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Badeni's Sturz.
Eine Entscheidung ist gefallen. Graf Badeni,
der Mann, der so ungeheures Unglück über
Oesterreich gebracht, der mit brutaler Gewalt,
mit Säbeln und Bajonetten, das Deutschthum
in der Ostmark niederkämpfen wollte — hat
am Sonntag seine Entlassung genommen.
Noch am Freitag war der tschechisch-polnische
Uebermuth so vermessen, daß er die Polizei in's
Abgeordnetenhaus marschieren, die Volksvertreter
auf die Straße schleppen ließ, daß in Graz und
Wien die Polizisten und das Militär auf das
Volk eindrangen. Aber am Sonnabend ergänzte
sich die deutsche Kämpferschar im Hause: der
Streiterreihe, die bis dahin aus den Deutsch-
nationalen, Liberalen und Socialdemokraten be-
stand, traten die Christlichsocialen, sich sehr
spät ihrer Pflicht erinnernd, und der verfassungstreue
Großgrundbesitz an die Seite, schamerfüllt trennten
die Tiroler Clerikalen ihre Wege von ihren ent-
arteten Gesinnungsgenossen und die unnatürliche
Mehrheit, mit deren Hilfe der polnische Schurke
Abrahamowicz und Badeni die Deutschen
zu knechten versuchten, schmolz dahin, wie Schnee
im Frühlingssonnenschein.
Freitag hoffte noch Badeni, daß es nach der
gewaltsamen Entfernung Schönerer's
und Wolf's und der Socialdemokraten ruhiger
im Parlamente sein werde. Der Sonnabend be-
gann, die Ministerfauteuils wurden
umgestürzt — der polnische Hund Abra-
hamowicz brachte kein Wort heraus!
Am Sonnabend gehörte die „berühmte“
eiserne Hand des Grafen Badeni dem alten
Eisen an.
Wir Deutsche haben einen herrlichen Sieg
erfochten, den Feldzug jedoch haben wir noch
nicht gewonnen.
Freiherr v. Gautsich ist mit der Neubildung
des Kabinetts betraut worden. Wir Deutsche
haben keinen Grund, diesen Nachfolger des
nunmehr gegangenen Polacken freudig zu be-
grüßen. Es ist zur Stunde noch nicht bekannt,
was dieser „neue Mann“ nunmehr zu thun ge-
denkt, jedenfalls aber wird es ihm nicht besser
gehen, wie seinem Vorgänger, wenn er nicht vor
Allem bedingungslos die Sprachen-
verordnungen zurückzieht. Der Schwur
von Eger galt nicht nur dem Sturze Badeni's,
sondern verpflichtet die deutschen Abgeordneten,
solange in der entschiedensten Obstruktion zu
verharren und jede Regierung zu be-
kämpfen, solange die Sprachenver-
ordnungen nicht zurückgezogen sind.
Schönerer und die Seinen werden da-
für sorgen, daß dem nicht anders werde!
Ueber die letzten Ereignisse in Wien wird
unterm 28. v. M. von dort gemeldet:
Mit List und Schlauheit hat sich Graf Badeni
ein Jahr lang im Amte erhalten, an seinen
Gewaltthätigkeiten ist er zugrunde gegangen.
Als ihm die Ueberlistung der Deutschen miß-
glückte, versuchte er es mit der Zerschmetterung,
und nun ist er selbst zu Boden gestreckt, und an
seiner Bahre stehen als Leidtragende seine tsche-
chischen Helfershelfer. Wien war in Aufruhr,
und dem Monarchen konnte es nicht Geheimnis
bleiben, daß sich der Bevölkerung eine ungeheure
Aufregung bemächtigt hatte. Als der Kaiser
gestern aus Wallsee heimkehrte, war die Maria-
hilfer Strasse von Tausenden und Tausenden
gefüllt, und eine große Menschenmenge war auf
dem Bahnhofe versammelt. Heute morgens wurde
dem Monarchen gemeldet, daß die Demonstrationen
gestern bis in die späten Abendstunden gedauert
und daß sich an denselben alle Kreise der Be-
völkerung betheiligt haben. Dr. Lueger hatte nach
Wallsee telegraphisch die Bitte gerichtet, der
Kaiser wolle ihn in Audienz empfangen. Es
wurde ihm die Antwort, er möge sich im ordnungs-
mäßigen Wege durch den Ministerpräsidenten zur
Audienz melden.
Am heutigen Tage begannen die Kundgebungen
bereits in den frühen Morgenstunden und wurden
den ganzen Tag fortgesetzt. Weder der Anblick
der mit dem Säbel in der Faust vorgehenden
Wache noch der Huszaren schreckte die Tausende
und Tausende, die immer neuen Zuzug erhielten,
ab, ihrer Erbitterung freien Lauf zu lassen.
Folgenschwere Entschlüsse bereiteten sich indessen
in der Hofburg vor. Der Kaiser hatte gestern
Abends nicht nur den Ministerpräsidenten Grafen
Badeni, sondern auch den Minister des Aeußeren
Grafen Goluchowski empfangen. Schon am
Morgen war die Entlassung des Grafen Badeni
entschieden, aber bis Nachmittags wurde der Ent-
schluß des Monarchen als Geheimniß gehütet.
Der Kaiser empfieng heute Vormittags
den Grafen Badeni, Baron Banfsy, den
Grafen Wesersheimb, Freiher v. Gautsch
und den FZM. Freiherr v. Merkl. Gegen
Mittag wurde in die „Wiener Zeitung“ das
kaiserliche Handschreiben gesendet, welches die
Vertagung des Reichsrathes bis auf
Weiteres ausspricht. Die erste Extraausgabe der
„Wiener Zeitung“ wurde gegen 2 Uhr ausgegeben
und trotz des bestehenden Colportageverbotes mit
aller Offenheit auf den Straßen verkauft. Durch
die rasche Veröffentlichung sollte eine Beruhigung
der Bevölkerung erzielt werden, aber der Sturm
in den Straßen dauerte fort, und aus den Zu-
rufen der Menge war zu entnehmen, daß der
Ingrimm sich nicht in letzter Linie gegen die
tschechischen Abgeordneten richtete, welche in her-
vorragender Weise an dem Polizeistücke, das im
Abgeordnetenhause ausgeführt wurde, betheiligt
waren.
Um zwei Uhr fand ein Ministerrath
statt, und bald darauf drangen die ersten Ge-
rüchte in das Publikum, daß das Cabinett seine
Demission gegeben und der Kaiser dieselbe an-
genommen habe; auch daß Freiherr von Gautsch
mit der Cabinettsbildung betraut sei, wurde mit
immer stärkerer Bestimmtheit behauptet. Um
41/2 Uhr kam in das Parlament, wo der Bud-
getausschuß der Delegation versammelt
war, die officielle Meldung, daß als-
bald eine zweite Extra-Ausgabe der „Wiener
Zeitung“ mit der Demisionsnachricht erscheinen
werde. Kurz vorher hatten die Abgeordneten Dr.
Groß und Kaiser im Ausschusse erklärt, daß
sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht
in der Lage seien, an einer Verhandlung theil-
zunehmen, der Antrag, die Verhandlungen abzu-
brechen, wurde aber von der tschechisch-polnisch-
klerikalen Koalition niedergestimmt.
Die Polizeikommissäre, welche den Dienst auf
der Straße versahen, wurden von der erfolgten
Demission verständigt und theilten sie den Wach-
organen mit der Weisung mit, die Nachricht
ins Publikum zu bringen, der gänzliche Ab-
zug der Demonstranten wurde aber natürlich nicht
erreicht. Dazu war die Erregung zu stark, und
wenn auch einzelne Abtheilungen in die Vorstädte
bogen, um dorthin die Kunde von dem Siege
der Obstruktion zu bringen, wurde die Lücke rasch
durch Tausende ausgefüllt, welche fortwährend
von den entlegenen Bezirken nach dem Parla-
mente und dem Judenplatze marschierten.
Die polnischen und tschechischen
Abgeordneten waren von dem Sturze
des Ministeriums Badeni überrascht
und gaben ihrer Bestürzung Ausdruck. Noch
gestern Abends nach der Audienz des Grafen
Badeni beim Kaiser hieß es, daß der Monarch
seinem ersten Ratgeber das Vertrauen nicht ent-
zogen habe. Der Polenclub versammelte sich
heute Vormittags zu einer Beratung, bei der
auch laufende Geschäfte in Erörterung gezogen
wurden. Als die Meldung von der Vertagung
des Reichsrates dem Präsidenten Herrn von
Abrahamowicz durch einen Boten aus dem
Ministerium bekannt wurde rief der Präsident
einem hervorragenden Politiker aus dem
deutschen Lager in zorniger Weise
die Worte zu: „Sagen Sie Ihren
Leuten, daß wir Autonomisten in die-
sen Reichsrat nicht mehr zurückkehren!“
Die Parteigenossen des Herrn von Abrahamowicz
werden sichs wahrscheinlich noch reiflich überlegen;
sicher ist aber, daß Herr von Abrahamowicz
die Präsidententribüne in seiner bisherigen Eigen-
schaft nicht mehr besteigen wird. Er hat für
immer abgewirtschaftet, und es wird zur Unmög-
lichkeit gemacht werden, armenische Greuel im
Abgeordnetenhause zu verüben.
Ueber die Absichten des Barons
Gautsch liegen nur unbestimmte Ver-
muthungen vor. Es heißt, daß Freiherr v.
Gautsch neben dem Ministerpräsidium das Porte-
feuille des Unterrichtsministers behalten und das
Ministerium des Innern anderweitig besetzen
wolle. Kein Unterfertiger der Sprachenverord-
nungen soll in das neue Cabinet eintreten.
Von den bisherigen Ministern sollen nur
Herr von Guttenberg und Graf
Welsersheimb Mitglied des neuen
Kabinets werden. Außer denselben
soll nur noch ein Minister, und zwar
der für Galizien, ernannt werden.
Dr. Rittner. der im Polenklub einflußreiche Feinde
hat, dürfte sich wieder ins Privatleben zurück-
ziehen. An die Spitze der anderen
Ministerien sollen nur Sectionschefs
als Leiter treten. In polnischen Kreisen
glaubt man, daß eine Suspension der Sprachen-
verordnungen erfolgen werde. Der Reichs-
rath soll am 9. Dezember wieder zu-
sammentreten, und der erste Akt seiner
Thätigkeit soll darin bestehen, daß der Antrag
Falkenhayn und die Abstimmung
über denselben für null und nichtig
erklärt wird.
Nachträglich wird erzählt, daß die Rechte
schon am Donnerstag entschlossen war, nach Ab-
gabe des Protestes der deutschen Parteien, durch
die Abg. Dr. Engel und Jaworski erklären zu
lassen, daß sie in die Zurückziehung des An-
trages Falkenhahn und die Annullirung der Ab-
stimmung einwilligen. Hervorragende slavische
Parlamentarier, die sich ihrer Theilnahme an
den Gewaltakten gegen die deutschen Abgeord-
neten schämen, behaupten hinterdrein, daß nur
Graf Badeni die Rechte zu solchen wahn-
sinnigen Schritten verleitet habe. Er hätte der
Rechten immer vorgehalten: „Ihr müsset zeigen,
daß Ihr eine starke Majorität seid, auf die sich
die Regierung stützen kann! Ihr müsset die Ob-
struktion niederwerfen, sonst habt Ihr keinen
politischen Werth!“ Mitte November drängte der
Ministerpräsident die Rechte noch nicht
zur Eile; er sagte: „Wir haben Zeit mit
dem Ausgleichsprovisorium bis zum 31. Dezem-
ber, wir werden die Obstruktion aushungern, am
22. November erklärte aber Graf
Badeni, daß sich die Verhältnisse ge-
ändert hätten, daß die ungarische Regierung
den 8. Dezember als äußersten Ter-
min für die Beschließung des Ausgleichsprovi-
soriums festgesetzt habe, und daß man nunmehr
mit allen Zwangs- und Gewaltmaßregeln gegen
die Obstruktion vorgehen müsse. Infolge dieser
Mittheilung entschlossen sich die Parteien der
Rechten, allen vom Grasen Badeni ersonnenen
Maßregeln zuzustimmen; allen anderen
Parteien voran aber gingen in dieser
Beziehung die Jungtschechen, während sich
selbst unter den conservativen Großgrundbesitzern
mahnende Stimmen erhoben und mehrere Mit-
glieder dieses Clubs ihre Unterschriften für den
Antrag des Grafen Falkenhayn verweigerten.
Als die zweite Extraausgabe der
„Wiener Zeitung“ mit der Demissions-
nachricht in den Straßen verbreitet wurde, bil-
deten sich in der ganzen Stadt Gruppen von
Hunderten, und es wurden in denselben politische
Ansprachen gehalten. Die Freudekundgebungen
pflanzten sich bis in die entferntesten Vororte
fort, und in allen Gasthäusern und öffentlichen
Localen waren die sensationellen Ereignisse des
Tages der ausschließliche Gesprächs-
stoff. Fremde Leute sprachen sich in den
Straßen an und theilten sich die frohe Botschaft
mit. Vor dem Burgtheater und dem Parlamente
standen noch um 9 Uhr abends Hunderte, welche
Hochrufe auf die deutschen Abgeordneten und auf
den Sieg der Obstruktion ausbrachten. Die
Wache hinderte diese Versammlungen nicht mehr
und war im besten Einvernehmen mit der Be-
völkerung. Berittene Wachleute, welche in die
äußeren Vororte zurückkehrten, theilten von den
Pferden hinab dem Publikum die Demission des
Grafen Badeni mit. Die ganze Bevölkerung war
heute einmüthig; es gab keinen Mißklang und
die Kunde aus der Burg wurde wie eine allge-
meine Erlösung von einem drückenden Alp auf-
genommen.
Die Entscheidungsschlacht im
Abgeordnetenhause.
Am Sonnabend wurde die Entscheidungs-
schlacht im „hohen Hause“ geschlagen und die
Opposition blieb Siegerin. Die Sitzung war
nur von sehr kurzer Dauer, sie zeigte
aber die volle Einigkeit der Linken in der Abwehr
der Gewaltstreiche seitens der Regierung und der
Majorität.
Schon vor Beginn der Sitzung, die für heute
auf 10 Uhr anberaumt war, zeigte sich die explo-
sive Stimmung der Abgeordneten der Linken.
Abg. Lecher ruft plötzlich: Wo ist denn die
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