reise angetreten haben. Sie ist
schwach und krank, wenn sie ihre Augen schließt,
stehen Sie in dem fremden Lande ohne Freunde,
ohne Anhang da. Bleiben Sie hier, bleiben Sie
der uns.“
„Jo, thun Sie das, liebe Hilda, Sie ahnen
nicht, wie schwer Albert und mir der Abschied von
Ihnen wird, und wie dankbar wir Ihnen sein
würden, wenn Sie bei uns blieben“.
„Vielen Dank, Herr Förste vielen Dank Ibnen
Beiden für die große Liebe, die Sie mir seit meines
Vaters Tode erwiesen haben. Aber ich kann nicht,
ich vermgnicht, ohne Thätigkeit zu sein; dort
kann ich meine Kenntnisse verwerten. Sie Beide,
Herr Förster, sind junge, lebensfrohe Menschen,
Sie Beide können und wollen handeln und schaffen
Was bleibt da für mich übrig? Ich bedarf einer
Thätigkeit, die mir Freude und Lust schafft. Meine
Seele, wie mein Körper verlangen danach. Nur
die Arbeit kann den Kummer mildern, ich muss mit
Gottes Hilse mir eine Zukunft schaffen.“
Sie schaute auf, und sah ihn fest an. „Ich
bin jung, ich bin gesund“, die Stimme sank, der
Kopf bewegte sich, mit unterdrückten Thränen flüsterte
sie, „aber unsäglich traurig“.
„Soll ich die Braunen oder die Scheckigen vor
spannen, Herr Förster? Die Uhr ist zwölf.“
Die Gatten sahen Hilda bittend an. Diese war
bei der Frage des Kutschers erblasst. Sie liebte
ihre Geburtsstätte, den alten Forsthof mit seinem
Strohdache, seinem Taubenschlag, seinem schattigen
Garten, in dem jeder Baum ihr Schutz gegen die
Sonnenstrahlen bot. Den lieben alten Forsthof,
wo ihre Wiege gestanden und ihre Eltern jeden
Fleck gepflegt und jede Blume gepflanzt hatten.
Aber jetzt, jetzt war Alles ganz anders; der
Vater schlief auf dem Friedhofe an der Seite der
Mutter, und ihr einziges, verwöhntes Kind, das kein
Wind berühren durfte, das stets im Sonnenschein
lebte, selbst in den düsteren, schwerbedeckten Winter-
tagen, stand jetzt als Gast in dem alten, gesegneten
H'im. Nein, sie konnte nicht, sie musste fort —
weit fort, arbeiten und arbeiten, um, wenn möglich,
zu vergessen. Vergessen? Als wenn die Entfer-
nung vergessen machen könnte. Doch sie nahm sich
zusammen.
Ihr Fuß stand auf dem Wagentritt, als ein
Reiter plötzlich in den Hof sprengte und am Wagen
Halt machte. Hilda schaute auf, ihre Augen trafen
den scharfen Blick ds Reiters. Sie erröthete und
hre Hand zitterte, so daſs sie nahe daran war,
ihren Halt zu verlieren.
Er lüftete verbindlichst den Hut.
„Gönnen Sie mir einige Minuten, Fräulein
möchte Sie dringend sprechen.“
Budde. Ich
Schnell sprang er aus dem Sattel, begrüßte
Förster Holst und Frau, reichte Hilda die Hand
und führte sie in das Wohnzimmer
Der Gutsbesitzer; Rit meister von Falk war ein
Mann in seinen besten Jahren; er war groß und
schlank, hatte edle Züge und eine elegante Haltung.
Seine großen, dunklen Augen waren von dichten
Brauen beschattet, und eine Wolke kraufen, schwarzen
Haares umrahmte die hohe Stirn, die Spuren von
Kummer und frühzeitiger Reife trug.
Im Gegensatz zu seinen dichten Brauen glich
der Schnurrbart nur einem Pinselstrich über einem
hübschen und sprechenden Mund, einem Munde,
der ohne Worte der Freude oder dem Leide, dem
Beifall oder dem Tadel deutlich Ausdruck verlieh.
Hilda war fein gebaut und von weichen, ab-
gerundeten Formen. Ihre einfache Trauertracht
zeugte von Geschmack, der vornüber gebeugte Kopf,
dessen schwarze Locken ihre feinen Zuge halb ver-
bargen, die tiefer, schwarzen Augen, die von langen,
schwarzen Wimp in und schön gezeichneten Brauen
beschattet waren, machten einen wehmüthigen Ein-
druck auf den Weltmann, brachten ihn aber auch
zu gleicher Zeit in Verlegenheit. Obgleich ihre
Aehnlichkeit im einzelnen auffallend war, war doch
der Gesammteindruck ein höchst verschiedener.
Beide waren die einzigen Kinder im Elteru-
hause, beide im höchsten Grade verzogen, ja ver-
göttert von den Eltern und Verwandten und dabei
doch beliebt bei den Dienstboten. Aber die heimat-
liche Sonne hatte sie auf verschiedene Art gereift.
Der Grund lag nicht so sehr in ihren Herzen als
in ihrer Erziehung.
Falks Eltern waren gute rechtschaffene Menschen,
aber ihr ererbter Reichthum hatte ihren Anschauun-
gen ein Gepräge von Hochmuth gegeben, der oft
seinen Schleier über ihre Selbstkeitik zog und un-
ungünstig auf die Herzens- und Geistesentwickelung
des Sohnes wirkte. Sie erblickten in ihm einen
mit aller menschlichen Vollkommenheit ausgerüsteten
Halbgott, einen würdigen Erben ihres Namens und
Reichthums, wogegen sie nicht im Stande waren,
nur einen einzigen Fehler zu sehen, wie deutlich er
auch hervortrat. Lichter Sonnenscheiu leuchtete
ihnen überall dort entgegen, wo sie den Sohn
sahen. Er fühlte sich daher auch als Herr über
alles und alle, weil alle im Hause sich vor seinem
Wlln beugten.
(Fortsetzung folgt.)
Eine Stiefmutter.
Erzählung von Fanny Suensson.
Dateiname:
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